18. - 25.01.1983 Die Vortage der Radreise
Markgröningen, 18.01.1983
Die Lage ist ungünstig. Zum jetzigen Zeitpunkt sind alle meine Zukunftspläne und
Zukunftsaussichten nahezu zerschlagen.
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ich im September eingestellt werde. Darüber hinaus
hat C. die Wohngemeinschaft aufgekündigt und zieht Anfang Februar nach S.
Damit werde ich praktisch wohnungslos.
Somit wäre es günstig, statt in Depression zu verfallen die Zeit bis zu einer beruflichen
Entscheidung “auf der Straße” zu verbringen: Weg hier, Abenteuer, Erfahrungen,
billigeres Leben.
Der Blick muss nach vorne gerichtet werden.
Die Trennung von C. muss sein, auch wenn es schwerfällt. Die Argumente dafür sind
erdrückend. Allein das Studium unserer beider Tagebücher lässt nur diesen Schritt zu.
Die elementare Unterschiedlichkeit der Lebensbedürfnisse lässt nur diesen Schritt zu.
Wie sieht meine Zukunft aus? Ich wünschte, ich hätte eine feste Aufgabe, ein Ziel. Es
gilt, ein halbes Jahr bis zur Entscheidung zur Einstellung zu überstehen, mit DM 490.-
monatlich. Wahrlich nicht einfach. Ich weiß nur eins: Mit Zeittotschlagen ist das nicht
durchführbar. Wie ich es tatsächlich machen soll, weiß ich noch nicht. Eine Radtour
alleine starten? Fast unmöglich, im Winter allein los zu fahren. Hierbleiben, ein billiges
Zimmer nehmen, Arbeit suchen? Erstmal beides finden.
Freuen kann ich mich auf keine der Alternativen. Es sind alles Fluchten, doch ich glaube,
ich habe keine andere Wahl.
15.03. - 24.05.1983 Die Radreise
Heubach, Dienstag 15.03.1983, 23:55 Uhr, 79 kg, DM 1300.-
Morgen vormittag geht es los.
Das Rad: Ein Rixe “Grömitz”, Dreigangnabenschaltung (ein Rennrad ist zu filigran
gebaut, um das Gepäck zu tragen; leider gibt es kein stabiles Rad mit mehr Gängen),
vorne habe ich mir einen zusätzlichen Gepäckträger montiert.
Das Gepäck wiegt insgesamt an die 38 kg. Das sind etwa 15 kg mehr, als ich mir
gewünscht hätte. Das Rad ist kaum zu halten und kann natürich auch nicht auf dem
Ständer abgestellt werden. Andererseits weiß ich wirklich nicht, wo ich wirksam Gewicht
einsparen könnte. Heute nachmittag hatte ich kaum noch daran geglaubt, Gitarre und
Wassersack unterbringen zu können, es ging dann doch noch ganz gut. Beides
erscheint mir auch sehr wichtig. Eine kurze
Probefahrt verlief glücklicherweise
einigermaßen glatt.
Gestern und heute ist mir doch zum
ersten Mal bang geworden vor vielen
einsamen Abenden, irgenwo in
Mittelfrankreich, bei illegalem Zelten,
ohne Sprachkenntnisse, 20 oder 30
Abende allein, vielleicht in Kälte, und in Regen.
Ich habe heute Abend C. angerufen und ein wenig mit ihr gesprochen.
Morgen geht es also los, ich will versuchen bis Markgröningen zu kommen, bin mir aber
nicht sicher, ob ich schon am Anfang die 70 - 80 km Tagesstrecke schaffe. Ich wiege jetzt
(mit dickem Pullover) 79 kg.
Möge es gutgehen! Schade: Zu zweit wäre die Sache vermutlich viel spaßvoller.
Zum Teil ist mir etwas bang, zum Teil freue ich mich darauf.
Bon voyage.
Siegfried
Trapp
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Bienvenido
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