Nachträgliche Einträge:
Quito, am 12.1.1986:
Die Hütte ist von beißenden Rauchschwaden durchtränkt, nur in Bodennähe ist es
auszuhalten. Strohlager in Holzgerüstbetten, rechts unten neben dem Eingang,
dampfendes Schilddach, Tee im großen Kessel über dem Feuer.
Zusammenfluss von Rio Sangay und Rio Yanayacu, Mo., 30.12.1985
Am Morgen ist der Sangay völlig frei. Eine große Rauchwolke steigt von ihm auf.
Das Wiesengeviert, in dem die Schilfhütten stehen, ist vereist. Wieder Rauchorgie in der
Hütte; die ganze Hütte dampft.
Don Carlos hat Magenschmerzen; eine Tablette mit Placebo-Effekt hilft.
Die erste halbe Stunde reiten die Peones noch, dann beginnt ein Steilaufstieg durch dichtes
Gebüsch; die Pferde werden zurückgelassen.
Messerscharfes Gras. Glitschig.
Über 300 bis 400 Höhenmeter hinweg. Wenige Orchideen und wenige Bromeliaceen. Dann
riesige ampherartige Gewächse, die Blätter etwa drei Meter im Durchmesser, mit armdicken
Stengeln.
Oben in einer Ericaceen-Landschaft eine schöne Gratwanderung, der Grat mit ein bis drei
Metern Breite.
Wieder glitschiger Abstieg mit Schwierigkeiten durch Einsinken in Schlamm.
Es folgt mannshohes Gras. Wir folgen dem Rio Yanayacu.
Wasserfiltrierung mit dem Katadynfilter verschlingt eine Menge Zeit, Mikropur ist schneller;
Yupi. Die Indianer unterhalten sich aufgeregt in Ketschua.
Um halb zwei schon erreichen wir eine schöne Zeltplatzstelle. Nach harter Diskussion
bleiben wir. Die Indianer bereiten sich aus unseren Biwaksäcken eine niedere
Dachkonstruktion als Regenschutz und schlafen auf einer Grasunterlage. Das umliegende
Gras wird von ihnen abgefackelt, als Schutzmaßnahme gegen
Moskitos, wie sie uns erzählen.
Nebel, nachdem stundenlanger Sonnenschein mir einen leichten
Sonnenstich beschert hat.
Freude bei „Tropico“.
Gute Stimmung abends, Lachen.
Es sind keine Sterne zu sehen. Nebel.
Wasserplätschern, Froschquaken.
Schlüssel- und Rabenbein schmerzen vom schweren Rucksack.
Die Franzosen müssen zwei Tage vor uns sein. Am Lagerplatz liegen
Zigarettenstummel von ihnen.
Vom Kamm aus war der Sangay sehr schön zu sehen. Vom Zeltplatz: nichts.
Marsch durch abgebrannte Graspolster, mit zahlreichen Bachüberquerungen. Der Weg ist
leicht zu verfehlen. Es geht dann vier- bis fünfmal bergauf und bergab, jeweils etwa 200 bis
300 Höhenmeter durch dichte Vegetation.
Nebel, später Regen, zum Teil recht stark. Lange Wanderung auf schmalen Buschgraten.
Alles unter Regenumhang. Da ich keine Regenhose habe, ist meine Hose klitschnass. Nach
vier Stunden friere ich, der Kopf ist kalt und schmerzt vom Tragen des Schlaghelms.
Plötzlich begegnen wir jungen Indianern mit Hunden. Sie seien Begleiter der
siebenköpfigen Gruppe der Franzosen. Einer der Franzosen sei auf dem Gipfel gewesen.
Einen anderen, ganz jungen Franzosen hätte es dann erwischt, 200m unter dem Gipfel, „no
proteccion“, es sei kein Schutz möglich gewesen, ein herabsausender Stein hätte ihm die
Hüfte zertrümmert.
Sie seien unterwegs, um Hilfe zu holen.
Es wird immer kälter, bei unablässigem Regen.
Der Bergfuß ist in Reichweite, Lavafelder sind zu sehen. Der Berg selbst bleibt in Regen und
Nebel unsichtbar.
Marsch über Lavafelder aufwärts. Am Unterstand mit dem sinnigen Namen „La Playa“
wollen die Indianer wegen des Vorhandenseins von Gras dort schlafen, C.E. und M.R.
wollen höher. Die Indianer bleiben, wir ziehen anderthalb Stunden höher.
Mäßig harte Zeltplätze auf Lava. 15 Minuten Fußweg zum Wasserholen. Zeltplatz hat
Buschwerk, und einen großen Felsblock als Deckung nach oben hin.
Die ganze Nacht über ist ein mächtiges Rumpeln zu hören. Riesige Steine rutschen zuerst,
dann ist ein mächtiges langsames Kollern zu hören, dann machen die Steine große Sätze,
und rollen sehr laut langsam aus, das Geräusch ist jedes Mal etwa für 30 Sekunden zu
vernehmen.
Schlechter Schlaf, große Ohren.
Allerdings hatten keine neuen Steine auf unserem Lavafeld gelegen, die vorhandenen
waren alle bemoost.
Am nächsten Morgen merkt M.R. an, dass in der Nacht ein Stein ganz nahe im Tal des
Baches vorbei gekommen war, und er anschließend kein Auge mehr zugetan hätte.
Nebel, keine Sterne.
Feuchtkalt, unheimlich.
Quito, 22.1.1986
Des Morgens kommen wir erst gegen halb acht weg. Die Sichtweite beträgt im Nebel
maximal 50m. Wir wollten unsere zahlreichen mitgebrachten Fähnchen als Marken für den
Rückweg stecken, sie hielten jedoch nicht in der losen Vulkanasche.
Schemenhafte Grate links und rechts.
Wir wechseln wegen der Steinschlaggefahr auf die Grate hoch.
Nach etwa drei Stunden erreichen wir das Ende der Aschefelder. Riesige Einschlaglöcher;
ein Felsblock ist offensichtlich vor nicht allzu langer Zeit durch den Aufprall eines großen
Steins zertrümmert worden. In der Umgebung vereinzelte Sprunglöcher mancher Steine.
Dann stundenlange Querung rutschiger Geröllfelder mit faustgroßen Steinen, die leicht
wegrutschen.
Vereinzelt stehen Steinmanderl und Stecken von Fahnen, deren Stoff oder Plastik längst
weggeweht wurde.
Beängstigende Stille. Kein Rumpeln mehr. Ist der Kamin verstopft?
Die Sichtweite ist nach wie vor miserabel. Als Anstieg ist der SO-Grat angegeben; trotz
mehrfacher Kompasspeilungen gewinnen wir keine östliche Breite.
Stundenlang schräg hoch über Geröll, mit Querungen von Tälern. Unheimliche Rast auf
Graten hinter Stei.........
An dieser Stelle versagte das Schreibwerkzeug, und die Aufzeichnungen enden hier.
Aalen 03.03.2014
Aus dem lückenhaften Gedächtnis will ich nach all den Jahren versuchen noch einige
Erinnerungen an die Sangay-Besteigung hinzuzufügen.
Der Nebel hatte sich etwas gelichtet, als plötzlich Steine den Berg herabkamen. Wir
dachten, dass sie von einem Ausbruch stammen würden, ich denke jedoch inzwischen,
dass die Steine in der Nacht an der Vulkanasche angefroren waren und, nachdem die
Sonne den Nebel durchdrungen hatte, sich lösten und den steilen Aschehang
hinuntersprangen. Sie waren etwa kiesel- bis faustgroß und erreichten beim Herabsausen
des Aschehangs unglaubliche Geschwindigkeiten, sprangen mehrfach auf und wechselten
dann nicht vorhersehbar urplötzlich die Richtung. Beim Durchschneiden der Luft machten
sie ein hohes sirrendes Geräusch, entfernt an eine Kreissäge erinnernd. Wir standen mitten
in diesem Inferno, kein Fels, nichts als Schutz möglich außer gedankenschnelles
Ausweichen. Nur M.R. hatte sich hinter einen flachen Grat gelegt. Als er kurz den Kopf hob
und zu uns blickte, sah ich dass ein Stein geradewegs auf ihn zuflog, und nach meinem
Warnschrei zog er den Kopf nach unten, und eine Sekunde später raste an genau dieser
Stelle, an der sein Kopf eben war, der Stein über ihn.
Einen kieselgroßen Stein wehrte ich, es klingt fast unglaublich, baseballreif mit meinem
Eispickel ab; seine Geschwindigkeit hätte sicherlich ausgereicht, den Schlaghelm zu
zertrümmern bzw. mir am Körper ernsthafte Verletzungen zuzufügen.
Nach wenigen Minuten war das Inferno vorbei. Wie durch ein Wunder war keiner von uns
vieren verletzt.
Das musste das Szenario gewesen sein, das dem Franzosen die Hüfte zertrümmert hatte.
Wir waren, ca. zwei Stunden später, etwa 200m unter dem Gipfel, als dann der Vulkan
ausbrach.
Bilderfilm Sangay
Es gab keinerlei Deckung, kein Wegrennen, wir konnten nur tatenlos zusehen, was
geschehen würde: Wir erwarteten einen Stein- und Felshagel, um ein Vielfaches mächtiger
als der vorangegangene. Ob wir damals was von pyroklastischen Strömen wussten oder
daran dachten, ich weiß es nicht mehr.
Auch wenn das das Letze ist, was ich im Leben sehe, so schoss es mir durch den Kopf, will
ich es noch fotografieren, vielleicht findet man später meine Kamera. Ich drückte den
Auslöser.
Aber es kam nichts an bei uns. Die gewaltige Wolke bestand nur aus Asche und
Wasserdampf.
Auf dem Gipfel war es uns nicht recht geheuer. Das ganze Unternehmen hatte nach meiner
Rückrechnung mindestens sechs Tage beansprucht, aber wir verblieben dann nur vielleicht
20 Minuten auf dem Gipfel und machten, dass wir wieder herunterkamen. Auf dem
Rückweg sahen wir eine Plakette am Weg, die an einen US-Amerikaner erinnerte, der nur
29 Jahre alt wurde: gestorben am Sangay.
Auf vier weitere Begebnisse auf den Bergen möchte ich aus der Fülle der Erlebnisse noch
kurz eingehen.
Das erste begab sich auf dem Cayambe.
Siegfried
Trapp
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