ca. 17:30
Der erste Kameraverlust hatte sich 1986 ereignet, auf der Reise zu den Waorani, den
Menschen des Waldes, besser bekannt unter dem Namen Aucas. Mein ecuadorianischer
Biologie-Kollege, M.G., hatte die Fahrt organisiert, mit ihm und Maria als Köchin waren wir
in einer insgesamt zwölfköpfigen Gruppe aufgebrochen. In der ersten Nacht waren wir im
Hotel „Cayapa“ in Lago Agrio (das offiziell Nueva Loja heisst, aber von niemandem so
genannt wird), und hier wurde mir am nächsten Morgen beim Einladen des Gepäcks in
den Bus, aus dem großen Gepäckhaufen heraus, während einer Zeitspanne von etwa einer
Minute, als beim Hinaustragen des Gepäcks keine Aufsicht war, die Kameraausrüstung
nebst Geld entwendet. Den Verlust bemerkte ich erst später, außerhalb Lago Agrios, beim
Warten auf die Fähre über den Rio Aguarico. Ich fuhr noch einmal zurück zum Hotel, als
Anhalter auf der Ladefläche eines Erdölfahrzeugs, allein, das Zeug war weg. Viel mehr
noch als der finanzielle Verlust schmerzte der Verlust der Möglichkeit, von dieser
einzigartigen Reise Aufnahmen zu machen.
Wir waren insgesamt neun Tage im Kanu auf den Flüssen; teils auf dem Rio Napo,
hinunter bis zur ecuadorianisch-peruanischen Grenze, teils auf dem Rio Yasuní, hoch zu
den Waorani. Übernachtet wurde am Flussufer, manchmal in Zelten, manchmal in den
Hütten der dortigen Bewohner, auf Bambusplanken, zwischen Hühnern und Ratten. Die
Reise war vor mehr als fünf Jahren, Ende Juni bis Anfang Juli 1986. Was ist mir geblieben
an wesentlichen Eindrücken? Beeindruckende Sonnenaufgänge über dem Rio Napo, über
dem tropischen Regenwald. Die gelben Wasser des Napo, an der Grenze zu Peru 200 bis
300 m breit. Die schwarzen Wasser des Rio Yasuní, nur etwa 50m breit, seine Ufer
überflutet, die Grenze zum Wald übergangslos. Das ältere Schweizer Ehepaar, er
schrecklich unter Diarrhoe leidend, was die Stunden im engen Kanu nicht versüßt haben
dürfte. Die Militärkontrollen im Grenzgebiet zum nicht wohlgelittenen Nachbarland Perú,
das entschlossene Nennen von Namen von ihr bekannten Militärs durch Maria, was uns die
Durchfahrt an Kontrollpunkten möglich machte. In einer Fischerhütte an einer malerischen
Lagune am Rio Yasuní, in einem ansonsten menschenleeren Gebiet, trafen wir einen
vielleicht Mittzwanziger, der mit, ich vermute kolumbianischen Dialekt sprach, der in
Europa gereist war, der angab, hier Fische zu fangen. Er war mit Vorräten, unter anderem
Kaffee und Tabak aus Kolumbien, eingedeckt. In der Nacht hörten wir an und ab das
Brummen von Propellerflugzeugen, in dieser weitabgelegenen Gegend, nur etwa zwei
Tagesreisen von den Waorani entfernt. Und ein merkwürdiges Surren, immer in der Nacht,
wie von weit entfernten Windmühlen, auch während der Übernachtung bei der Rückkehr.
Der Verdacht, dass hier in der Nähe eine Kokainproduktionsstätte war, wurde auch durch
das auffallend nervöse Verhalten des Einsiedlers bestärkt, der, als die Geräusche eines
Außenborders in der Ferne ertönten, sich in sein Boot schwang und für eine Weile
verschwand, sich aber wieder beruhigte, nachdem er festgestellt hatte, dass es sich um
eine ungefährliche Militärpatrouille gehandelt hatte. Da die Militärstation nur wenige
Bootsstunden entfernt war, musste zumindest deren Duldung der vermuteten Aktivitäten
vorliegen. Vielleicht wollte man uns deshalb die Weiterfahrt verwehren.
An dieser Hütte verspeisten wir aus der Lagune gezogene Piranhas, mehr Gräten als Fisch,
und nahmen, nicht ohne ein etwas komisches Gefühl, ein Bad neben dem Netz, in dem die
Piranhas stecken geblieben waren. An dieser Hütte brach auch der unglückselige
Schweizer durch die morschen Planken, die halbmannshoch um die Hütte herumführten,
so dass nur noch sein Kopf und ein Teil der Brust heraus sahen, über und über mit Milch
bespritzt, die er in einem Topf zur Küche hatte bringen wollen. Dass wir unser Lachen
nicht zurückhalten konnten, erfreute ihn gar nicht.
Bei den Waorani lebte ein ca. 30-40jähriger missionierender Hochlandindianer aus, ich bin
mir nicht mehr sicher, Riobamba vielleicht, der ihnen unter anderem auch den Gebrauch
einer Säge beibrachte.
Statt des Plastiktands für die Frauen, die Gu. als Gastgeschenk mitgebracht hatte, wäre
Seife von den Waorani viel lieber gesehen worden. „Jabon“ war eines der wenigen
spanischen Wörter, das sie kannten, und sie gebrauchten es stets mit der Gebärde des
Kopfwaschens. Der Stamm schien sehr friedlich; dem Europäer war allerdings das
ungenierte Betasten seiner Kleider und seines Körpers fremd. Auch der von ihnen
vehement vorgeschlagene Tausch ihrer Hängematten gegen unsere Luftmatratzen hätte
vermutlich nach dem ersten Loch mindestens den Besuchern nach uns Schwierigkeiten
bereitet. Wir wehrten mit Mühe den Tauschwunsch ab.
Der andere Stamm, eine Tagesreise weiter flussaufwärts, galt als sehr mordlustig, und
auch der Missionar wagte sich nicht dort hinauf. Aber auch bei unserem Stamm war mir,
als ich im mondlosen Dunkel auf unsere Zelte aufpasste (es war notwendig, da die
Waoranis ein signifikant anderes Verhältnis zu Eigentum als wir haben), während meine
Mitreisenden auf der anderen Seite des Dorfes bei der Missionarshütte aßen, unheimlich
zumute, als ich den monotonen, dunklen und gutturalen Singsang der Waorani in den
Hütten neben mir hörte.
Viele Informationen zu den Waorani gibt es auf der Website von Erwin (”holt den Teufel
aus der Hölle”) Patzelt, der viele Jahre vor mir an der Deutschen Schule Quito tätig war,
und den ich einmal bei einem Besuch von ihm an seiner alten Wirkstätte zu einem Trip
Richtung Reventador begleiten durfte. Auch sein Buch “Menschen im Regenwald” ist für
Interessierte sehr empfehlenswert.
Erwin ist im November 2022 98-jährig verstorben.
Siegfried
Trapp
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