Samstag, 11.05.1985, 21:30
Feuer im offenen Kamin: Bisweilen scheint es, als habe das Feuer ein eigenes Leben. Nicht so
sehr die lodernden, wechselnden und schnell vergänglichen Flammen als vielmehr die stille
kraftvolle Glut.
Was ist der Unterschied zwischen „Dummheit“ einerseits und „Beschränktheit des Geistes“
andererseits? Nach meiner Definition macht mir letzteres bei meinen Mitmenschen viel mehr
zu schaffen; und das immer mehr, je mehr ich an Jahren zunehme.
22:00
Diametral zu allem voranstehenden seitenlangem Gejammer muss ich konstatieren: So gut
wie im vergangenem halben Jahr habe ich mich physisch und psychisch seit zehn Jahren
nicht mehr gefühlt, und das trotz (??) mangelnder psychosexueller Hygiene, soll heißen:
FRAU.
Montag, 17.05.1985, 21:30
Zu leben in einem warmen Land, stets gewandet in Baumwollenes.
In der Realität: Tiefhängende Wolken, Schnee am Ruku Pichincha: Es ist kalt und
unfreundlich.
Aber Wochenende.
Vaters Geburtstag: Er ist im hessischen in Kur, ich kann ihn nicht erreichen.
18:00
Einige Dinge sind wieder nachzutragen; es ist schade, dass ich es nicht immer ad hoc
schaffe. Mit Zeitabstand betrachtet sehen die Dinge doch anders aus. Authentizität und
Plastizität verlieren an Randschärfe. Deshalb jetzt was Aktuelles: Ich bade gerade meine
linke Wade in Salzwasser.
Ein aggressiver Schüler hatte sie bearbeitet. Bei einem Fußballspiel Schüler gegen Lehrer.
Körperlich-konditionell bin ich sicher in der besten Verfassung der letzten fünf Jahre, da ich
über drei Stunden Fußball pro Woche spiele und auch (gezwungenermaßen) unter der Woche
weite Strecken zu Fuß zurücklege, bin aber auch verletzungsanfällig, ich habe so gut wie
dauernd was.
Die Einweihung der neuen naturwissenschaftlichen Räume der Deutschen Schule liegt schon
ein paar Monate zurück (auch da humpelte ich), hier ein Kurzbericht:
Ein Tag voller Hektik und Vorbereitungen, und ein gelungener Einweihungsabend, zu dem
sich etwa 100 Eltern einfanden. Die naturwissenschaftlichen Lehrkräfte
machten Vorführungen, ich hatte eine Alkoholdestille aufgebaut und
machte zwischendurch ein paar Show-Experimente, u.a. einige
ordentliche Acetylen-Sauerstoff-Explosionen. Erfreulicherweise
bereitete es mir keine Schwierigkeiten mehr, vor einer größeren
Erwachsenenmenge zu sprechen.
Im Laboratorium wurde dann mit einigen Flaschen Hochprozentigem
bis lange nach Mitternacht nachgefeiert, und auch noch einige Griffe in
die chemische Trickkiste getan: Das „Laboratorio“ war in dichtem Rauch
gehüllt; und die Hausangestellten: staunend.
Auf dem Rio Cayapas, Samstag, 25.05.85, 07:30
Am Freitag um sechs Uhr früh waren wir zu dritt von Quito gestartet: Maria T., José, der in
Quito auf die Schule gehende/studierende Cayapa-Indianer, und ich. In Esmeraldas, etwa um
die Mittagszeit, aßen wir in der Nähe des Hafenviertels, bei „Tia Regina“. Das übliche Essen,
panierter Fisch mit Reis und gebratenen Bananen. Nach zwei Stunden Piste mit dem Chevy
Trooper von Maria, der ein ungehöriges Lenkradspiel hatte, erreichten wir Borbón. Der
innerhalb weniger Stunden mögliche Wechsel von Quito an die Costa oder in den Oriente
führt jeweils von einer Welt in die andere. Von optischer Zivilisation in den
Busch. Zu Bevölkerungsgruppen, die man in der südseeischen Inselwelt
vermutet, oder aber in Afrika: Cayapas und Negros. In Borbón sind sie
säuberlich getrennt durch den Fluss: Die Wellblechhütten der Negros auf der
einen Seite, die palmgrasbedeckten Hütten der Cayapa-Indianer auf der
anderen Seite des Flusses, nur mit dem Boot zu erreichen.
Das beste “Resindencial“ Borbóns ist weit von Komfort entfernt. Auf den
Straßen liegen nach dem nächtlichen Regen Schlamm und Unrat. Saunaatmosphäre. Mein
mitgebrachtes Moskitonetz ist feinmaschiger als die im Residencial hängenden schmuddligen
Exemplare. Dennoch hatten es einige Vertreter des Volkes der Arthropoda geschafft, mich
heimzusuchen, bremsenstichartige Quaddeln zurücklassend:
Das allerdings erfolgte während des Abendessens am
Flussufer, wo sich Rio Cayapas und Rio Esmeraldas gabeln.
Es gab Calde de carne, eine Fleischbrühe mit Knochen drin,
und direkt vor uns warfen die Leute ihre Abfälle in den Fluss,
standen zwischen den Abfällen zur Wochenendwäsche im
Wasser und seiften sich die Haare ein, und tauchten
zwischen Gemüse- und Knochenresten unter.
Fotofilm Borbón und Cayapas
Der Rio Cayapas ist noch mehr bewohnt als der früher schon beschriebene Rio Napo: Etwa
alle 500 m steht eine Hütte: Flüsse sind hier die wichtigsten Verkehrsadern.
Der Himmel ist bedeckt, Fahrtwind und gelegentliche Wasserspritzer verursachen mir ein
leichtes Frösteln um die Mittagszeit am Äquator.
13:00
Nach etwa 60km erreichten wir die Hütte von José´s Eltern; fünf Stunden hatten wir mit dem
von einem Yamaha-Außenborder angetriebenen Einbaum gebraucht.
Indianische Reglosigkeit in Gesichtern und Körpern bei der Ankunft das Sohnes und Bruders
nach über einem Jahr.
Wir verweilten nur etwas über eine Stunde; zwischen den Familienmitgliedern wurde nur
wenig, und wenn, leise gesprochen. Wenige Männer und viele Kinder. In der Hütte steht die
hier obligatorische „Singer“-Tretnähmaschine. Auch ein elektrisches Bügeleisen, obwohl es
weit und breit keinen Strom gibt.
Morast und Unrat.
Ich vermag nicht zu fotografieren, die steinernen Gesichter, die säugenden Mütter, die
barbusige Mutter unseres Mitreisenden.
Wieder auf dem Rio Cayapas: Dunkelgrünes Wasser, in Ufernähe staken Einbäume mit langen
Stangen flussaufwärts, manchmal treiben bananenbeladene Flöße gemächlich flussabwärts.
Der dichte Urwald ragt in das Ufer hinein.
15:00
Santamaria, vier Bootsstunden von Borbon entfernt. Eine Ansammlung von Hütten, eine
Missionsschule. Die Señora Pastora, die Pastorin, empfängt uns, wir erhalten ein gutes Essen,
besser als in Borbón.
Regen setzt ein.
Jetzt ist der Tropenguss vorbei.
Die Señora Pastora, ebenholzschwarz, von einnehmendem Wesen, führt eine Missionsschule
eine halbe Stunde flussaufwärts im Busch. Momentan ruht der Betrieb, weil das Geld
ausbleibt, der Staat zahlt nicht mehr, oder das Geld geht zwischen Quito und Esmeraldas
verloren. Die aus Deutschland entsandten Lehrkräfte des Colegio Alemán unterstützen diese
Schule finanziell ein wenig; dies war der offizielle Anlass unseres Besuchs.
19:00
Zurück in Borbón: Ich schreibe, liegend in der Hängematte auf dem zur Straße hin offenen
Dachboden des „Residencial“, auf dem sich auch unsere Schlafkammern befinden, zwischen
Kies und Holzabfällen. Zikaden summen, mehrere Radios tönen in der Nachbarschaft,
Stimmengewirr auf der Straße.
Vor einer Woche hatten wir die Illinizas, die Doppelberge, in Angriff genommen; Ri., Ch. und
ich. Regenwolken überzogen den Himmel als wir am Samstag spät, erst nach 13 Uhr, von
Quito abfuhren. Unsere Hoffnungen schienen sich unterwegs zu erfüllen, das Wetter besserte
sich, wenn auch zur Linken der Cotopaxi nicht völlig frei wurde.
In der Folge mussten wir feststellen, dass wir das Unternehmen unterschätzt hatten, wir
wussten zu wenig über das Terrain. Bis zur Schutzhütte waren es angeblich drei Stunden. Auf
der zu Beginn des Weges zu den Bergen liegenden Hacienda, wo wir S/. 200 für den
„Straßenbau“ zahlten, sagte man uns, der Weg sei „bueno“, wenn nicht sogar
„excelente“. Der Weg war haarsträubend, nicht nur für Ch. tonnenschweren
Achtzylinder-Fordbus, der Ungeheures leistete und dessen enorme
Bodenfreiheit sich bezahlt machte, sondern sicherlich genauso für einen
schweren Jeep. Regen hatte den weichen Boden ausgehöhlt, zum Teil
metertiefe Erosionsrinnen hinterlassen.
Mehrere Passagen waren gefährlich. Einmal mussten wir die
festgefahrene Hinterachse aus dem Morast ausgraben und
anschließend die Räder mit unserem mitgebrachten Holz unterlegen. Nach
erreichter Höhe von schätzungsweise 3500 m, nach zurückgelegten
schätzungsweise 1000 Höhenmetern stellten wir das Fahrzeug ab: Erstens
verloren wir pro Steckenbleiben mindestens eine halbe Stunde, und zweitens
schreckte jeder Meter mehr, den wir später die glitschigen Serpentinen bei
Regen abwärts zu fahren hatten.
Um 18 Uhr schulterten wir die schweren Rucksäcke und zogen los. Der Weg war
breit und nicht zu steil, wir marschierten mit zügigem Tempo. Es dämmerte.
Nach etwa eineinhalb Stunden Fußmarsch hörte der Weg plötzlich auf. Vor uns
lag nur noch der „Páramo“, die Hochlandgrassteppe. Wir hatten nur eine grobe
Vorstellung, wo die Hütte sein müsste: Zwischen den beiden Gipfeln, zwischen
Illiniza-Sur und Illiniza-Norte, weit über uns vielleicht.
Chemie-Aula DS Quito
Eingang zum Zimmer
des Residential “Borbón”
ausgebauter Motor
Illiniza Sur
Illiniza Norte
Siegfried
Trapp
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