Montag, 18.03.1985, 20:00
Inzwischen ist der Montag der schwerste Tag. Mit den jüngsten Klassen tue ich mich am
schwersten, obwohl da die Vorbereitung am wenigsten zeitintensiv ist, und Montags habe ich
5er und 6er, mit einer 6DK, die sehr anstrengend ist, mit zwei oder drei sehr problematischen
Kindern, die das ganze Klassenverhalten beeinflussen. Sie sind auch von der Leistung her
schwach; nach meinen Informationen kann man auch wegen eines Fachs sitzenbleiben, und
das werden bei mir, so wie es ausgschaugt, einige sein.
Vier Stunden Vormittagsunterricht heute, dazu zwei Stunden Förderunterricht für einen Teil des
6. Kurses, der im nächsten Jahr deutsches Abitur machen möchte. Wiederum eine vom
Wissenstand her sehr heterogene Truppe. Trotzdem: Ich fühle mich umso wohler, je höher die
Klassenstufe, je komplexer der Unterrichtsstoff ist. Arbeit an der Uni oder Beschränkung auf
die Oberstufe wäre für mich ideal.
Anschließend noch zwei Stunden Nachhilfe, die mir nicht sehr schmeckt: Deutsch-Nachhilfe für
einen Fünftklässler, der so gut wie keine Fortschritte erkennen lässt. Ich hätte es schon längst
abgebrochen, es geht mir nicht ums Geld. ich fühle mich aber der Familie V. verpflichtet, sie
hat mir zum Beginn mit der Wohnungseinrichtung unter die Arme gegriffen, wenn auch
vielleicht nicht aus ganz uneigennützigen Gründen.
Ich habe ein flaues Gefühl im Magen, und das Bier schmeckt mir nicht. Letzteres ist immer ein
Zeichen, dass es mir nicht besonders gut geht. Auch bin ich in letzter Zeit zu viel allein, und
ebenfalls haben in letzter Zeit Anforderungen und Arbeitsaufwand zugenommen.
21:00
Ca. ist schwanger. So. schrieb mir dies im letzten Brief. Es ist so gekommen, wie ich es
vorausgeahnt hatte, das war nicht allzu schwer. Ich hatte es vor etwa 15 Monaten in meinem
Tagebuch prophezeit, und ich habe mich nicht um mehr als zwei oder drei Monate mit dem
Schwangerschaftseintritt geirrt. Es war logisch, ihre Möglichkeit, ihr Lebensweg. Ich denke sie
wird das Kind allein aufziehen.
Die Mitteilung hat mich für zwei oder drei Tage doch schwer getroffen. Aber sie hat mir auch
geholfen und wird weiter helfen, noch vorhandene unsinnige emotionale Brücken zu zerstören.
Der einzige Mensch, der über diese mir innersten Gedankenabläufe in Kenntnis gesetzt wird,
will heißen, dem ich mich offenbare (zumindest zum Teil), und der mir, wenn auch nur indirekt
brieflich, über diese ausgeschüttete Aussprache Trost bringt, ist Bn.. Dies, und der weiß Gott
nicht zu unterschätzende sexuelle Sektor, wären gute Vorbedingungen für ein Zusammenleben:
ich wünsche es mir so manches Mal. Doch ist in mir eine Barriere aufgebaut: Bindungsangst in
todo? Angst vor Leere auf „intellektuell-kulturellem Feld“ (mein Gott wie schwulstig)? Oder bin
ich immer noch auf der Suche nach der überwältigenden, alles dagewesene
wegschwemmenden Liebe?
Ca. war nie über eine Backfischschwärmerei hinausgekommen.
Montag, 25.03.1985, 22:00
Fast völlig unfähig, was zu verändern. Als hindere mich etwas daran, schnelle, naheliegende,
einfache Lösungen zu suchen, Wege zu gehen. Das betrifft komplexeres wie Zärtlichkeit als
auch einfaches wie Essen. Tragischkomisch ist für Außenstehende mehr komisch, und für
Betroffene mehr tragisch.
Donnerstag, 04.04.1985, 03:30
Was immer bleibt: Die Fahrten durchs nächtliche Quito mit
dem Borgward Bj. 1959 müssten mit zum Unvergesslichen
gehören.
Karfreitag, 05.04.1985, 18:00
Es ist furchtbar und faszinierend zugleich, allein zu sein.
Der Schattenriss der Astern vor der Kaminglut, das Hummelsche Oboenkonzert, und und der
Wunsch: The mercy to win a girl and share this all with thee.
Samstag, 06.04.1985, 23:00
Ich habe es befürchtet und verdrängt: Osterfeiertage allein ist nackter Terror.
Montag, 08.04.1985, 16:00
Gestern von 11 Uhr bis 03:15 bei Jo.: Der Erst- und Zweitkorrektor machten sich gemeinsam
an die Korrektur des schriftlichen Biologie-Abiturs. Zuletzt hatten Müdigkeit und Whisky
unserer Aufnahmefähigkeit Grenzen gesetzt. Heute hatten wir uns nochmal zwei Stunden
daran gesetzt.
Die Schwierigkeit zu urteilen und zu werten, insbesondere in der Teilaufgabe zur
Evolutionslehre, Feilschen um Punkte und Noten, um zu einem Kompromiss zu gelangen.
Wobei ich als Zweitkorrektor milder urteilte.
Dienstag, 09.04.1985, 19:00
Schon wieder ist die Elektrizität, und schon wieder nur in diesem Stadtteil, ausgefallen. Wasser
kommt hier nur nachmittags aus dem Hahn, und abends, wenn überhaupt, nur in Rinnsalen.
Es regnet schon den ganzen Tag. Die Stimmung gleicht dem Wetter. Ich kann meine hohe Stirn
und mein Vollmondgesicht nicht im Spiegel ertragen. Flaues Gefühl im Magen, fader
Geschmack im Mund.
Die Osterferien sind vergeudet. Die vor Wochen anvisierte Galapagosfahrt mit Charly E. oder
eventuell auch mit Rolf B. und Manfred Z. fiel ins Wasser. Eine Reise, ev. mit Ku., in den
mittelamerikanischen Bereich, in die Karibik, war nicht möglich, da der Idiot von Rechtsanwalt
namens He. es in drei Monaten nicht geschafft hatte, bei mir die Visumseintragung für meine
Tätigkeit in Ecuador zu erreichen, jetzt an die Playa gefahren ist und mein Pass im Ministerium
liegt. Ich kann das Land nicht verlassen.
Wenigstens wollte ich den Jeepkauf über die Bühne bringen. Zweimal war ich bei He., der als
Zwischenhändler agierte, und mit ihm zu dem Typ, bei dem der Jeep steht, und zweimal war
der nicht erreichbar, beim dritten Mal war er ganz weg. Als ich gestern wieder bei He. war, war
auch dieser weg: Für mindestens drei Wochen nach Alemania geflogen. Das hat mich vollends
in eine Apathie hineinmanövriert. Jeder Tag ohne Auto wird zur Qual.
Ich hätte die restlichen Ferien in Ecuador rumfahren können. Eventuell.
Was ich für so einen Abend bräuchte: Ein paar gute Freunde. Gespräche, Spiel und Musik. Und
Trunk.
Ich denke in diesen Ferien oft an Bn.
Mittwoch, 10.04.1985, 12:30
Max Frisch, Die Schwierigen oder J´adore ce qui me brûle: „Jede Frau, die von ihrem Geliebten
nicht unterdrückt wird, leidet schließlich an der Angst, ihm überlegen zu sein - an der Angst,
dass er kein wirklicher Mann sei“
„……das ist Turandot, die Prinzessin aus dem chinesischen Märchen, die die Männer enthauptet:
aus Enttäuschung und Trauer, dass sie es überhaupt vermag……..“
Die Auseinandersetzung mit dem Thema dauert an.
Samstag, 13.04.1985, 01:30
So ich die hohe Stirn sehe. Die tiefen Falten darin. Die langen Haarsträhnen links und rechts
runterlaufend: Ich werde doch nicht etwa alt werden? La primera vez esto me parece. Jeder
solcher Tag ein verlorener?
Mónica? Zumindest der Versuch des Kennenlernens wäre? Ein Leverkusener Leichtathlet (und
Geograph) hatte mich gestern auf der Peña abgelenkt.
12:00
Der Morgen sieht mich mit klarem analytischem Verstand, doch ohne Antriebskraft und
Energie. Der Abend mit umgekehrtem Vorzeichen. Die Zeiten von Kopf und Körper.
Sonntag, 14.04.1985, 21:30
Morgen fängt die Schule wieder an, und ich muss sagen: Ich habe so gut wie keine Lust dazu.
14 Wochen bis zu den Sommerferien.
Montag, 22.04.1985, 22:30
Ich bin in einer Stimmung, in der ich mich meines Alleinseins todernst bewusst bin. Es gibt
jedoch wenige Menschen, die ich jetzt sehen, um mich haben möchte. Es müsste eine Frau
sein; ich hätte es am liebsten, wenn es Bn. wäre.
Ich bin erschüttert, aber stark. Das fast ausnahmslos, seit ich hier im Lande Ecuador bin.
Ich möchte mich in einer Frau besinnungslos verlieren.
Ich bin 32 Jahre alt.
Dienstag, 23.04.1985, 20:00
Schon wieder ein Stromausfall, es häuft sich. Immer ist das Gleiche zu beobachten: Zuerst
Dunkelheit, soweit das Auge reicht; nach einiger Zeit blinken im Süden und Südwesten wieder
Lichter; unser Stadtteil bleibt am längsten im Dunkel.
Ich bin still, und mir ist schwer ums Herz. Ich habe auch Bn. einen sehnsuchtsvollen Brief
geschrieben, nach vielen von ihr den ersten von mir in dieser Art. Ich brauche Trost und Liebe.
Viele Erlebnisse wären nachzutragen, doch ich mag nicht.
Mittwoch, 23.04.1985, 22:00
Zurück vom Fußballspielen: Ich möchte jetzt etwas Schönes machen.
Samstag, 04.05.1985, 20:30
Das verdammte Indianerdorf Quito kotzt mich an: Wieder mal kommt kein Wasser zum
Duschen. Keine Frauen. Die Kneipen fast leer, die Atmosphäre darin ungemütlich und
keinesfalls kontaktfördernd. Ab 22 Uhr sind die Straßen leergefegt, zum Teufel mit diesem
indianischen Bergdorf! Was machen die Leute hier bloß? In Deutschland hatte ich kein Geld
und keine Wohnung, und doch weit mehr Kontakte als hier, wo ich beides habe. So habe ich
mir dies nicht träumen lassen. Ich habe keine Ahnung, wie sich diesbezüglich was ändern
könnte.
Ich muss gleich mal schauen, wie viele asiatische Schulen ich angeschrieben habe.
Und Bn. hat seit über drei Wochen auch nicht mehr geschrieben.
Sonntag, 05.05.1985, 15:30
In Anlehnung an Hesses „Wanderungen” (1918/19): Ich weiß nicht, ob ich Bauer oder Nomade
bin.
Siegfried
Trapp
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