Diario de un motociclista/6
Santa Cruz de la Sierra, 17. Mai 2006, Tag 19
Der Bericht brach ab in "San Ignacio", Tag 15
Am nächsten Tag musste ich leider weitere Ölverluste am Motorrad zur
Kenntnis nehmen, diesmal am Zylinder.
Weiter zum Ort San Miguel: Missionskirche. Dann San Rafael: Missionskirche; die sechste.
Falls eine geschlossen ist, findet sich ein Kirchendiener, der sie für eine kleine
Spende (für Kerzen und für ihn) gerne öffnet.
Der grundsätzliche Aufbau aller Kirchen der
Jesuitenmissionen in der Chiquitania ist ja
immer derselbe, aber in den Details, vor allem in
der Innenausschmückung, finden sich doch sehr
interessante Unterschiede. Das gilt auch für die siebte in meiner
Reihe, in San José de Chiquitos, die, im Kolonialstil aus Stein
erbaut, in warmen Farben im Abendlicht leuchtete.
In San José war es endlich wärmer.
Noch in der Dunkelheit versuchte ich Motorradreparateure zu finden, aber der eine der, man
verzeihe mir den Ausdruck, Hühnerhofmechaniker war nicht da, der andere am Arbeitsplatz
betrunken. Immerhin war ja Samstagabend. Der Betrunkene bot zwar an, am Sonntag zu
arbeiten, allein er machte einfach nicht den Eindruck auf mich, den ich mir für die
kompliziertere Reparatur am Zylinder gewünscht hätte.
So nahm ich am Sonntag die Fahrt Richtung Santa Cruz in Angriff, über Pozo del Tigre. Die
Landschaft ist zunächst pantanalartig, mit teils stahlblauen, teils algengrünen Teichen, die
Fahrbahn hügelig, kurvig, aus rotbrauner Erde. Völlig einsam, ohne jedes Pueblo, ohne
Verkehr. Danach geht es viele Kilometer geradeaus, langweilig chacoartig mit
Buschvegetation.
In der Gegend von Tres Cruces breitet sich plötzlich eine gepflegte Kulturlandschaft zu beiden
Seiten der Strasse aus, mit regelmäßig angelegten Feldern, ausgerichteten
Ährenbündeln, Baumalleen. Pferdekutschen mit Kindern in sonntäglichen
Trachten, Frauen in langen Kleidern und mit Hüten, Männer uniformiert in
blauen Latzhosen und blauen Schildmützen, an die USA der 30er Jahre
erinnernd: Mennonitenkolonien.
Zwischen Tres Cruces und Pailón wird die Strasse katastrophal. Bis zu 80 cm tiefe
Schlaglöcher wechseln ab mit für das Motorrad noch weit schlimmeren kilometerlangen
Abschnitten von 20 - 30 cm hohem feinsten Staub, auf dem das Zweirad
schwimmt. Auch die (sehr wenigen) Vierräder fahren Schritttempo. Wie das ist,
einen Lastwagen in den lichtundurchlässigen und erstickenden Staubwolken zu
überholen, mag sich jeder selbst vorstellen. Die Streckenlänge San José - Santa
Cruz beträgt auch nicht, wie im Reiseführer angegeben 255 km, sondern etwa
310 km. Übrigens nicht auszudenken, wie die Piste nach einem Regen aussieht. In
jedem Fall unpassierbar.
Ab Pailón beginnt der Asphalt und damit sofort relativ starker, schnellfahrender
Verkehr. Die Nacht bricht herein, als ich Santa Cruz erreiche, ich finde zunächst kein Hotel,
und übermüdet (und wie fast immer ohne Essen seit dem Frühstück) nehme ich die erste
Absteige, die ich finde.
Ein schwerer Fehler.
Ich bin an der Ecke Av. Irala/Av. Añoto, eine der übelsten Gegenden von Santa Cruz de la
Sierra gelandet. Menschen schlafen neben Hähnchenbratereien mitten auf der
Strasse, ohrenbetäubende Musik schallt aus allen Löchern. Mein Zimmer für 40
Bolivianos (etwa 4 €) liegt über einer Ballerspielautomatenhölle. Um etwa 11 Uhr
nachts (wohlgemerkt, wir haben Sonntag) beginnt in dem drei Meter unter
meiner Zimmerfenster liegenden Innenhof, der vielleicht 20 qm groß sein mag
und der auf allen vier Seiten von Gebäuden umgeben ist, eine Kapelle aus
Blechbläsern und Paukenschlägern ein etwa zweistündiges Geburtstags-
ständchen. Danach gibt es Merenguegedudel in voller Lautstärke, gelegentlich noch von
Geschrei übertönt. Selbstgefertigte Ohrstöpsel aus Klopapier werden von dem Lärm spielend
leicht durchdrungen. Zwischen 4 und 5:30 Uhr morgens trommelt eine Frau gewalttätig und
hartnäckig gegen die Absteigetüren in meinem Stockwerk und sucht schrill und verzweifelt
eine(n) Maní, die/der nicht antwortet. Gegen 6 Uhr setze ich meine Kopfhörer mit eigener
Musik auf, da die Hoffnung geschwunden war, dass das Fest irgendwann ein Ende wegen
Übermüdung findet.
Als ich morgens um 9 Uhr das Hotel verlasse, ist das Fest im Innenhof unverändert im Gang.
Da sich Lebenswille und Lebensfreude zu einem Gutteil aus überstandenen Schwierigkeiten
rekrutieren, wechselte ich schwungvoll (soweit dies die Übermüdung zuließ) das Hotel und
zog ins Zentrum, wo ich jetzt eine fast paradiesische Ruhe habe. Was war das für eine Nacht,
was für eine Umgebung für Kinder und Jugendliche, eine Umgebung von Krachberieselung,
Schmutz, Stumpfsinn, Unvermögen und Ohnmacht.
Die Stadt Santa Cruz bietet nicht viel Schönes, verströmt auch einen wesentlich kriminelleren
Charakter als La Paz, wirkt wie eine primitive Hure.
Da die Kupplungshand und die Schultern von den Anstrengungen der Piste
schmerzen und die Folgen des Sturzes auch noch nach 18 Tagen spürbar sind (und
nebenbei gesagt bei der weiteren Planung der Reise kein Fernseher mit der
Übertragung des bevorstehenden Championleague-Finales in Reichweite sein
dürfte), beschließe ich nach zwei Erdinger Kristallweizen im "Reineke Fuchs" drei
Ruhetage in Santa Cruz de la Sierra einzulegen.
Der gestrige Tag: Fußmärsche durch Santa Cruz, Abstecher zur
Deutschen Schule und in den "Parque Zoologico".
Letzterer ist nach Eigenwerbung einer der schönsten in
ganz Südamerika. Das kann ich so nicht bestätigen. Eher
etwas verwahrlost. Am interessantensten ist, dass einige
Tiere (Jochis, Faultier, Schwarzaffen) aus den Käfigen
entkommen sind und frei im Zoo vagabundieren. So kommt man zu natürlich
aussehenden Fotos.
Schön dagegen ist eine große begehbare Vogelvoliere.
Abendessen im italienischen Restaurant "Michelangelo", für das die Auskunft des "South
American Handbook" absolut zutrifft: Not cheap, but very good. Dort leistet mir der
Exilschwede Frederik Lindstroem ("Federico Lindo") Gesellschaft, den ich auf seiner Finca in
Nicaragua kennen gelernt hatte (zusammen mit seiner Frau, Schwester der ehemaligen Miss
Nicaragua, und ebenfalls sehr hübsch, bei der Costa Rica- Reise mit der Familie
Krauss), den ich jetzt zufällig im "Michelangelo" traf.
Siegfried
Trapp
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