Siegfried
Trapp
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KLEINE GESCHICHTE DER
KLIMADEBATTE
Frank Uekötter
Die naturwissenschaftliche Erforschung des
Klimawandels ist von einer stetig
wachsenden Gewissheit geprägt. Bei der
historischen Aufarbeitung der
Klimadebatte scheint der Trend in die
entgegengesetzte Richtung zu gehen: Das
Gesamtbild wird zunehmend unscharf. Das
liegt einerseits am Gegenstand, dessen
stetige Expansion gegen Grenzen des
Wachstums ziemlich immun zu sein scheint –
wie bilanziert man eine weltumspannende
Debatte, in der unterschiedlichste
Disziplinen, fast 200 Regierungen und eine
riesige Schar von Interessenten zusammen-
wirken?
Andererseits haben die Hoffnungen und
Frustrationen der Klimadebatte auch im
Geschichtsbild ihre Spuren hinterlassen.
Jeder weiß, dass der anthropogene
Klimawandel schneller voranschreitet als
die globale Klimapolitik, und da liegen
kontrafaktische Spekulationen nahe.
Vielleicht wäre das Ganze anders gelaufen,
wenn wir nicht irgendwo einmal falsch
abgebogen wären?
Im April 2019 veröffentlichte Nathaniel Rich
einen Bestseller, der sich in diesem Sinne
auf die Zeit von 1979 bis 1989 konzentriert –
dies sei das Jahrzehnt gewesen, in dem wir
die globale Erwärmung beinahe in den Griff
bekommen hätten. Rich ist eigentlich
Romanautor, und so liest sich seine
Darstellung auch. „Losing Earth“ ist die
Geschichte einiger kluger Männer, die das
Desaster frühzeitig erkannten. Es ist ja
eigentlich auch ganz einfach: Die Nutzung
fossiler Energien läuft auf eine höhere
Konzentration von Kohlendioxid in der
globalen Atmosphäre hinaus, und
Kohlendioxid ist ein Treibhausgas. Hatte der
schwedische Wissenschaftler Svante
Arrhenius nicht schon im späten 19.
Jahrhundert von einem globalen
Temperaturanstieg gesprochen? Und der
Mann hatte immerhin 1903 den Chemie-
Nobelpreis bekommen.
Es ist eine romantische Vorstellung, dass
Politiker sofort reagieren, wenn
renommierte Wissenschaftler ihre Stimme
erheben. Das gilt jedenfalls dann, wenn
man mit dem Abstand der Jahrzehnte sicher
sagen kann, auf welche Forscher man hätte
hören sollen. Die Eindeutigkeit der
naturwissenschaftlichen Diagnose scheint
eine Sehnsucht nach ähnlicher Eindeutigkeit
in der historischen Erzählung zu befördern,
aber Klarheit gibt es in der Geschichte der
Klimadebatte nur dann, wenn man Kontexte
systematisch herausschneidet und alles auf
die politisch gewünschte Erzählung
fokussiert. Dabei kann man aus dieser
Geschichte viel mehr lernen, wenn man sie
nicht nur als Ressource für tagesaktuelle
Schlachten behandelt.
VORLÄUFER
DER KLIMAFORSCHUNG
Gerne werden Wissenschaftler des 19.
Jahrhunderts als Vordenker der heutigen
Klima-forschung verortet, aber das
funktioniert nur mit erheblichen
intellektuellen Verrenkungen. Der
Historiker James Rodger Fleming diskutiert
Arrhenius zusammen mit Joseph Fourier,
John Tyndall und Thomas Chrowder
Chamberlin als Exponenten eines kruden
Monokausalismus. Sie konzentrierten sich
jeweils auf einen einzelnen Aspekt,
Arrhenius etwa auf den Anstieg der globalen
CO2 -Konzentration, und nahmen nur
widerwillig zur Kenntnis, dass beim
Weltklima auch andere Faktoren eine Rolle
spielen. Heute weiß jeder von den
Wettervorhersagen, dass es im
komplizierten Wechselspiel der Kräfte in
der Atmosphäre immer wieder Über-
raschungen gibt, und die Ungewissheiten
wachsen zwangsläufig, wenn man den
gesamten Globus und die ferne Zukunft in
den Blick nimmt.
Es sind nicht nur die groben Simplifizier-
ungen, in denen sich Arrhenius und seine
Zeitgenossen von der heutigen Klima-
wissenschaft unterscheiden. Sie schrieben
auch mit einem anderen Anspruch. Wenn
etwa Arrhenius darüber spekulierte, ob eine
höhere CO2 -Konzentration vielleicht gut für
den Planeten wäre, dann handelte es sich
letztlich um ein intellektuelles Spiel, das
man im fin de siècle auch gerne
kulturpessimistisch einfärbte. Mit dem
Narrativ vom Aufstieg und Fall der großen
Mächte war der gebildete Bürger schon
durch das Studium der Antike vertraut. Der
heute so selbstverständliche Schritt von der
Diagnose zur Bekämpfung des Problems
fehlt im damaligen Schrifttum. Es gab ja
auch niemanden, an den man klima-
politische Wünsche hätte adressieren
können.
Die Zeit um 1900 gilt zwar als eine
Blütezeit dessen, was heute Globalisierung
heißt, eine Weltpolitik zur Bekämpfung
des Klimawandels lag aber jenseits des
Horizonts der politischen Möglichkeiten.
Von 1914 bis 1945 war die Idee erst recht
absurd, danach änderte sich jedoch die
Situation: Der Kalte Krieg schuf einen
Möglichkeitsrahmen, der bis in die Gegen-
wart nachwirkt. Wer die Klimadebatte
verstehen will, kommt um den Kalten Krieg
nicht herum.
KALTER KRIEG ALS MÖGLICHKEITSRAHMEN
Der auf dem ideologischen Gegensatz
zwischen USA und Sowjetunion basierende
Kalte Krieg hatte eine Vielzahl von
Konsequenzen, die auf ganz unter-
schiedlichen Ebenen spielten und keinem
einheitlichen Muster folgten. Es waren in
vielen Fällen ungeplante Nebenfolgen, die
man im militärischen Sprachgebrauch
wahlweise als Spin-off oder als
Kollateralschäden bezeichnen könnte. Wenn
man die aktuelle Klimadebatte deshalb als
Produkt des Kalten Krieges versteht, dann
ist dies keineswegs so zu verstehen, als
habe der Kalte Krieg eine Bühne
geschaffen, auf deren Brettern nun das
globale Spektakel einer Weltinnenpolitik
inszeniert wird. Es war eher so, dass – um
im Bilde zu bleiben – am Ende des Kalten
Krieges ein paar Planken nebeneinander
lagen, auf denen die globale Klimadebatte
seither einen prekären Balanceakt aufführt.
Die erste dieser Planken bestand in der
neuen Globalität des Denkens. Der Kalte
Krieg war wahrhaft weltumspannend, und
im Unterschied zu den beiden Weltkriegen
gab es kein europäisches Gravitätszentrum.
Noch 1941 hatten die USA ein
Hilfsprogramm für Saudi-Arabien abgelehnt,
weil das Land nicht wichtig zu sein
schien – aber im Kalten Krieg zählte jeder
Winkel des Planeten. Das hatte Folgen für
die mentalen Landschaften.
Man musste erst einmal auf die Idee
kommen, den Planeten als Ganzes in den
Blick zu nehmen, damit ein Phänomen wie
die globale Erwärmung überhaupt denkbar
wurde. Bis dahin hatten Wissenschaftler
über Veränderungen des Klimas als
regionale und lokale Phänomene
nachgedacht, und „Klima“ war ein Begriff
für die typischen meteorologischen
Bedingungen in einem begrenzten
geografischen Raum. Die Selbstverständ-
ichkeit, mit der wir heute Klima global
denken, ist das Produkt einer mentalen
Revolution, die nur ein paar Jahrzehnte
zurückreicht.
Zweitens brachte der Kalte Krieg einen
neuen Typus der Großforschung hervor. Das
Manhattan-Projekt, mit dem die USA im
Zweiten Weltkrieg die Atombombe
bauten, war paradigmatisch für neue
wissenschaftliche Großprojekte, bei
denen Legionen von Forschern gemeinsam
an Herausforderungen arbeiteten. Seither
wuchsen die Zahl und die Intensität der
Kooperationen, die über nationale und
disziplinäre Grenzen hinausreichten, und
diesem Pfad folgte das globale Netzwerk
der Klimaforschung, das ab den 1980er
Jahren entstand. Die alte Welt der
Universitäten lebte weiter, aber der
Strahlenglanz der großen Lehrstuhl-
inhaber, der die Wissenschaft des 19.
Jahrhunderts geprägt hatte, wollte sich
nach 1945 nicht mehr einstellen. Große
Forscher waren nun vor allem Manager
großer Teams und Delegierte, die auf
Konferenzen Berichte über den Stand der
Forschung aushandelten.
Die heutige Klimaforschung profitiert von
internationalen Gemeinschaftsprojekten,
die es ohne den Kalten Krieg vielleicht gar
nicht gegeben hätte. Die berühmte
Keeling-Kurve, die den Anstieg der CO2 -
Konzentration in der globalen Atmosphäre
zeigt, ging zum Beispiel auf das
Internationale Geophysikalische Jahr
1957/58 zurück, das auch gemeinsames
Forschen in einer geteilten Welt
symbolisierte. Seither werden auf dem
Mauna Loa Vulkan auf Hawaii regelmäßig
Messungen vorgenommen, die bei der
Entwicklung der Klimawandel-Hypothese
eine zentrale Rolle spielten. Das
Messprogramm wäre wohl nach ein paar
Jahren eingegangen, wenn die US-
amerikanische National Science
Foundation nicht nach dem Sputnik-Schock
1957 eine kräftige Finanzspritze zur
Förderung der wissenschaftlichen
Grundlagenforschung bekommen hätte.
In der Nähe der Wostok-Forschungsstation
bohrten französische und sowjetische
Wissenschaftler in den 1980er Jahren
gemeinsam im Eis der Antarktis. Die
Wostok-Eisbohrkerne wurden zu einer Be-
rühmtheit der Klimadebatte, weil es durch
die im Eis eingeschlossenen Gasbläschen
möglich wurde, die Zusammensetzung der
Atmosphäre über 420 000 Jahre hinweg zu
rekonstruieren.
Zum Kalten Krieg gehörte auch der
Protest. Die „Kampf dem Atomtod“-
Kampagne, die die betuliche Adenauer-
Republik der 1950er Jahre erschütterte,
war Teil einer globalen Protestbewegung,
die von einem Amalgam pazifistischer und
ökologischer Motive getrieben wurde.
Frieden war bereits zuvor ein politisches
Thema gewesen, und das gleiche galt für
die Probleme der natürlichen Umwelt,
aber die Kombination beider Anliegen war
neu, und daraus erwuchs eine Tradition,
die in der heutigen Klimadebatte
weiterlebt. Seit den 1970er Jahren gab es
in den Ländern des Westens agile
Umweltbewegungen, und in den 1980er
Jahren interessierten sich auch die
Dissidenten Osteuropas für Umwelt-
probleme. Ohne eine ökologisch
sensibilisierte Öffentlichkeit ist die
Klimadebatte der vergangenen Jahrzehnte
kaum zu denken.
ZIVILGESELLSCHAFTLICHE
MOBILISIERUNG
Die Umweltbewegung entfaltete eine
enorme gesellschaftliche und mediale
Resonanz, die bei euphorisch gestimmten
Zeitgenossen Visionen einer
Weltbürgergesellschaft sprießen ließ. Das
hatte freilich mehr mit naiven Hoffnungen
und den Schuldgefühlen des modernen
Konsumbürgers zu tun als mit den
institutionellen Realitäten. Die politischen
Ressourcen der Umweltverbände waren
stets überschaubar, und mit den
Lobbyisten, die große Energiekonzerne
finanzierten, konnten sie nicht einmal
ansatzweise mithalten. Eindrücklich zeigte
sich dies in den Vereinigten Staaten, wo es
auf der einen Seite ein Netzwerk von
Umweltverbänden gab, das Anfang der
1980er Jahre weltweit führend war und in
den folgenden Jahrzehnten kräftigen
Rückenwind aus der internationalen Klima-
forschung erfuhr, und auf der anderen
Seite die Milliarden der konservativen
Koch-Brüder standen, die im großen Stil in
Klimaskepsis investiert wurden.
Umweltverbände hingen stets an
Mitgliedsbeiträgen und Spenden aus der
Zivilgesellschaft, und das machte sich
nicht nur in notorisch knappen Budgets
bemerkbar. Der anthropogene
Klimawandel war für Umweltverbände
stets eines von zahlreichen Themen:
Naturschutzgebiete, bedrohte Arten, Blei
und Ozon in der Luft, Müll, Kernkraft,
Supergifte wie Dioxin – immer wieder
mussten Bürger und Verbände
Entscheidungen treffen, was ihnen
wirklich wichtig war, und da war ein
globales Problem wie der Klimawandel ein
klassisches Verliererthema. Wenn ein
Chemiewerk seine Nachbarn krank
machte, gab es eine klar umgrenzte
Gruppe der Betroffenen und konkrete
Maßnahmen, für die sich kämpfen ließ.
Aber wie mobilisiert man eine globale
Gemeinschaft für schmerzliche Ein-
schnitte, die erst auf lange Sicht ihre
Wirkung entfalten?
Die Proteste der vergangenen Monate
verstellen leicht den Blick dafür, dass die
zivilgesellschaftliche Mobilisierung für
den Kampf gegen die globale Erwärmung
meist ziemlich schwerfällig war. US-
amerikanische Umweltverbände
konzentrierten sich lieber auf konkretere
Probleme mit überschaubarem Zeit-
rahmen. Die bundesdeutsche Umwelt-
bewegung, die starken Zulauf aus den
Bürgerinitiativen der 1970er Jahre erfuhr,
tat sich mit dem Sprung zu globalen
Themen ebenfalls schwer, zumal das
Klimathema ein wenig quer zum populären
Protest gegen die Kernenergie lag. Es gibt
sehr zu denken, dass hinter dem
legendären „Spiegel“-Titel vom Sommer
1986, der als Menetekel des Klimawandels
den im Meer versinkenden Kölner Dom
zeigte, nicht etwa ein Umweltverband
steckte, sondern der Arbeitskreis Energie
der deutschen Physikalischen Gesell-
schaft. Diesen Physikern ging es nicht nur
um das Weltklima, sondern auch um die
Kernkraft, die nach Tschernobyl in der
Defensive war.
NATIONALSTAAT
ALS ZENTRALER AKTEUR
Für eine globale Klimapolitik brauchte
man jedoch nicht nur kluge
Wissenschaftler und engagierte Verbände,
sondern auch politische Institutionen. Seit
den 1980er Jahren stehen dabei die
nationalstaatlichen Regierungen im
Mittelpunkt, und dahinter steckt ebenfalls
ein Erbe des Kalten Krieges. Dieser
markiert auch einen historischen
Höhepunkt für die Autorität der
Nationalstaaten, denn er bedeutete eine
gesamtgesellschaftliche Kraftanstreng-
ung: Der Kampf der Systeme tobte auf
allen Ebenen bis hin zur US-
amerikanischen Einbauküche, über die
Richard Nixon und Nikita Chruschtschow
1959 in Moskau ein legendäres
Streitgespräch führten.
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