Siegfried Trapp
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 Damit besaßen die Regierungen in Ost und West eine enorme Verfügungsgewalt über gesamte Volkswirtschaften, die gesell- schaftlich weithin unumstritten war. Selbst der  Neoliberalismus,  seit den 1970er Jahren im Aufwind, verstand Deregulier-ung und Privatisierung zunächst als ein klar umgrenztes Projekt. In der globalen Konkurrenz der Systeme konnte es sich keine Regierung leisten, die eigene Ökonomie einfach aus der Kontrolle zu entlassen. Die Imagination des mächtigen National- staats prägt die Klimaliteratur bis in die Gegenwart. Rich lässt sein Buch mit einer Regierungskonferenz im niederländischen Noordwijk 1989 enden, auf der sich die USA querstellten. Dort sei eine historische Chance vergeben worden:  Wenn  sich damals die Regierungen  des  Westens  einem  entschlossenen Kampf gegen die globale Erwärmung verschrieben hätten, lebten wir  heute in einer anderen Welt. Das war damals eine durchaus populäre Vorstellung, die nicht nur von der idealistischen Sorge um den blauen Planeten beflügelt wurde. Aus  heutiger  Sicht  ist  offenkundig,  dass  die Krise der Staatlichkeit zu den zentralen Entwicklungen der vergangenen drei Jahrzehnte zählt. Es ist durchaus offen, ob die heutigen Regierungen die politischen Mittel zum drastischen Umsteuern besäßen, selbst wenn sie einen solchen Kurswechsel tatsächlich wollten. Die Macht der Nationalstaaten erodiert in vielfältigen Formen, unterdessen ächzen die  Wohlfahrtsstaaten des Westens unter  Schuldenbergen, einem Gewirr von rechtlichen und finanziellen Verpflicht- ungen und apathischen Bürgern, die sich für große politische Programme nicht mehr begeistern lassen. Die  Illusion der nationalstaatlichen Verfügungsmacht wurde jedoch tief in die globale Klimapolitik eingeschrieben. Mit der Klimarahmenkonvention, die 1992 auf dem Erdgipfel von Rio de Janeiro unter- zeichnet wurde, wurden die National- staaten zu entscheidenden Akteuren,  deren Regierungen sich alljährlich zu Klimakonferenzen mit fünfstelliger Teilnehmerzahl treffen. Klimapolitik ist seither automatisch Klimadiplomatie, auch wenn das von der Sache her nicht unbe- dingt zwingend war. Man hätte auch die multinationalen Energiekonzerne ins Visier nehmen können oder auch das Anspruchs- denken westlicher Konsumbürger. Vielleicht  brauchte  man nicht nur eine andere Politik, sondern auch andere Vorstellungen vom guten Leben? ENGER KLIMAPOLITISCHER KORRIDOR Materialismus und Wachstumsdenken sind in den Gesellschaften des Westens nahezu zweite Natur, und auch das ist ein Erbe des Kalten Krieges. In Ost und West lebte man in den 1950er und 1960er Jahren den kurzen Traum der immerwährenden Prosperität, der schon damals mehr  Schein als Sein war. Auch in der Bundes- republik der Wirtschaftswunderjahre lebten Menschen in prekären materiellen Verhältnissen, und  Vollbeschäftigung gab es erst ab 1961, aber all dies verschwand hinter einem langen Boom mit Wachstums- raten, die in der Geschichte des modernen Kapitalismus ihresgleichen suchen. Nach den multiplen Krisen in der Zeit der Welt- kriege war das eine gänzlich unerwartete Wendung, deren praktische Konsequenzen erst nach und nach ins Bewusstsein rückten. Die berühmte Studie „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome konnte nur deshalb 1972 zum Weltbestseller werden, weil die meisten Menschen bei aller Wachstumseuphorie nie darüber nachgedacht hatten, dass exponentielle Wachstumsraten auf einem begrenzten Planeten früher oder später in einer Katastrophe enden mussten. Das Jahr 1945 gilt inzwischen als umwelt- historische Epochenschwelle erster Güte. Der Schweizer Umwelthistoriker Christian Pfister prägte in den 1990er Jahren den Begriff „1950er Syndrom“, sein amerika- nischer Kollege John McNeill sprach lieber von einer „großen Beschleunigung“, aber im Kern ging es um den gleichen Befund: Nahezu alle Parameter, die den Einfluss des Menschen auf seine natürliche  Umwelt maßen, schnellten mit beängstigender  Geschwindigkeit und Stetigkeit nach oben. Die  Folgen sind nicht nur in dem beständig steigenden CO2 -Gehalt der globalen Atmosphäre zu erkennen. Sie stecken gleichermaßen in Siedlungsstrukturen und gesellschaftlichen Leitbildern, Ernährungsgewohnheiten  und Mobilitätsansprüchen, elektrischen Küchengeräten und Düsenflugzeugen, und all dies erwies sich als ausgesprochen resistent gegenüber den moralischen Appellen, die ab den 1980er Jahren zur transnationalen Klimadebatte gehörten. Einige zentrale Entwicklungen fallen sogar in die Zeit nach  dem Erdgipfel von Rio 1992, so etwa der Boom der Billigflieger oder der globale Siegeszug der Klima- anlage. So operierten die Klimapolitiken der Welt von Anfang an in einem ziemlich engen Korridor. Die demokratischen Industriegesellschaften des  Westens fürchteten, durch eine allzu forsche Politik die eigene Legitimität zu unter- graben,  und die boomenden Ökonomien des Globalen  Südens, allen voran China, folgten dem westlichen Wachstumspfad mit der naiven Begeisterung der bundesdeutschen Wirtschaftswunder- jahre. Auch institutionell waren die Würfel gefallen. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) war seit seiner Gründung 1988 der zentrale Aushandlungs- mechanismus für periodische  Berichte über den Stand der Klimaforschung, und die Klimapolitik operierte im Takt der „conferences of parties“ der Klima- rahmenkonvention. Das war, so der Globalsprech der Diplomaten, „the only game in town“. Das  IPCC baute auf der  Tradition der vernetzten Großforschung auf, aber seine Mission war  bedeutend  anspruchsvoller  als  beispielsweise die gemeinsamen Expeditionen des Internationalen Geophysikalischen Jahres. Seine  Aufgabe war Konsensfindung unter intensiver  Beobachtung von Medien und Politik, und es fehlte nicht an skeptischen Prognosen. Ein Team um den Wissenschaftssoziologen Peter Weingart ging  davon aus, dass die Klimadebatte auf ewig in einem Dreieck von Wissenschaft, Medien und politischen Entscheidungsträgern pendeln  würde, weil die Akteure im Umgang mit Un- sicherheit  ganz  unterschiedlich gepolt waren. Für Journalisten sei Unsicherheit eine Neuigkeit, für Wissenschaftler Ausgangspunkt für Forschungsprojekte, und die Politik lege am liebsten die Hände in den Schoß, solange nicht alles klar ist. BOOM  DER KLIMAFORSCHUNG   Vor dem Hintergrund dieser Erwartungen wurde die globale Klimaforschung zu einer der großen Erfolgsgeschichten der modernen  Wissenschaft. Es gab zwar ein paar peinliche Fehlleistungen, die von einschlägigen Interessenten grell ausge- leuchtet wurden, aber letztlich zeigte das eher die wachsende Verzweiflung der Skeptiker. Vor der Jahrtausendwende gab es noch Wissenschaftler, die die Forschung mit gut begründeten Zweifeln heraus- forderten, aber danach wuchs die Gewissheit, während sich die Kritiker mit schrillen Tönen um Kopf und Kragen redeten. Irgendwann machten sie sich nicht einmal mehr die Mühe, eigene Hypothesen  aufzustellen, die man mit den Mitteln der Wissenschaft überprüfen konnte, und konzentrierten sich ganz auf das Streuen ätzender Zweifel. Gerne  klagen  Klimaforscher  über  die  Hartnäckigkeit der Skeptiker, aber darin hallt auch das  Triumphgeheul der Gewinner nach.  Inzwischen ist das Leugnen des Klimawandels  nur noch ein politisches Problem, und man muss eher Sorgen haben, dass sich die Forscher im Siegesrausch einen gehörigen Schwips antrinken.
Weniger augenfällig war ein Sieg der Wissenschaft an einer anderen Front. Es gab neben den Skeptikern auch forsche Experten mit einfachen Lösungen, die man erst einmal im Zaum halten musste. Der Ozeanograf John Martin prahlte 1988, er könnte mit einem halben Tanker voller Eisen eine neue Eiszeit auslösen. Das Eisen würde zu einem schnellen Wachstum des Phytoplanktons im südlichen Polarmeer führen und dadurch die Sequestrierung von Kohlendioxid  im  Ozean  auf  Touren bringen. Das Geoengineering ist als Option weiterhin im Spiel, aber bislang ist klar, dass es dafür eines breiten Konsenses und einer Sensibilität für Nebenwirkungen bedarf. Kritische Entwicklungen gab es in der Forschung  vor allem im Globalen Süden, und sie hatten weniger mit kognitiven Unsicherheiten zu tun als mit den ungeplanten Nebenfolgen gutgemeinter Politik. Während westliche Gesellschaften problemlos große Forschungszentren für Klima- forschung finanzieren konnten, sah das in armen Ländern anders aus. Die Soziologin Anita Engels hat für den Senegal gezeigt, wie knappe Ressourcen aus lokal wichtigen Forschungsprojekten abgezogen wurden, weil das Land gemäß Kyoto- Protokoll ein eigenes Klimakonzept entwickeln musste, auch wenn es nur ein paar Millionstel der globalen Treibhausgase produzierte.   Der globale Kampf gegen die Wüsten- bildung, der ebenfalls auf einer Rio- Konvention basiert, blieb notorisch unterfinanziert, und es ist offen, ob die geplanten  Hilfsprogramme  für Klima-adaption daran etwas ändern werden. Inzwischen  kämpft  die Klima- forschung  zunehmend mit dem Problem, dass sie an die Grenzen  ihres  Erfolgsmodells gelangt. Bei der Problemdiagnose geht es nur noch um graduelle Verbesserungen, die sich begrenzt zur fachwissenschaftlichen Profilierung eignen, und Fragen der Klimaadaption und Klimagerechtigkeit entziehen sich einer Beantwortung, die in vertrauter Weise auf die Instrumente der naturwissen- schaftlichen Forschung setzt. Zugleich geht es bei der Klimaadaption um viel Geld. Es bleibt abzuwarten, wie viel Finanzmittel nach dem Klima- abkommen von Paris für den Umgang mit Schäden zur Verfügung stehen werden, aber  Verteilungskonflikte und ungeplante Nebenfolgen sind vorprogrammiert. Vom Abglanz der Aufklärung  wird nicht viel übrig- bleiben, wenn es um Entscheidungen über Milliardenetats geht, und im schlimmsten Fall droht die Rückkehr der Entwicklungshilfe mit der Gießkanne. Das größte Problem der Klima- forschung bleibt freilich die Kluft zwischen Wissen und Handeln. Das Schneckentempo der Politik ist immer schwerer zu ertragen, von den reaktionären Zumutungen eines Donald Trump oder Jair Bolsonaro einmal ganz zu schweigen, und am Ende lockt die Versuchung der rhetorischen Eskalation. Wenn alle Metaphern ausgelaugt und die moralischen Ressourcen erschöpfend zitiert sind, bleibt nur noch die Flucht in Visionen, bei denen auch dem aufgeklärten Zeitgenossen ein wenig mulmig wird. Rich spricht in seinem Buch von „Verbrechen gegen die Menschlich- keit“ und internationalen Tribunalen, von Wahrheitskommissionen, Reparationen und Verstaatlichung der  Energieindustrien und fügt hinzu, dass all dies natürlich nicht genug wäre, um den moralischen Makel wieder gut zu machen. Es spricht nur wenig dafür, dass eine Politik, die vor allem eine kollektive Schuld abarbeiten möchte, dem  klassischen Politikstil westlicher Gesellschaften  überlegen ist. Eine Politik ohne Augenmaß und Effizienz- kalküle ist nicht ohne Risiko, und das erst recht, wenn es trägen Konsum- bürgern an den Kragen geht. Außerdem gibt es eine Menge  Menschen, die durchaus umwelt- bewusst und zu Selbstkritik fähig, aber gerade so gar nicht in Kreuzzugss- timmung sind. SCHLUSS So ist die populäre Erzählung des Nathaniel Rich nicht nur ein  Beispiel für  schlechte Geschichtsschreibung. Sie dokumentiert auch eine fatale Zweiteilung, die sich in der Klima- debatte mit zunehmender Schärfe abzeichnet. Da gibt es auf der einen Seite das Heer der Berater und Kommentatoren, die sich mit der realen Politik mit all ihren Halbherzig- keiten  und  Problemen  herum- schlagen. Auf der anderen Seite gibt es die moralische Klarheit einer imaginierten Klimapolitik, wie sie sein sollte oder hätte sein sollen. Es ist eine warme Vision, frei von mächtigen Interessen, trägen Konsumenten  und  kognitiven Zweifeln. Sie liefert das gute Gefühl, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Aber vielleicht ist eine solche Vision nicht unbedingt das, was wir im globalen Treibhaus brauchen? Das Basteln mit Modellen gehört zur Klimaforschung, aber in der Klimage- schichte läuft Modellieren  leicht  auf  Teleologien à la Nathaniel Rich hinaus, die alles, was irgendwie nicht den Erwartungen entspricht, aus der historischen Erzählung herausbügeln. So könnte der Nutzen der Klima- geschichte nicht zuletzt  darin bestehen, ein Stachel gegen Vereinfachungen und trügerische Gewissheiten zu sein. Die Klima- forschung baut auf Vorarbeiten von Menschen auf, die noch keine globale Erwärmung kannten. Klimapolitik setzt in einer Weise auf nationalstaatliche Regierungen, die letztlich nur historisch zu erklären ist, während wohlmeinende Moralisten ein Eigentor nach dem anderen schießen. Zusammengehalten wird das Ganze von einer globalen Vision, die sich im Kalten Krieg neben lokale und regionale Wahrnehmungsmuster drängte, die freilich nicht ver- schwanden. Und vielleicht erleben wir gerade einen  erneuten Perspektiv- wechsel, weil mit der Klimaadaption verstärkt die regionalen Spezifika in den Fokus rücken. Es wäre nicht die erste unerwartete Wendung in der Geschichte der globalen Klimadebatte. FRANK UEKÖTTER  ist Historiker mit den Schwerpunkten Umwelt-, Land- wirtschafts-, Technik- und Wissenschaftsgeschichte und lehrt an der der University of Birmingham, Vereinigtes Königreich.  f.uekoetter@bham.ac.uk Quelle: APuZ, 69. Jahrgang, 47–48/2019, 18. November 2019
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 Damit besaßen die Regierungen in Ost und West eine enorme Verfügungsgewalt über gesamte Volkswirtschaften, die gesellschaftlich weithin unumstritten war. Selbst der  Neoliberalismus,  seit den 1970er Jahren im Aufwind, verstand Deregulier-ung und Privatisierung zunächst als ein klar umgrenztes Projekt. In der globalen Konkurrenz der Systeme konnte es sich keine Regierung leisten, die eigene Ökonomie einfach aus der Kontrolle zu entlassen. Die Imagination des mächtigen National- staats prägt die Klimaliteratur bis in die Gegenwart. Rich lässt sein Buch mit einer Regierungskonferenz im niederländischen Noordwijk 1989 enden, auf der sich die USA querstellten. Dort sei eine historische Chance vergeben worden:  Wenn  sich damals die Regierungen  des  Westens  einem  entschlossenen Kampf gegen die globale Erwärmung verschrieben hätten, lebten wir  heute in einer anderen Welt. Das war damals eine durchaus populäre Vorstellung, die nicht nur von der idealistischen Sorge um den blauen Planeten beflügelt wurde. Aus  heutiger  Sicht  ist  offenkundig,  dass  die Krise der Staatlichkeit zu den zentralen Entwicklungen der vergangenen drei Jahrzehnte zählt. Es ist durchaus offen, ob die heutigen Regierungen die politischen Mittel zum drastischen Umsteuern besäßen, selbst wenn sie einen solchen Kurswechsel tatsächlich wollten. Die Macht der Nationalstaaten erodiert in vielfältigen Formen, unterdessen ächzen die  Wohlfahrtsstaaten des Westens unter  Schuldenbergen, einem Gewirr von rechtlichen und finanziellen Verpflicht- ungen und apathischen Bürgern, die sich für große politische Programme nicht mehr begeistern lassen. Die  Illusion der nationalstaatlichen Verfügungsmacht wurde jedoch tief in die globale Klimapolitik eingeschrieben. Mit der Klimarahmenkonvention, die 1992 auf dem Erdgipfel von Rio de Janeiro unter- zeichnet wurde, wurden die National- staaten zu entscheidenden Akteuren,  deren Regierungen sich alljährlich zu Klimakonferenzen mit fünfstelliger Teilnehmerzahl treffen. Klimapolitik ist seither automatisch Klimadiplomatie, auch wenn das von der Sache her nicht unbe-dingt zwingend war. Man hätte auch die multinationalen Energiekonzerne ins Visier nehmen können oder auch das Anspruchsdenken westlicher Konsumbürger. Vielleicht  brauchte  man nicht nur eine andere Politik, sondern auch andere Vorstellungen vom guten Leben? ENGER KLIMAPOLITISCHER KORRIDOR Materialismus und Wachstumsdenken sind in den Gesellschaften des Westens nahezu zweite Natur, und auch das ist ein Erbe des Kalten Krieges. In Ost und West lebte man in den 1950er und 1960er Jahren den kurzen Traum der immerwährenden Prosperität, der schon damals mehr  Schein als Sein war. Auch in der Bundesrepublik der Wirtschaftswunderjahre lebten Menschen in prekären materiellen Verhältnissen, und  Vollbeschäftigung gab es erst ab 1961, aber all dies verschwand hinter einem langen Boom mit Wachstums- raten, die in der Geschichte des modernen Kapitalismus ihresgleichen suchen. Nach den multiplen Krisen in der Zeit der Weltkriege war das eine gänzlich unerwartete Wendung, deren praktische Konsequenzen erst nach und nach ins Bewusstsein rückten. Die berühmte Studie „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome konnte nur deshalb 1972 zum Weltbestseller werden, weil die meisten Menschen bei aller Wachstumseuphorie nie darüber nachgedacht hatten, dass exponentielle Wachstumsraten auf einem begrenzten Planeten früher oder später in einer Katastrophe enden mussten. Das Jahr 1945 gilt inzwischen als umwelt- historische Epochenschwelle erster Güte. Der Schweizer Umwelthistoriker Christian Pfister prägte in den 1990er Jahren den Begriff „1950er Syndrom“, sein amerika- nischer Kollege John McNeill sprach lieber von einer „großen Beschleunigung“, aber im Kern ging es um den gleichen Befund: Nahezu alle Parameter, die den Einfluss des Menschen auf seine natürliche  Umwelt maßen, schnellten mit beängstigender  Geschwindigkeit und Stetigkeit nach oben. Die  Folgen sind nicht nur in dem beständig steigenden CO2 -Gehalt der globalen Atmosphäre zu erkennen. Sie stecken gleichermaßen in Siedlungsstrukturen und gesellschaftlichen Leitbildern, Ernährungsgewohnheiten  und Mobilitätsansprüchen, elektrischen Küchengeräten und Düsenflugzeugen, und all dies erwies sich als ausgesprochen resistent gegenüber den moralischen Appellen, die ab den 1980er Jahren zur transnationalen Klimadebatte gehörten. Einige zentrale Entwicklungen fallen sogar in die Zeit nach  dem Erdgipfel von Rio 1992, so etwa der Boom der Billigflieger oder der globale Siegeszug der Klimaanlage. So operierten die Klimapolitiken der Welt von Anfang an in einem ziemlich engen Korridor. Die demokratischen Industriegesellschaften des  Westens fürchteten, durch eine allzu forsche Politik die eigene Legitimität zu unter- graben,  und die boomenden Ökonomien des Globalen  Südens, allen voran China, folgten dem westlichen Wachstumspfad mit der naiven Begeisterung der bundesdeutschen Wirtschaftswunder- jahre. Auch institutionell waren die Würfel gefallen. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) war seit seiner Gründung 1988 der zentrale Aushandlungsmechanismus für periodische  Berichte über den Stand der Klimaforschung, und die Klimapolitik operierte im Takt der „conferences of parties“ der Klimarahmenkonvention. Das war, so der Globalsprech der Diplomaten, „the only game in town“. Das  IPCC baute auf der  Tradition der vernetzten Großforschung auf, aber seine Mission war  bedeutend  anspruchsvoller  als  beispielsweise die gemeinsamen Expeditionen des Internationalen Geophysikalischen Jahres. Seine  Aufgabe war Konsensfindung unter intensiver  Beobachtung von Medien und Politik, und es fehlte nicht an skeptischen Prognosen. Ein Team um den Wissenschaftssoziologen Peter Weingart ging  davon aus, dass die Klimadebatte auf ewig in einem Dreieck von Wissenschaft, Medien und politischen Entscheidungsträgern pendeln  würde, weil die Akteure im Umgang mit Un- sicherheit  ganz  unterschiedlich gepolt waren. Für Journalisten sei Unsicherheit eine Neuigkeit, für Wissenschaftler Ausgangspunkt für Forschungsprojekte, und die Politik lege am liebsten die Hände in den Schoß, solange nicht alles klar ist. BOOM  DER KLIMAFORSCHUNG   Vor dem Hintergrund dieser Erwartungen wurde die globale Klimaforschung zu einer der großen Erfolgsgeschichten der modernen  Wissenschaft. Es gab zwar ein paar peinliche Fehlleistungen, die von einschlägigen Interessenten grell ausge- leuchtet wurden, aber letztlich zeigte das eher die wachsende Verzweiflung der Skeptiker. Vor der Jahrtausendwende gab es noch Wissenschaftler, die die Forschung mit gut begründeten Zweifeln herausforderten, aber danach wuchs die Gewissheit, während sich die Kritiker mit schrillen Tönen um Kopf und Kragen redeten. Irgendwann machten sie sich nicht einmal mehr die Mühe, eigene Hypothesen  aufzustellen, die man mit den Mitteln der Wissenschaft überprüfen konnte, und konzentrierten sich ganz auf das Streuen ätzender Zweifel. Gerne  klagen  Klimaforscher  über  die  Hartnäckigkeit der Skeptiker, aber darin hallt auch das  Triumphgeheul der Gewinner nach.  Inzwischen ist das Leugnen des Klimawandels  nur noch ein politisches Problem, und man muss eher Sorgen haben, dass sich die Forscher im Siegesrausch einen gehörigen Schwips antrinken. Weniger augenfällig war ein Sieg der Wissenschaft an einer anderen Front. Es gab neben den Skeptikern auch forsche Experten mit einfachen Lösungen, die man erst einmal im Zaum halten musste. Der Ozeanograf John Martin prahlte 1988, er könnte mit einem halben Tanker voller Eisen eine neue Eiszeit auslösen. Das Eisen würde zu einem schnellen Wachstum des Phytoplanktons im südlichen Polarmeer führen und dadurch die Sequestrierung von Kohlendioxid  im  Ozean  auf  Touren bringen. Das Geoengineering ist als Option weiterhin im Spiel, aber bislang ist klar, dass es dafür eines breiten Konsenses und einer Sensibilität für Nebenwirkungen bedarf. Kritische Entwicklungen gab es in der Forschung  vor allem im Globalen Süden, und sie hatten weniger mit kognitiven Unsicherheiten zu tun als mit den ungeplanten Nebenfolgen gutgemeinter Politik. Während westliche Gesellschaften problemlos große Forschungszentren für Klimaforschung finanzieren konnten, sah das in armen Ländern anders aus. Die Soziologin Anita Engels hat für den Senegal gezeigt, wie knappe Ressourcen aus lokal wichtigen Forschungsprojekten abgezogen wurden, weil das Land gemäß Kyoto-Protokoll ein eigenes Klimakonzept entwickeln musste, auch wenn es nur ein paar Millionstel der globalen Treibhausgase produzierte.   Der globale Kampf gegen die Wüsten- bildung, der ebenfalls auf einer Rio- Konvention basiert, blieb notorisch unterfinanziert, und es ist offen, ob die geplanten  Hilfsprogramme  für Klima- adaption daran etwas ändern werden. Inzwischen  kämpft  die Klima-forschung  zunehmend mit dem Problem, dass sie an die Grenzen  ihres  Erfolgsmodells gelangt. Bei der Problemdiagnose geht es nur noch um graduelle Verbesserungen, die sich begrenzt zur fachwissenschaftlichen Profilierung eignen, und Fragen der Klimaadaption und Klimagerechtigkeit entziehen sich einer Beantwortung, die in vertrauter Weise auf die Instrumente der naturwissen-schaftlichen Forschung setzt. Zugleich geht es bei der Klimaadaption um viel Geld. Es bleibt abzuwarten, wie viel Finanzmittel nach dem Klima- abkommen von Paris für den Umgang mit Schäden zur Verfügung stehen werden, aber  Verteilungskonflikte und ungeplante Nebenfolgen sind vorprogrammiert. Vom Abglanz der Aufklärung  wird nicht viel übrigbleiben, wenn es um Entscheidungen über Milliardenetats geht, und im schlimmsten Fall droht die Rückkehr der Entwicklungshilfe mit der Gießkanne. Das größte Problem der Klimaforschung bleibt freilich die Kluft zwischen Wissen und Handeln. Das Schneckentempo der Politik ist immer schwerer zu ertragen, von den reaktionären Zumutungen eines Donald Trump oder Jair Bolsonaro einmal ganz zu schweigen, und am Ende lockt die Versuchung der rhetorischen Eskalation. Wenn alle Metaphern ausgelaugt und die moralischen Ressourcen erschöpfend zitiert sind, bleibt nur noch die Flucht in Visionen, bei denen auch dem aufgeklärten Zeitgenossen ein wenig mulmig wird. Rich spricht in seinem Buch von „Verbrechen gegen die Menschlich- keit“ und internationalen Tribunalen, von Wahrheitskommissionen, Reparationen und Verstaatlichung der  Energieindustrien und fügt hinzu, dass all dies natürlich nicht genug wäre, um den moralischen Makel wieder gut zu machen. Es spricht nur wenig dafür, dass eine Politik, die vor allem eine kollektive Schuld abarbeiten möchte, dem  klassischen Politikstil westlicher Gesellschaften  überlegen ist. Eine Politik ohne Augenmaß und Effizienzkalküle ist nicht ohne Risiko, und das erst recht, wenn es trägen Konsumbürgern an den Kragen geht. Außerdem gibt es eine Menge  Menschen, die durchaus umwelt- bewusst und zu Selbstkritik fähig, aber gerade so gar nicht in Kreuzzugss- timmung sind. SCHLUSS So ist die populäre Erzählung des Nathaniel Rich nicht nur ein  Beispiel für  schlechte Geschichtsschreibung. Sie dokumentiert auch eine fatale Zweiteilung, die sich in der Klima- debatte mit zunehmender Schärfe abzeichnet. Da gibt es auf der einen Seite das Heer der Berater und Kommentatoren, die sich mit der realen Politik mit all ihren Halbherzigkeiten  und  Problemen  herumschlagen. Auf der anderen Seite gibt es die moralische Klarheit einer imaginierten Klimapolitik, wie sie sein sollte oder hätte sein sollen. Es ist eine warme Vision, frei von mächtigen Interessen, trägen Konsumenten  und  kognitiven Zweifeln. Sie liefert das gute Gefühl, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Aber vielleicht ist eine solche Vision nicht unbedingt das, was wir im globalen Treibhaus brauchen? Das Basteln mit Modellen gehört zur Klimaforschung, aber in der Klimage- schichte läuft Modellieren  leicht  auf  Teleologien à la Nathaniel Rich hinaus, die alles, was irgendwie nicht den Erwartungen entspricht, aus der historischen Erzählung herausbügeln. So könnte der Nutzen der Klimageschichte nicht zuletzt  darin bestehen, ein Stachel gegen Vereinfachungen und trügerische Gewissheiten zu sein. Die Klima- forschung baut auf Vorarbeiten von Menschen auf, die noch keine globale Erwärmung kannten. Klimapolitik setzt in einer Weise auf nationalstaatliche Regierungen, die letztlich nur historisch zu erklären ist, während wohlmeinende Moralisten ein Eigentor nach dem anderen schießen. Zusammengehalten wird das Ganze von einer globalen Vision, die sich im Kalten Krieg neben lokale und regionale Wahrnehmungsmuster drängte, die freilich nicht verschwanden. Und vielleicht erleben wir gerade einen  erneuten Perspektivwechsel, weil mit der Klimaadaption verstärkt die regionalen Spezifika in den Fokus rücken. Es wäre nicht die erste unerwartete Wendung in der Geschichte der globalen Klimadebatte. FRANK UEKÖTTER  ist Historiker mit den Schwerpunkten Umwelt-, Land- wirtschafts-, Technik- und Wissenschaftsgeschichte und lehrt an der der University of Birmingham, Vereinigtes Königreich.  f.uekoetter@bham.ac.uk Quelle: APuZ, 69. Jahrgang, 47–48/2019, 18. November 2019 
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