Sonntag, 9.12.1984, 16:30 In den letzten vier Wochen hat viel Arbeit hier Eintragungen verhindert. Ich werde es nicht schaffen, alle für mich wesentlichen Geschehnisse festzuhalten. Es mehren sich Erkenntnisse, und nicht nur solche mit angenehmem Beigeschmack. Es waren jetzt vier Tage schulfrei. Diese vier Tage habe ich hier allein verbracht. Das Wohnungschaos musste beseitigt, ein paar Einrichtungsgegenstände gekauft, das Unterrichtsmaterial geordnet werden. Es hat mir aber nicht gut getan, so viel allein zu sein. Verkrampft; vieles hat nach langem Plagen oder gar nicht geklappt. Ich habe ein wenig den Überblick verloren, von der Effektivität, und auch vom Selbstbewusstsein. Was zum Teufel hat nur diese verdammte Unsicherheit und Unentschlossenheit verursacht? „Hey, that`s no way to say goodbye“ und „I loved you in the morning“: Se.         Ich bin zu viel allein.  Ich habe in diesen vier Tagen keinen einzigen Brief geschrieben. Nach langem Zögern bin ich heute Mittag doch noch zur „Plaza de Toros aufgebrochen. Aber ich war zu spät dran, vom letzten Stierkampf der Saison hörte ich nur noch den Bericht im Radio meines Taxis. Dort angekommen strömten die Menschen aus der Arena, ich kämpfte mich gegen die herausflutenden Leiber ins Stadion. Doch nur noch ein paar Unentwegte tanzten im Sand noch einmal den Kampf und sangen dazu. Wieder draußen, erlebte ich dann doch noch Gewalt: Die „Policía Nacional“ schlichtete eine Schlägerei durch brutalen Schlagstockeinsatz. Wenig später flüchtete dann ein etwa fünfzehnjähriger Junge von einer ganz anderen Seite, drei der „Aguilitas“ verfolgten ihn. Als er stürzte, hielt ihn der schnellste der Verfolger, ein baumlanger Schwarzer, in Schach. Die zwei Folgenden waren weniger passiv: Der erste schlug dem am Boden liegenden aus vollem Lauf den Stiefel an den Schädel, der zweite hieb mit dem Schlagstock auf ihn ein. Ich verspüre wenig Lust, morgen in die Schule zu gehen. Noch zwei Wochen bis Weihnachten, aber angefüllt mit Zeugniskonferenzen. Es geht mir zwar in der Schule recht gut, von Kollegenseite sind mir eigentlich nur zwei nicht sonderlich sympathisch, davon eine (dumme, wichtigtuende, in Feudalien denkende) Hu. C. besonders. In puncto Unterricht machen nur die II. Kurse, rein ecuadorianisch, Schwierigkeiten. Doch die Befriedigung, die Arbeit und Schule geben, reicht nicht aus. Einige Elementarbedürfnisse fehlen. Das Fressen hier schmeckt mir großenteils nicht. Mit dem „Rana Verde“ wäre zwar ein annehmbares Lokal zum Essen gefunden, doch mundet es nun mal allein in einem Lokal nicht besonders, und außerdem ist es ohne ein verdammtes Auto zu weit. Zum Ficken ist rein garnix, zumindest nichts unproblematisches, in Sicht.  Auf die Dauer ist das nicht zum Aushalten, ohne Nähe, ohne Zärtlichkeit, ohne (1). Wenn Bn. nicht über Weihnachten kommt, und die Chancen dafür stehen höchstens fifty-fifty, wird es weiß Gott problematisch. Dann sind ein paar grundsätzliche Entscheidungen fällig. Fremdheit und Feindlichkeit des Landes beginnen zu bedrücken. Alle Häuser sind von hohen Mauern umgeben. Türen mit zusätzlichen Gittern, und mit mindestens drei Schlössern versehen. Die Sprachkenntnisse erschweren Kontakte und Alltäglichkeiten. Sie werden beim momentanen Zeitmangel auch nicht wesentlich abnehmen. Die Hoffnung auf eine Autoeinfuhr hat sich verringert. Ein Nachmittag in der Botschaft lässt Zweifel zumindest an der menschlichen Qualität ihrer Vertreter aufkommen. Seit ich hier bin, habe ich fast durchgehend einen Schnupfen. Dafür bin ich bislang vollständig von Magen-Darm-Infektionen verschont geblieben, was hier eher die Ausnahme ist. Aber: Anstehende Probleme gilt es zu meistern. Und Durchhänger zu vermeiden. Notfalls durch Verdrängung und Betäubung durch Aktivitäten, Ablenkung. So viel als möglich mitnehmen. Möge die Kraft immer reichen. Montag, 10.12.1984, 17:30 Blackout in Quito: Vor 15 Minuten flackerte das Licht, wurde immer schwächer, und erlosch in ganz Quito, soweit ich das übersehe. Nur ein paar vereinzelte Hochhäuser verfügen über Notstromaggregate. Meine Kerze faucht und spuckt: Producto del Ecuador. Was jetzt? Zum allein in´s Bett zugehen ist es zu früh. Was wohl Blackout-Ursache ist? Ob es Plünderungen wie weiland in N.Y. gibt? Ein Umsturz? Überlastung des vermutlich mittelalterlichen Leitungsnetzes? No lo se. Heute hatte ich, ganz überraschend, genügend Kraft für einen guten Tag: Der Unterricht lief; danach mit Ku. in ein Restaurant in einem  Penthouse mit Blick über die Stadt, einen Manhattan und anschließend ein gutes Filet Mignon; am Nachmittag Nachhilfe bei den Vi. und Fr. F.. Jetzt glitzern im Süden der Stadt wieder Lichter. Nur unser Norden liegt noch im Dunkel der Nacht.
Siegfried Trapp
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Sonntag, 9.12.1984, 16:30 In den letzten vier Wochen hat viel Arbeit hier Eintragungen verhindert. Ich werde es nicht schaffen, alle für mich wesentlichen Geschehnisse festzuhalten. Es mehren sich Erkenntnisse, und nicht nur solche mit angenehmem Beigeschmack. Es waren jetzt vier Tage schulfrei. Diese vier Tage habe ich hier allein verbracht. Das Wohnungschaos musste beseitigt, ein paar Einrichtungsgegenstände gekauft, das Unterrichtsmaterial geordnet werden. Es hat mir aber nicht gut getan, so viel allein zu sein. Verkrampft; vieles hat nach langem Plagen oder gar nicht geklappt. Ich habe ein wenig den Überblick verloren, von der Effektivität, und auch vom Selbstbewusstsein. Was zum Teufel hat nur diese verdammte Unsicherheit und Unentschlossenheit verursacht? „Hey, that`s no way to say goodbye“ und „I loved you in the morning“: Se.       Ich bin zu viel allein.  Ich habe in diesen vier Tagen keinen einzigen Brief geschrieben. Nach langem Zögern bin ich heute Mittag doch noch zur „Plaza de Toros aufgebrochen. Aber ich war zu spät dran, vom letzten Stierkampf der Saison hörte ich nur noch den Bericht im Radio meines Taxis. Dort angekommen strömten die Menschen aus der Arena, ich kämpfte mich gegen die herausflutenden Leiber ins Stadion. Doch nur noch ein paar Unentwegte tanzten im Sand noch einmal den Kampf und sangen dazu. Wieder draußen, erlebte ich dann doch noch Gewalt: Die „Policía Nacional“ schlichtete eine Schlägerei durch brutalen Schlagstockeinsatz. Wenig später flüchtete dann ein etwa fünfzehnjähriger Junge von einer ganz anderen Seite, drei der „Aguilitas“ verfolgten ihn. Als er stürzte, hielt ihn der schnellste der Verfolger, ein baumlanger Schwarzer, in Schach. Die zwei Folgenden waren weniger passiv: Der erste schlug dem am Boden liegenden aus vollem Lauf den Stiefel an den Schädel, der zweite hieb mit dem Schlagstock auf ihn ein. Ich verspüre wenig Lust, morgen in die Schule zu gehen. Noch zwei Wochen bis Weihnachten, aber angefüllt mit Zeugniskonferenzen. Es geht mir zwar in der Schule recht gut, von Kollegenseite sind mir eigentlich nur zwei nicht sonderlich sympathisch, davon eine (dumme, wichtigtuende, in Feudalien denkende) Hu. C. besonders. In puncto Unterricht machen nur die II. Kurse, rein ecuadorianisch, Schwierigkeiten. Doch die Befriedigung, die Arbeit und Schule geben, reicht nicht aus. Einige Elementarbedürfnisse fehlen. Das Fressen hier schmeckt mir großenteils nicht. Mit dem „Rana Verde“ wäre zwar ein annehmbares Lokal zum Essen gefunden, doch mundet es nun mal allein in einem Lokal nicht besonders, und außerdem ist es ohne ein verdammtes Auto zu weit. Zum Ficken ist rein garnix, zumindest nichts unproblematisches, in Sicht.  Auf die Dauer ist das nicht zum Aushalten, ohne Nähe, ohne Zärtlichkeit, ohne (1). Wenn Bn. nicht über Weihnachten kommt, und die Chancen dafür stehen höchstens fifty-fifty, wird es weiß Gott problematisch. Dann sind ein paar grundsätzliche Entscheidungen fällig. Fremdheit und Feindlichkeit des Landes beginnen zu bedrücken. Alle Häuser sind von hohen Mauern umgeben. Türen mit zusätzlichen Gittern, und mit mindestens drei Schlössern versehen. Die Sprachkenntnisse erschweren Kontakte und Alltäglichkeiten. Sie werden beim momentanen Zeitmangel auch nicht wesentlich abnehmen. Die Hoffnung auf eine Autoeinfuhr hat sich verringert. Ein Nachmittag in der Botschaft lässt Zweifel zumindest an der menschlichen Qualität ihrer Vertreter aufkommen. Seit ich hier bin, habe ich fast durchgehend einen Schnupfen. Dafür bin ich bislang vollständig von Magen- Darm-Infektionen verschont geblieben, was hier eher die Ausnahme ist. Aber: Anstehende Probleme gilt es zu meistern. Und Durchhänger zu vermeiden. Notfalls durch Verdrängung und Betäubung durch Aktivitäten, Ablenkung. So viel als möglich mitnehmen. Möge die Kraft immer reichen. Montag, 10.12.1984, 17:30 Blackout in Quito: Vor 15 Minuten flackerte das Licht, wurde immer schwächer, und erlosch in ganz Quito, soweit ich das übersehe. Nur ein paar vereinzelte Hochhäuser verfügen über Notstromaggregate. Meine Kerze faucht und spuckt: Producto del Ecuador. Was jetzt? Zum allein in´s Bett zugehen ist es zu früh. Was wohl Blackout- Ursache ist? Ob es Plünderungen wie weiland in N.Y. gibt? Ein Umsturz? Überlastung des vermutlich mittelalterlichen Leitungsnetzes? No lo se. Heute hatte ich, ganz überraschend, genügend Kraft für einen guten Tag: Der Unterricht lief; danach mit Ku. in ein Restaurant in einem  Penthouse mit Blick über die Stadt, einen Manhattan  und anschließend ein gutes Filet Mignon; am Nachmittag Nachhilfe bei den Vi. und Fr. F.. Jetzt glitzern im Süden der Stadt wieder Lichter. Nur unser Norden liegt noch im Dunkel der Nacht.
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