Sonntag, 4.11.1984, 17:00 Eine mäßige Woche liegt hinter mir; Gliederschwere, Entschlusslosigkeit. Der Zauber des ganz Neuen scheint vorüber. Die Kraft hatte zum ersten Mal nicht ganz ausgereicht. Woran lag´s? Nur zweieinhalb Arbeitstage in dieser Woche, und seit drei Tagen strahlendes Wetter! Die chronische leichte Erkältung? Das Fehlen von Sex und Zärtlichkeit? Oder ganz einfach nur nicht regelmäßig gefressen? Soll einer die menschliche Psyche verstehen. Nachzutragen gilt, die chronische Reihenfolge wird vernachlässigt: - Die meisten und engsten Kontakte habe ich zu den Zi.s gehabt. Etliche Mittagessen bei ihnen. Viel praktische Hilfe für mich; und immer wieder der Aufbau der Biologie und der Chemie. - Ha. C., die in Athen verletzte, unter mir wohnende, ist eingetroffen. Ihr Toyota Landcruiser vor dem Haus hatte mir eine andere Person vorgegaukelt, als jetzt auf dem  Balkon unter meinem Fenster herumlief. Ihre Ankunft wird vermutlich keine Verringerung meiner haushaltspraktischen und sexuellen Probleme mit sich bringen. - Ich bin zum Fachleiter Chemie ernannt worden. Selbstverständlich fühle ich mich geschmeichelt; es wird aber mehr Arbeit für den gleichen Lohn bedeuten. Ob ich die Arbeit mit meiner geringen Erfahrung gut bewältige, wird sich zeigen. Sehr wahrscheinlich wird es für das berufliche Fortkommen eine Rolle spielen. - Die Einrichtearbeiten im Labor rauben mir zwei Nachmittage, und es geht sehr langsam voran. Zwei weitere Nachmittage kostet die Nachhilfe, so dass nur noch der Donnerstag verbleibt. Für Einkäufe. - Zu Ku. C. habe ich ein Verhältnis, über das ich mir nicht im Klaren bin. Sie steht etwas im Kreuzfeuer. Zweimal Essen bei ihr. Mal sehen. - Die offiziellen Einladungen bei Fo.s und He.s sind abgelaufen. Bei ersteren, zuletzt mit den Re.s, bis 2:30. Interessantes intellektuelles (?) Gespräch. Bei zweiteren eine hervorragende Suppe; jeweils ordentlich alcoholics. - Abende bei Di.s und Re.s, zu denen ich das beste Verhältnis habe. Schönes Gitarrenspiel bei Re.s; Unkompliziertheit. -Bezüglich der Qualität von Unterricht bzw. Vorbereitung, und die ist für mein Wohlbefinden wichtig, bin ich nicht immer zufrieden. Mehr Methodenwechsel ist angebracht, mir scheint auch dass ich zu wenig voran komme. Wird Zeit, dass meine Unterrichtmaterialien mit meinem Restgepäck einschweben. - Die augenblickliche Lektüre, Bölls „Wanderer, kommst du nach Spa“ (obgleich ich das Büchlein recht mäßig finde) und v. a. Tchechows Erzählungen greifen mich an. Das nackte Überleben. Der Sinn. Montag, 12.11.1984, 22:30 Nach wie vor gilt es noch nachzutragen: - Die Casa Humboldt stellt meinen einzigen außerschulischen Kontakt dar. Der Sportvideodonnerstag, ein Bier und etwas Gespräche davor. Es ist sehr wichtig, aus dem engsten Schulbereich herauszukommen. Und die Fußballspiele mit den Mitgliedern der Humboldt-Gesellschaft an den Samstagen. Eventuell wird noch an einem Tag in der Woche Tischtennis gespielt, was natürlich sehr schön wäre. - Nach wie vor habe ich keinen Kühlschrank, und dies ist doch sehr lästig. Sollte sich in dieser Hinsicht in den nächsten drei Wochen keine Tür öffnen, wird´s sehr teuer für mich. - Das fehlende Auto ist noch lästiger. Vielleicht kann ich doch eins zollfrei einführen. So wie es momentan erscheint wäre es das Beste, über Ge. R., den Präsidenten der Associación Humboldt, den Kulturreferenten der Botschaft, Pi., anzubohren. Selbst wenn dies klappen sollte sehe ich immer noch keine Möglichkeit, den notwendigen Kredit aufzutreiben: Schätzungsweise mindestens 10 000,- Mark. Ein 6000 Mark-Auto könnte man hier für 12 000 verkaufen. Blieben 2- 3000 Mark Gewinn. Oder ein gebrauchtes Auto hier kaufen? Die sind sehr teuer, kostet mich mindestens 15 000,- Mark. Im Moment ist das in diesem Inflationsland eine Wertanlage. Aber woher nehmen und nicht stehlen? - Einen recht guten Schreibtisch und ein Regal habe ich mir von einem einheimischen Schreiner nach meinen Entwürfen machen lassen. In den nächsten zwei Wochen sollten noch ein paar Flechtmöbel folgen, - Das Umzugsgut, das ich der Familie Fe. beipacken durfte, ist endlich eingetroffen. Thomas F. wollte schon einigen Leuten „den Arsch aufreißen“. Hoffentlich kriegen wir es morgen aus dem Zoll.
Siegfried Trapp
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Sonntag, 4.11.1984, 17:00 Eine mäßige Woche liegt hinter mir; Gliederschwere, Entschlusslosigkeit. Der Zauber des ganz Neuen scheint vorüber. Die Kraft hatte zum ersten Mal nicht ganz ausgereicht. Woran lag´s? Nur zweieinhalb Arbeitstage in dieser Woche, und seit drei Tagen strahlendes Wetter! Die chronische leichte Erkältung? Das Fehlen von Sex und Zärtlichkeit? Oder ganz einfach nur nicht regelmäßig gefressen? Soll einer die menschliche Psyche verstehen. Nachzutragen gilt, die chronische Reihenfolge wird vernachlässigt: - Die meisten und engsten Kontakte habe ich zu den Zi.s gehabt. Etliche Mittagessen bei ihnen. Viel praktische Hilfe für mich; und immer wieder der Aufbau der Biologie und der Chemie. - Ha. C., die in Athen verletzte, unter mir wohnende, ist eingetroffen. Ihr Toyota Landcruiser vor dem Haus hatte mir eine andere Person vorgegaukelt, als jetzt auf dem  Balkon unter meinem Fenster herumlief. Ihre Ankunft wird vermutlich keine Verringerung meiner haushaltspraktischen und sexuellen Probleme mit sich bringen. - Ich bin zum Fachleiter Chemie ernannt worden. Selbstverständlich fühle ich mich geschmeichelt; es wird aber mehr Arbeit für den gleichen Lohn bedeuten. Ob ich die Arbeit mit meiner geringen Erfahrung gut bewältige, wird sich zeigen. Sehr wahrscheinlich wird es für das berufliche Fortkommen eine Rolle spielen. - Die Einrichtearbeiten im Labor rauben mir zwei Nachmittage, und es geht sehr langsam voran. Zwei weitere Nachmittage kostet die Nachhilfe, so dass nur noch der Donnerstag verbleibt. Für Einkäufe. - Zu Ku. C. habe ich ein Verhältnis, über das ich mir nicht im Klaren bin. Sie steht etwas im Kreuzfeuer. Zweimal Essen bei ihr. Mal sehen. - Die offiziellen Einladungen bei Fo.s und He.s sind abgelaufen. Bei ersteren, zuletzt mit den Re.s, bis 2:30. Interessantes intellektuelles (?) Gespräch. Bei zweiteren eine hervorragende Suppe; jeweils ordentlich alcoholics. - Abende bei Di.s und Re.s, zu denen ich das beste Verhältnis habe. Schönes Gitarrenspiel bei Re.s; Unkompliziertheit. -Bezüglich der Qualität von Unterricht bzw. Vorbereitung, und die ist für mein Wohlbefinden wichtig, bin ich nicht immer zufrieden. Mehr Methodenwechsel ist angebracht, mir scheint auch dass ich zu wenig voran komme. Wird Zeit, dass meine Unterrichtmaterialien mit meinem Restgepäck einschweben. - Die augenblickliche Lektüre, Bölls „Wanderer, kommst du nach Spa“ (obgleich ich das Büchlein recht mäßig finde) und v. a. Tchechows Erzählungen greifen mich an. Das nackte Überleben. Der Sinn. Montag, 12.11.1984, 22:30 Nach wie vor gilt es noch nachzutragen: - Die Casa Humboldt stellt meinen einzigen außerschulischen Kontakt dar. Der Sportvideodonnerstag, ein Bier und etwas Gespräche davor. Es ist sehr wichtig, aus dem engsten Schulbereich herauszukommen. Und die Fußballspiele mit den Mitgliedern der Humboldt-Gesellschaft an den Samstagen. Eventuell wird noch an einem Tag in der Woche Tischtennis gespielt, was natürlich sehr schön wäre. - Nach wie vor habe ich keinen Kühlschrank, und dies ist doch sehr lästig. Sollte sich in dieser Hinsicht in den nächsten drei Wochen keine Tür öffnen, wird´s sehr teuer für mich. - Das fehlende Auto ist noch lästiger. Vielleicht kann ich doch eins zollfrei einführen. So wie es momentan erscheint wäre es das Beste, über Ge. R., den Präsidenten der Associación Humboldt, den Kulturreferenten der Botschaft, Pi., anzubohren. Selbst wenn dies klappen sollte sehe ich immer noch keine Möglichkeit, den notwendigen Kredit aufzutreiben: Schätzungsweise mindestens 10 000,- Mark. Ein 6000 Mark-Auto könnte man hier für 12 000 verkaufen. Blieben 2- 3000 Mark Gewinn. Oder ein gebrauchtes Auto hier kaufen? Die sind sehr teuer, kostet mich mindestens 15 000,- Mark. Im Moment ist das in diesem Inflationsland eine Wertanlage. Aber woher nehmen und nicht stehlen? - Einen recht guten Schreibtisch und ein Regal habe ich mir von einem einheimischen Schreiner nach meinen Entwürfen machen lassen. In den nächsten zwei Wochen sollten noch ein paar Flechtmöbel folgen, - Das Umzugsgut, das ich der Familie Fe. beipacken durfte, ist endlich eingetroffen. Thomas F. wollte schon einigen Leuten „den Arsch aufreißen“. Hoffentlich kriegen wir es morgen aus dem Zoll.
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