Sonntag, 15.02.1992, 17:00 Leider fällt heute der Sonntagabendfußball, den wir sporadisch neben dem regelmäßigen Mittwochabendspiel absolvieren, heute aus. Die Fußballabende in der Sporthalle des Colegio Alemán waren über Jahre hinweg unverzichtbare Fixpunkte, weitgehend unkompliziert, eine schöne Art sich zu bewegen, zu spielen, (un)bedeutenden Erfolg oder Misserfolg zu haben, in meist guter Kompagnie. Ein weiteres schönes Kapitel der Ecuadorjahre. Trotz all der schönen Dinge: Es existieren auch viele Dinge, die das Leben vergällten. Es sind z.B. all die Jahre keine echten Freundschaften mit Ecuadorianern erwachsen; leider nur sehr wenige Ecuadorianer könnte ich aufzählen, die ich als zuverlässig und aufrichtig einschätze. Überwiegend herrscht bei mit nach wie vor Misstrauen, wie ich glaube, berechtigtes Misstrauen vor, zu zahlreich sind die Versuche mich auszubeuten, mich zu übervorteilen. Es sind Verhaltensweisen, die nicht als ehrrührig gelten, sondern allgemeingültiges Verhalten darstellen, ja sogar positive Wertschätzung erfahren. Jemand, der Unaufrichtigkeit und Vorteilsnahme empfindlich als link und fies empfindet, wird sich im Lande nie so ganz wohlfühlen können. Die Umstände der Einzäunung unseres Grundstücks am Hang des Pichincha oder die Vorgehensweise der Besitzerin der Tennisakademie sind nur die jüngsten Beispiele einer langen Reihe unerfreulicher Erlebnisse in dieser Hinsicht. Dienstag, 31.03.1992, 16:30 Quito ist wolkenverhangen, seit gestern regnet es, und es ist, seit langem wieder einmal, empfindlich kühl geworden. An zwei aufeinanderfolgende Tage ohne Sonnenschein im letzten halben Jahr kann ich mich gar nicht erinnern. Im Kamin flackert jedoch ein Feuer und wärmt mir die Beine, die allmählich auch nicht mehr die allerjüngsten sind. Die Berge waren das einschneidendste Naturerlebnis. Nachts um 1 Uhr von der Schutzhütte am Cotopaxi oder Chimborazo aufzubrechen, auf 5000m Höhe, in die schneidende Kälte zu treten, ein sternenübersätes Firmament über einem, oder auch in ein Schneegestöber mit heulendem Wind, ist eine Erfahrung, die sich nur bruchstückhaft mit Worten oder Photographien wiedergeben lässt. Die Stille ist so mächtig wie die ungeheure Masse des Berges vor einem, wortlos. Die metallenen Schläge von Pickel oder Skistöcken an den Steinen, vielleicht das Heulen des Windes, der eigene Atem; es wird so gut wie nicht gesprochen. Beim Höhersteigen, wenn die Nacht sternenklar ist, ganz wenige Lichtpunkte weit weit unten von Gehöften, in der Fläche zwischen den Kordilleren. Dann, nach Stunden, der ersehnte Sonnenaufgang, eine Ahnung von ein wenig Wärme; zu sehen, ob man auf dem richtigen Weg nach oben ist. Die letzten 300 Höhenmeter: Das Zählen der eigenen mühsamen Schritte, vielleicht zehn nur, dann das Zählen der eigenen Atemzüge, vielleicht zwanzig, bevor die nächsten zehn Schritte kommen. Am Gipfel in der Erschöpfung eine kurze Euphorie, und Gedanken an den Abstieg sind schon gegenwärtig: bei den Schneeriesen, z.B. beim Cayambe, bei den tagsüber steigenden Temperaturen: Halten die Schneebrücken über den Gletscherspalten noch? Wie groß ist die Lawinengefahr? Bei den „Schuttbergen“, den „Kleinen“, also maximal 5000m hoch: Wie ist die Kletterpartie abwärts? Hält das verwitterte Vulkangestein, oder bröckelt es bei jedem Griff ab? Am Cotocachi griff ich an einer Steilstrecke in einer Schlucht beim Hochsteigen in einen etwa 2x2m großen Felsblock vor mir, als sich plötzlich das tonnenschwere Ungetüm, an das ich mich flach hin gepresst hatte, bewegte. Es war das einzige Mal, wo ich mich klar und deutlich abstürzen sah, die Überflüssigkeit meines Todes, an Kind und Frau dachte, ein verzweifeltes „das darf doch nicht wahr sein!“, an einem solchen unbedeutenden Berg wegen nix und wieder nix zu sterben. Wie ich an diesem Ungetüm vorbeigekommen bin: ich weiß es nicht mehr, mit einer letzten abstoßenden Bewegung donnerte es herab, eine Lawine von Schutt und Geröll mit sich reißend. Von den zwölf höchsten Bergen Ecuadors habe ich elf bestiegen. Der vierthöchste, „El Altar“, fehlt noch. Ein Versuch im Herbst 1990 scheiterte am Wetter, sehr ärgerlich bei einem Unternehmen, bei dem wir sechs Tage unterwegs waren.       Bilderfilm El Altar 09/90 Die Berge sind es mir wert, dass ich auf einige noch ein wenig eingehe. Chimborazo (6310m): Bislang zweimal bestiegen, nach einem missglückten Versuch 1985 (Schimmelpilzvergiftung). Langer, langer Anstieg, zuerst über rutschendes Geröll, zumindest auf der Whymper-Route. Bilderfilm Chimborazo 12/86 und 12/89 Hier endet das Tagebuch unvollendet. Eingelegt im Tagebuch sind noch einige lose Zettel im Format etwa DIN A7, die die Besteigung des Sangay zum Jahreswechsel 1985/86 mit Ch.E., R.R. und M.R. zum Inhalt haben und zum Teil während der Tour zum Sangay, teilweise in Quito verfasst wurden, leider nur als Fragment erhalten: Culebrillas, 29.12.1985 Begleiter und Jammerer: Carlos Maza und sein Vetter Lorenzo Anfahrt: sieben Stunden (mit Pause) ……….km sehr schlammig. In Riobamba nehmen wir eine Indigena-Familie mit. Wir bekommen Informationen wo man Mulas bekommt und wer als Führer in Frage kommt. Es ist Carlos Maza, das Gesicht der Ehefrau strahlt, als wir ihn verpflichten; seins bleibt verschlossen. ..........Feilschen um Condiciones, wie viele Peones, wie viele Lasttiere notwendig sind, um lächerliche 100 Sucres. Essen in der „Casa comunal“. Das ganze Dorf staunt über die vier Ankömmlinge. Indio- Freundlichkeit, scheinbare Unberührtheit bei fotographischen Aufnahmen. Die Kinder sehen uns im Raum stundenlang stumm zu, die Älteren spähen draußen durch die Scheibe. Regen die ganze Nacht über. Sechs Uhr aufstehen, packen, Pferde beladen. Auto hochhieven, da Diebstahlgefahr nicht völlig auszuschließen ist, Indios trauen sich nicht ganz, trotz Fremdlichkeit. Wir marschieren bis zur Hacienda; dort stehen zwei Fahrzeuge, mutmaßlich von Franzosen. Irgendwann biegen wir rechts ab vom Weg und gehen eine Weide hoch in den Wald. Ein Pferd geht durch und scheuert mit dem Gepäck an Stacheldraht, wobei mein Zelt zerreißt. Der Weg ist sehr steil und sehr schlammig. Die Pferde leisten beachtliches. Frösche mit hellgrünem Bauch. Wenig auffällige Pflanzen. Rinderknochen, Pumaspuren. Sumpfig, eisenoxidbraun. Ein Pferd bricht nach fünf Stunden unter der Last zusammen und zuckt am Boden. Nach einer Ruhepause und Hilfen beim Hochheben des schweren Gepäcks geht es wieder. Ein Peon hat Magenschmerzen, will zurück. Es besteht Unsicherheit, ob ein anderer als Ersatz nachkommt. Es folgt eine Hochebene, dann geht es bergab, um einiges besser. Gegen ein Uhr mittags setzt wieder Regen ein. Der permanent aufgesetzte Schlaghelm bewährt sich als Brillenschutz. Mehrere Flüsse sind zu durchqueren, die Furte nicht mehr als wadenhoch. Die Peones setzen sich während der Durchquerung der Furt auf die Pferde, die weiterhin gewaltiges leisten müssen, auch auf glitschigen, engen, oft steilen Wegen. In der Hütte in „Culebrillas“ kommen wir um halb vier an. Kaum drinnen, setzt starker Regen ein. Suppe. Ein Indio ist immer noch etwas mürrisch. Um 17:30 klärt es auf, der Sangay wird in seiner gewaltigen Mächtigkeit mehr und mehr sichtbar, schließlich auch der Gipfel. Drei Krater sind erkennbar, zum Schluss steigen an fünf Stellen abwechselnd Rauchsäulen hoch. Phantastische Blauabstufungen am Berg, ein von der Sonne angestrahlter Wolkenkragen. Der Kragen verdichtet sich allmählich, jetzt um 19 Uhr ist alles zugezogen. Frösche klacken, so etwas wie ein Ruck-Puck in der Ferne. Es ist fast ganz dunkel. Das Wetter sieht nicht hoffnungslos aus.
Siegfried Trapp
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Sonntag, 15.02.1992, 17:00 Leider fällt heute der Sonntagabendfußball, den wir sporadisch neben dem regelmäßigen Mittwochabendspiel absolvieren, heute aus. Die Fußballabende in der Sporthalle des Colegio Alemán waren über Jahre hinweg unverzichtbare Fixpunkte, weitgehend unkompliziert, eine schöne Art sich zu bewegen, zu spielen, (un)bedeutenden Erfolg oder Misserfolg zu haben, in meist guter Kompagnie. Ein weiteres schönes Kapitel der Ecuadorjahre. Trotz all der schönen Dinge: Es existieren auch viele Dinge, die das Leben vergällten. Es sind z.B. all die Jahre keine echten Freundschaften mit Ecuadorianern erwachsen; leider nur sehr wenige Ecuadorianer könnte ich aufzählen, die ich als zuverlässig und aufrichtig einschätze. Überwiegend herrscht bei mit nach wie vor Misstrauen, wie ich glaube, berechtigtes Misstrauen vor, zu zahlreich sind die Versuche mich auszubeuten, mich zu übervorteilen. Es sind Verhaltensweisen, die nicht als ehrrührig gelten, sondern allgemeingültiges Verhalten darstellen, ja sogar positive Wertschätzung erfahren. Jemand, der Unaufrichtigkeit und Vorteilsnahme empfindlich als link und fies empfindet, wird sich im Lande nie so ganz wohlfühlen können. Die Umstände der Einzäunung unseres Grundstücks am Hang des Pichincha oder die Vorgehensweise der Besitzerin der Tennisakademie sind nur die jüngsten Beispiele einer langen Reihe unerfreulicher Erlebnisse in dieser Hinsicht. Dienstag, 31.03.1992, 16:30 Quito ist wolkenverhangen, seit gestern regnet es, und es ist, seit langem wieder einmal, empfindlich kühl geworden. An zwei aufeinanderfolgende Tage ohne Sonnenschein im letzten halben Jahr kann ich mich gar nicht erinnern. Im Kamin flackert jedoch ein Feuer und wärmt mir die Beine, die allmählich auch nicht mehr die allerjüngsten sind. Die Berge waren das einschneidendste Naturerlebnis. Nachts um 1 Uhr von der Schutzhütte am Cotopaxi oder Chimborazo aufzubrechen, auf 5000m Höhe, in die schneidende Kälte zu treten, ein sternenübersätes Firmament über einem, oder auch in ein Schneegestöber mit heulendem Wind, ist eine Erfahrung, die sich nur bruchstückhaft mit Worten oder Photographien wiedergeben lässt. Die Stille ist so mächtig wie die ungeheure Masse des Berges vor einem, wortlos. Die metallenen Schläge von Pickel oder Skistöcken an den Steinen, vielleicht das Heulen des Windes, der eigene Atem; es wird so gut wie nicht gesprochen. Beim Höhersteigen, wenn die Nacht sternenklar ist, ganz wenige Lichtpunkte weit weit unten von Gehöften, in der Fläche zwischen den Kordilleren. Dann, nach Stunden, der ersehnte Sonnenaufgang, eine Ahnung von ein wenig Wärme; zu sehen, ob man auf dem richtigen Weg nach oben ist. Die letzten 300 Höhenmeter: Das Zählen der eigenen mühsamen Schritte, vielleicht zehn nur, dann das Zählen der eigenen Atemzüge, vielleicht zwanzig, bevor die nächsten zehn Schritte kommen. Am Gipfel in der Erschöpfung eine kurze Euphorie, und Gedanken an den Abstieg sind schon gegenwärtig: bei den Schneeriesen, z.B. beim Cayambe, bei den tagsüber steigenden Temperaturen: Halten die Schneebrücken über den Gletscherspalten noch? Wie groß ist die Lawinengefahr? Bei den „Schuttbergen“, den „Kleinen“, also maximal 5000m hoch: Wie ist die Kletterpartie abwärts? Hält das verwitterte Vulkangestein, oder bröckelt es bei jedem Griff ab? Am Cotocachi griff ich an einer Steilstrecke in einer Schlucht beim Hochsteigen in einen etwa 2x2m großen Felsblock vor mir, als sich plötzlich das tonnenschwere Ungetüm, an das ich mich flach hin gepresst hatte, bewegte. Es war das einzige Mal, wo ich mich klar und deutlich abstürzen sah, die Überflüssigkeit meines Todes, an Kind und Frau dachte, ein verzweifeltes „das darf doch nicht wahr sein!“, an einem solchen unbedeutenden Berg wegen nix und wieder nix zu sterben. Wie ich an diesem Ungetüm vorbeigekommen bin: ich weiß es nicht mehr, mit einer letzten abstoßenden Bewegung donnerte es herab, eine Lawine von Schutt und Geröll mit sich reißend. Von den zwölf höchsten Bergen Ecuadors habe ich elf bestiegen. Der vierthöchste, El Altar“, fehlt noch. Ein Versuch im Herbst 1990 scheiterte am Wetter, sehr ärgerlich bei einem Unternehmen, bei dem wir sechs Tage unterwegs waren.           Bilderfilm El Altar             09/90 Die Berge sind es mir wert, dass ich auf einige noch ein wenig eingehe. Chimborazo (6310m): Bislang zweimal bestiegen, nach einem missglückten Versuch 1985 (Schimmelpilzvergiftung). Langer, langer Anstieg, zuerst über rutschendes Geröll, zumindest auf der Whymper-Route. Bilderfilm Chimborazo 12/86 und 12/89 Hier endet das Tagebuch unvollendet. Eingelegt im Tagebuch sind noch einige lose Zettel im Format etwa DIN A7, die die Besteigung des Sangay zum Jahreswechsel 1985/86 mit Ch.E., R.R. und M.R. zum Inhalt haben und zum Teil während der Tour zum Sangay, teilweise in Quito verfasst wurden, leider nur als Fragment erhalten: Culebrillas, 29.12.1985 Begleiter und Jammerer: Carlos Maza und sein Vetter Lorenzo Anfahrt: sieben Stunden (mit Pause) ……….km sehr schlammig. In Riobamba nehmen wir eine Indigena-Familie mit. Wir bekommen Informationen wo man Mulas bekommt und wer als Führer in Frage kommt. Es ist Carlos Maza, das Gesicht der Ehefrau strahlt, als wir ihn verpflichten; seins bleibt verschlossen. ..........Feilschen um Condiciones, wie viele Peones, wie viele Lasttiere notwendig sind, um lächerliche 100 Sucres. Essen in der „Casa comunal“. Das ganze Dorf staunt über die vier Ankömmlinge. Indio-Freundlichkeit, scheinbare Unberührtheit bei fotographischen Aufnahmen. Die Kinder sehen uns im Raum stundenlang stumm zu, die Älteren spähen draußen durch die Scheibe. Regen die ganze Nacht über. Sechs Uhr aufstehen, packen, Pferde beladen. Auto hochhieven, da Diebstahlgefahr nicht völlig auszuschließen ist, Indios trauen sich nicht ganz, trotz Fremdlichkeit. Wir marschieren bis zur Hacienda; dort stehen zwei Fahrzeuge, mutmaßlich von Franzosen. Irgendwann biegen wir rechts ab vom Weg und gehen eine Weide hoch in den Wald. Ein Pferd geht durch und scheuert mit dem Gepäck an Stacheldraht, wobei mein Zelt zerreißt. Der Weg ist sehr steil und sehr schlammig. Die Pferde leisten beachtliches. Frösche mit hellgrünem Bauch. Wenig auffällige Pflanzen. Rinderknochen, Pumaspuren. Sumpfig, eisenoxidbraun. Ein Pferd bricht nach fünf Stunden unter der Last zusammen und zuckt am Boden. Nach einer Ruhepause und Hilfen beim Hochheben des schweren Gepäcks geht es wieder. Ein Peon hat Magenschmerzen, will zurück. Es besteht Unsicherheit, ob ein anderer als Ersatz nachkommt. Es folgt eine Hochebene, dann geht es bergab, um einiges besser. Gegen ein Uhr mittags setzt wieder Regen ein. Der permanent aufgesetzte Schlaghelm bewährt sich als Brillenschutz. Mehrere Flüsse sind zu durchqueren, die Furte nicht mehr als wadenhoch. Die Peones setzen sich während der Durchquerung der Furt auf die Pferde, die weiterhin gewaltiges leisten müssen, auch auf glitschigen, engen, oft steilen Wegen. In der Hütte in „Culebrillas“ kommen wir um halb vier an. Kaum drinnen, setzt starker Regen ein. Suppe. Ein Indio ist immer noch etwas mürrisch. Um 17:30 klärt es auf, der Sangay wird in seiner gewaltigen Mächtigkeit mehr und mehr sichtbar, schließlich auch der Gipfel. Drei Krater sind erkennbar, zum Schluss steigen an fünf Stellen abwechselnd Rauchsäulen hoch. Phantastische Blauabstufungen am Berg, ein von der Sonne angestrahlter Wolkenkragen. Der Kragen verdichtet sich allmählich, jetzt um 19 Uhr ist alles zugezogen. Frösche klacken, so etwas wie ein Ruck- Puck in der Ferne. Es ist fast ganz dunkel. Das Wetter sieht nicht hoffnungslos aus.
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