Mit dem Andenken der Werkstatt „Europa“.
Ich wollte am nächsten Tag mittags von der Schule wegfahren; die Karre sprang nicht
an. Ich ließ sie den kurzen Hügel von der Schule runterrollen, sie sprang nicht an,
blockierte unten die Schulschluss-Rushhour, dabei hätte ich am liebsten einem
deswegen tobenden Ecuadorianer ins Gesicht gespuckt. Wir versuchte, sie mit Th.`s
Jeep, den wir bei ihm zu Hause holten, anzuschleppen, gaben dies dann nach ein paar
Kilometern auf. Schleppten ihn zur deutschen Werkstatt von F. , der davon nicht
begeistert war. Ein junger Mecanico spuckte Benzin in den Vergaser, dann lief er wieder.
Bis zu mir nach Hause, am nächsten Morgen sprang er wieder nicht an, bekam der
Motor kein Benzin.
An diesem nächsten Tag beabsichtigten wir, das heißt die Fußballmannschaft der
Humboldt-Gesellschaft, nach Esmeraldas zu fahren. Es war Donnerstag, der 10.
Oktober.
18:30
Da die immobile Karre vor dem Haus im falschen Parkabteil stand (meins war bei
meiner Ankunft besetzt gewesen), ich keine Zeit hatte um mich um das Problem zu
kümmern (musste in die Schule), erbot sich der Hausherr, die gegenüberliegende
Werkstatt einzuschalten (die mir wenig Vertrauen einflößte). Nachmittags von der
Schule zurück hatten sie das Ding noch nicht flottgekriegt. Eine neue Benzinpumpe
müsste her. Zur Beschleunigung der Dinge erbot ich mich, sie herbeizuschaffen, was mit
Hilfe des Verwaltungsleiters J. der Deutschen Schule gelang, beim fünften
Ersatzteilhändler für Chrysler Jeep; das war gleichzeitig auch die letzte Möglichkeit in
Quito gewesen. An der Ecke Eloy Alfaro/República baute mir ein Mecanico die „bomba“
ein; dort war das Gefährt, man ahnt es schon, mal wieder stehen geblieben.
Inzwischen war es 17 Uhr, der gemeinsame Abfahrttermin überschritten, die anderen
suchten gerade nach mir, als ich mich zum Treffpunkt an der Schule aufmachte, um sie
zu benachrichtigen.
Ein Platzregen setzte ein, ein heilloses Durcheinander. Fünf bis sechs Leute der
Humboldt-Gesellschaft kamen mit, versammelten sich in der Werkstatt, übernahmen
das Kommando und den Mecanicos das Werkzeug aus der Hand und legten selbst Hand
an. Dann lief die Karre mehr schlecht als recht, die anderen fuhren los, und kurz vor
Einbruch der Dunkelheit auch ich; bei mir fuhren P. Ch. und Re.R. mit. Es lief gut an, der
Motor schnurrte wohl an die 100 km weit. Dann setzte er aus. Es war nach einem
kurzen Halt in einem Ort, ich weiß nicht mehr welcher. Längst war die Nacht
hereingebrochen, wir hatten keine Werkzeuge dabei; sie hätten uns, wie sich später
herausstellte, auch nichts genützt.
Fehlte Benzin? Kaum möglich, dennoch schoben wir das schwere Fahrzeug zur nächsten
Tankstelle und füllten nach. Benzin fehlte nicht. Die Straße war leicht abschüssig, wir
schoben; er sprang nicht an. An der letzten Laterne der Ortschaft hielten wir, Pe.
fummelte an Vergaser und Benzinleitung herum, wir gossen Benzin in den Vergaser. Die
Karre lief wieder. Vielleicht 15 oder 20 km weit. Dann setzte der Motor wieder
schlagartig aus, diesmal auf offener Strecke. Die Prozedur wiederholte sich noch etwa
zehnmal, Pe. zog im tropischen Niemandsland in stockdunkler Nacht die Benzinleitung
ab, saugte Benzin an, oder versuchte es, manchmal kam, manchmal kam kein Benzin,
ich goss Benzin direkt in den Vergaser. Gottseidank sank unsere Laune erst bei den
letzten drei dieser Stopps.
Santo Domingo erreichten wir so gegen Mitternacht, schon vorher hatte Nieselregen
eingesetzt, Nebel gesellte sich dazu. Stellenweise fiel das normale Scheinwerferlicht
aus, zum Glück funktionierten wenigstens die Nebelscheinwerfer. Hinter Santo Domingo
gab der Scheibenwischer den Geist auf. Durch das Seitenfenster wischte ich mit der
linken Hand die untere Ecke der Windschutzscheibe mit meinem Taschentuch, weiter
reichte auch vorgebeugt der Arm nicht, mit der rechten Hand lenkte ich. Die Sicht war
dabei so miserabel, dass gefährliche Situationen heraufbeschworen wurden, weil wir uns
zuweilen mitten auf der Straße befanden. Jeder Halt auf offener Strecke war gefährlich;
trotz der schwachen Batterie mussten dabei die Scheinwerfer brennen, damit wir
gesehen werden konnten. Ich fühlte mich sehr unwohl, wenn ich dann unter der Karre
lag, die Beine auf die Fahrbahn ausgestreckt. In der Nässe versteht sich. Gegen zwei
Uhr morgens hatten wir genug und beschlossen, wieder mal auf freier Strecke liegen
geblieben, zu übernachten. Ich weiß nicht, wie ich die nächsten vier Stunden verbracht
habe, auf jeden Fall über dem harten Lenkrad gebeugt.
Beim ersten Tageslicht fand sich dann das schon erwähnte Andenken der
Autoreparaturstätte „Europa“: Sie hatten den Tank nicht richtig befestigt, er war
abgesackt und hatte als Folge dessen je nach Straßenbeschaffenheit die Benzinleitung
eingeklemmt oder freigegeben. Pe. verlängerte die Benzinleitung mit dem
Überlaufschlauch des Kühlers und verlegte sie an anderer Stelle. Sie leckte nun zwar
beträchtlich, doch auf diese Weise erreichten wir die „Cabañas Luciernagas“ etwa gegen
11 Uhr. Statt der üblichen 6 Stunden für diese Fahrt waren wir 17 Stunden unterwegs
gewesen.
In den „Luciernagas“ verbrachten wir zwei faule Tage am Strand, wo ich mir auch
einmal das Vergnügen gönnte, mit dem Allradantrieb in voller Fahrt den Strand entlang
zu brausen und über Sandhügel zu springen.
Als ich dann am Sonntagmorgen das Meer verließ, waren meine Kontaktlinsen
weggeschwommen. Ich brauchte mehr als eine halbe Stunde, um das richtig zu fassen.
Ich hatte sie spontan auf der Deutschlandfahrt, in Berlin, gekauft, als ich an einem
Optikergeschäft vorbeikam. Seit einigen Jahren hatte ich eine Brille, und ich habe mich
nie an sie gewöhnen können. Ich probierte die superweichen Linsen selbst an, sie saßen
wie angegossen, ich verließ das Geschäft, es regnete, und die Sicht war klar, keine Brille
wurde vollgeregnet, eine richtige Offenbarung. Jetzt waren sie einfach weg, beide. 700
DM hatten sie gekostet, und kein Ersatz in Sicht. Einfach weg.
Nachmittags war dann das Fußballspiel gegen die Negros der Schule „Amigos de la
ciudad“, die den Comboni-Missionaren untersteht. Ein Werklehrer, Drucker und
Badenser, Herr Anton, hatte dies vermittelt.
Beim Fußballspielen ist es schlicht und einfach nix, wenn man nur
verschwommen sieht.
Siegfried
Trapp
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