Quito, Samstag, 23.11.1985, 21:00 Ist es wert, oder notwendig, dass man über ein Automobil eine kleine Geschichte schreibt? Über einen Haufen Blech, ein gewisses Kapital, und Potential, ein tumbes Fortbewegungsmittel? Es mögen etwa sieben Wochen ins Land gezogen sein, seit oben erwähnter Gegenstand durch Beschriften eines handtellergroßen Stück Papiers (der Verkaufsvertrag) und Unterschreiben eines weiteren, größeren Papiers (der amtliche Teil) und Übergabe von umgerechnet USD 12 000,- in meinen Besitz überging. Ein Jeep mit allem drum und dran, wie Lenkrad, Rücklicht, Räder an allen vier Seiten und auch so angetrieben, ein „Renegade“ Typ CJ5, so lang (bzw. so kurz) wie breit, wobei die Hälfte der Länge (bzw. Kürze) die Motorhaube einnimmt. Neun Jährchen hat er schon in der Karosserie stecken (die übrigens schwarz-gold gewandet daherkommt), angetrieben von einer Maschine mit, ich weiß es bis heute nicht genau, ungefähr vier Liter Hubraum und vielleicht 140 Pferdestärken. Auto-mobil heißt selbst-beweglich. Das ist dieses Fahrzeug leider nicht immer. Am Tag der Inbesitznahme fuhr ich ihn direktemang ine Werkstätte mit dem vertrauenserweckenden Namen „Europa“, weil ich mich an Kleinigkeiten störte, wie nicht funktionierende Handbremse, völlig defekte Stoßdämpfer, oder dreißig Zentimeter Lenkradspiel. Ich hatte eine halbe Million Sucres für die Karre bezahlt, und für ein gut funktionierendes Auto sollte es mir auf den einen oder anderen Sucre auch nicht ankommen. In zwei Tagen wird es fertig sein, versicherte mir die Werkstatt, und nach acht Tagen nahm ich es wieder mit, wutentbrannt, nein, meinem Wesen gemäß eher mit kalter Wut erfüllt. Gearbeitet hatten sie daran nur, wenn ich daneben stand; ging ich, zog ein anderer Kunde den „Mecanico“ zu seiner Karre. Ersatzteile hatte ich zum Teil selbst besorgt, um den Heilungsprozess zu beschleunigen, und als ich es nach acht Tagen, wie erwähnt, das Volk der Ecuadorianer verfluchend, abholte, war die Hälfte, immerhin, repariert. Dafür hatten sie mir ein anderes Andenken beschert. Montag, 25.11.1985, 17:00 Manchmal kann es herrlich sein hier: Ich sitze am Schreibtisch, arbeite, das Fenster vor mir weit auf, die Sonne strahlt mir warm ins Gesicht, auf die Arme, wolkenloser marinblauer Himmel, ein leiser Wind umfächelt mich, aus der Stille die gedämpften Geräusche der Stadt, im Gebüsch vor mir schwirrt ein Kolibri, wenn ich mich vorbeuge, sehe ich die weißblaue Spitze des Cotopaxi über den Häusern. Es ist Ende November. 0:00 Ich warte auf dich, Bn. Dienstag, 26.11.1985, 18:00 Blicke ich vom Schreibtisch zum Fenster raus, so liegt in gerader Richtung vor mir in der Westkordillere der Anden ein buckelförmiger Berg, in der Gestalt eines Wals. An klaren Tagen scheint er nahe zu sein, mit einer halben Tageswanderung erreichbar, an anderen Tagen scheint er sehr fern. Regelmäßig ziehen abends, auch bei sonst wolkenlosem Himmel, dichte flache Wolkenschwaden über ihn hinweg, seine Kontur genau nachziehend, mit, berücksichtigt man die Entfernung, rasender Geschwindigkeit. Mittwoch, 27.11.1985, 19:00 Immer wieder unerklärliche Rückschläge mit der physischen und psychischen Gesundheit. Gestern die plötzliche Übelkeit und der Durchfall nach dem Mittagsschlaf, dann die ständige Schwäche, die Schmerzen in der Beinmuskulatur, Müdigkeit, Verwirrung, der permanente leise Kopfschmerz, im Hinterkopf. Ein Kältegefühl. Nervosität. Und heute Abend setzt plötzlich Nasenbluten ein, nur als ich daran dachte, dass ich noch eine Klassenarbeit zusammenstellen muss. Blähungen und ein Herpes simplex-Bläschen runden das Wohlbefinden ab. Das führt dazu, dass ich bisweilen wutentbrannt alles kurz und klein schlagen möchte, und traue mich und darf nicht. So wachsen Spannungen. Warum bin ich so unzufrieden? Dienstag, 24.12.1985, 11:30 Müde bin ich, und es kotzt mich die Unfähigkeit und Beschränktheit der Bewohner dieses Landes an. Einheimische wie Ausländer. Zur Beschreibung dieses Halbtags, gar nicht so untypisch für die letzte Zeit. Am Morgen dieses Heiligabends stand ich 7:30 auf, wohl in erster Linie, weil meine Putzfrau gegen 8 kommt und ich bis dahin mit Duschen und vielleicht auch Frühstück fertig sein wollte. Fuhr danach mit dem Taxi ins Colegio, ergänzte die Lieferlisten für die Lehrmittelbestellung der Chemiesammlung, konnte die dann aber nicht wie geplant noch vor den Weihnachtsferien auf den Weg bringen, da die Verwaltung verwaist war. Dann ging ich, mit einem Scheck bewaffnet, zur „Banco Continental“, schloss mich an die-wie immer- endlos-Schlange an. Als dann die Reihe endlich an mir war, bemäkelte man irgendeinen Scheckeintrag und die Unterschrift und erklärte, dass der Scheck nicht eingelöst werden kann, und gibt mir den Scheck, mit Stempeln und Gekritzel versehen, wieder zurück. Da dies nicht das erste Mal war, dass ich eine geraume sinnlose Zeit in dieser Bank verbrachte, ohne ein simples Ergebnis zu erzielen, und auch diesmal ich in eigener Person, mit Ausweisen bestückt, nicht von meinem eigenen Konto mein eigenes Moos abheben konnte, ich nach Hause fahren sollte (Taxi natürlich), um ein blödes Scheckformular zu holen, mithin noch einmal anderthalb Stunden verlieren wegen der paar blöden Kröten, und diese Vollkretins nicht fähig waren, ein anderes Formular herbei zu schaffen, platzte mir der Kragen, ich zerriss wutentbrannt den Scheck und eilte in eine andere Abteilung, um die Auflösung des Kontos zu verlangen. Und überall stehen die Sprachschwierigkeiten im Weg. Um nun das restliche Geld abzuheben, sollte ich nun auch noch nach Hause, um ein weiteres Formular zu holen.  Ein unglaublich umständliches idiotisches Bankwesen. Wegen dem Sucre-Anteil in meiner Gehaltsüberweisung muss ich mir jetzt eine andere Bank suchen, und neben der Genugtuung der Kontoauflösung steht nur die winzig kleine Hoffnung, dass eine andere Bank weniger unfähig ist. An und für sich ein Unding, sich über einen derartigen Kleinmist zu verbreiten, aber in den letzten Monaten sind gerade diese Kleinigkeiten dabei, mich fertig zu machen. Ich ging den halben Kilometer bis zur Bushaltestelle, wartete 20 Minuten und fuhr zum Flughafen, wo der Deutsch-Tscheche war, der jetzt mein Auto in der Mangel hatte. Kein Auto, kein Tscheche da. Angeblich nach Chone gefahren. Das liegt fast an der Küste, mithin wird er auch die mindestens nächsten drei Tage nicht auftauchen. Seit über einem Monat haben diese unfähigen Typen mein Auto, bislang ohne Ergebnis.. Doch ich will die absonderliche und allmählich widerlich werdende Geschichte des Fahrzeugs dort fortsetzen, wo ich aufgehört hatte.
Siegfried Trapp
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Quito, Samstag, 23.11.1985, 21:00 Ist es wert, oder notwendig, dass man über ein Automobil eine kleine Geschichte schreibt? Über einen Haufen Blech, ein gewisses Kapital, und Potential, ein tumbes Fortbewegungsmittel? Es mögen etwa sieben Wochen ins Land gezogen sein, seit oben erwähnter Gegenstand durch Beschriften eines handtellergroßen Stück Papiers (der Verkaufsvertrag) und Unterschreiben eines weiteren, größeren Papiers (der amtliche Teil) und Übergabe von umgerechnet USD 12 000,- in meinen Besitz überging. Ein Jeep mit allem drum und dran, wie Lenkrad, Rücklicht, Räder an allen vier Seiten und auch so angetrieben, ein „Renegade“ Typ CJ5, so lang (bzw. so kurz) wie breit, wobei die Hälfte der Länge (bzw. Kürze) die Motorhaube einnimmt. Neun Jährchen hat er schon in der Karosserie stecken (die übrigens schwarz-gold gewandet daherkommt), angetrieben von einer Maschine mit, ich weiß es bis heute nicht genau, ungefähr vier Liter Hubraum und vielleicht 140 Pferdestärken. Auto-mobil heißt selbst-beweglich. Das ist dieses Fahrzeug leider nicht immer. Am Tag der Inbesitznahme fuhr ich ihn direktemang ine Werkstätte mit dem vertrauenserweckenden Namen „Europa“, weil ich mich an Kleinigkeiten störte, wie nicht funktionierende Handbremse, völlig defekte Stoßdämpfer, oder dreißig Zentimeter Lenkradspiel. Ich hatte eine halbe Million Sucres für die Karre bezahlt, und für ein gut funktionierendes Auto sollte es mir auf den einen oder anderen Sucre auch nicht ankommen. In zwei Tagen wird es fertig sein, versicherte mir die Werkstatt, und nach acht Tagen nahm ich es wieder mit, wutentbrannt, nein, meinem Wesen gemäß eher mit kalter Wut erfüllt. Gearbeitet hatten sie daran nur, wenn ich daneben stand; ging ich, zog ein anderer Kunde den „Mecanico“ zu seiner Karre. Ersatzteile hatte ich zum Teil selbst besorgt, um den Heilungsprozess zu beschleunigen, und als ich es nach acht Tagen, wie erwähnt, das Volk der Ecuadorianer verfluchend, abholte, war die Hälfte, immerhin, repariert. Dafür hatten sie mir ein anderes Andenken beschert. Montag, 25.11.1985, 17:00 Manchmal kann es herrlich sein hier: Ich sitze am Schreibtisch, arbeite, das Fenster vor mir weit auf, die Sonne strahlt mir warm ins Gesicht, auf die Arme, wolkenloser marinblauer Himmel, ein leiser Wind umfächelt mich, aus der Stille die gedämpften Geräusche der Stadt, im Gebüsch vor mir schwirrt ein Kolibri, wenn ich mich vorbeuge, sehe ich die weißblaue Spitze des Cotopaxi über den Häusern. Es ist Ende November. 0:00 Ich warte auf dich, B. Dienstag, 26.11.1985, 18:00 Blicke ich vom Schreibtisch zum Fenster raus, so liegt in gerader Richtung vor mir in der Westkordillere der Anden ein buckelförmiger Berg, in der Gestalt eines Wals. An klaren Tagen scheint er nahe zu sein, mit einer halben Tageswanderung erreichbar, an anderen Tagen scheint er sehr fern. Regelmäßig ziehen abends, auch bei sonst wolkenlosem Himmel, dichte flache Wolkenschwaden über ihn hinweg, seine Kontur genau nachziehend, mit, berücksichtigt man die Entfernung, rasender Geschwindigkeit. Mittwoch, 27.11.1985, 19:00 Immer wieder unerklärliche Rückschläge mit der physischen und psychischen Gesundheit. Gestern die plötzliche Übelkeit und der Durchfall nach dem Mittagsschlaf, dann die ständige Schwäche, die Schmerzen in der Beinmuskulatur, Müdigkeit, Verwirrung, der permanente leise Kopfschmerz, im Hinterkopf. Ein Kältegefühl. Nervosität. Und heute Abend setzt plötzlich Nasenbluten ein, nur als ich daran dachte, dass ich noch eine Klassenarbeit zusammenstellen muss. Blähungen und ein Herpes-simplex-Bläschen runden das Wohlbefinden ab. Das führt dazu, dass ich bisweilen wutentbrannt alles kurz und klein schlagen möchte, und traue mich und darf nicht. So wachsen Spannungen. Warum bin ich so unzufrieden? Dienstag, 24.12.1985, 11:30 Müde bin ich, und es kotzt mich die Unfähigkeit und Beschränktheit der Bewohner dieses Landes an. Einheimische wie Ausländer. Zur Beschreibung dieses Halbtags, gar nicht so untypisch für die letzte Zeit. Am Morgen dieses Heiligabends stand ich 7:30 auf, wohl in erster Linie, weil meine Putzfrau gegen 8 kommt und ich bis dahin mit Duschen und vielleicht auch Frühstück fertig sein wollte. Fuhr danach mit dem Taxi ins Colegio, ergänzte die Lieferlisten für die Lehrmittelbestellung der Chemiesammlung, konnte die dann aber nicht wie geplant noch vor den Weihnachtsferien auf den Weg bringen, da die Verwaltung verwaist war. Dann ging ich, mit einem Scheck bewaffnet, zur „Banco Continental“, schloss mich an die- wie immer-endlos-Schlange an. Als dann die Reihe endlich an mir war, bemäkelte man irgendeinen Scheckeintrag und die Unterschrift und erklärte, dass der Scheck nicht eingelöst werden kann, und gibt mir den Scheck, mit Stempeln und Gekritzel versehen, wieder zurück. Da dies nicht das erste Mal war, dass ich eine geraume sinnlose Zeit in dieser Bank verbrachte, ohne ein simples Ergebnis zu erzielen, und auch diesmal ich in eigener Person, mit Ausweisen bestückt, nicht von meinem eigenen Konto mein eigenes Moos abheben konnte, ich nach Hause fahren sollte (Taxi natürlich), um ein blödes Scheckformular zu holen, mithin noch einmal anderthalb Stunden verlieren wegen der paar blöden Kröten, und diese Vollkretins nicht fähig waren, ein anderes Formular herbei zu schaffen, platzte mir der Kragen, ich zerriss wutentbrannt den Scheck und eilte in eine andere Abteilung, um die Auflösung des Kontos zu verlangen. Und überall stehen die Sprachschwierigkeiten im Weg. Um nun das restliche Geld abzuheben, sollte ich nun auch noch nach Hause, um ein weiteres Formular zu holen.  Ein unglaublich umständliches idiotisches Bankwesen. Wegen dem Sucre-Anteil in meiner Gehaltsüberweisung muss ich mir jetzt eine andere Bank suchen, und neben der Genugtuung der Kontoauflösung steht nur die winzig kleine Hoffnung, dass eine andere Bank weniger unfähig ist. An und für sich ein Unding, sich über einen derartigen Kleinmist zu verbreiten, aber in den letzten Monaten sind gerade diese Kleinigkeiten dabei, mich fertig zu machen. Ich ging den halben Kilometer bis zur Bushaltestelle, wartete 20 Minuten und fuhr zum Flughafen, wo der Deutsch- Tscheche war, der jetzt mein Auto in der Mangel hatte. Kein Auto, kein Tscheche da. Angeblich nach Chone gefahren. Das liegt fast an der Küste, mithin wird er auch die mindestens nächsten drei Tage nicht auftauchen. Seit über einem Monat haben diese unfähigen Typen mein Auto, bislang ohne Ergebnis.. Doch ich will die absonderliche und allmählich widerlich werdende Geschichte des Fahrzeugs dort fortsetzen, wo ich aufgehört hatte.
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