22:00
Ich will mit einem Nachtrag beginnen, während die „Moody Blues“ etwas über Timothy
Leary, den LSD-Professor singen: „Timothy Leary is dead, no, he´s outside“.
Ich beginne chronologisch von hinten: Der Chimborazo.
Zunächst werde ich das hierher übertragen, was ich auf der neuen Schutzhütte
geschrieben hatte, auf Quittungszetteln von Autoersatzteilen, die ich in meinen Taschen
gefunden hatte:
„Refugio Chimborazo, Samstag, 9.11.1985, 15:30
Ri. und Om. sind noch immer auf dem Berg; nunmehr seit 14 Stunden! Was mit kalter
strahlender Bläue begonnen hat, hat nun in dichtem Nebel, Windböen und Hagelschauern
geendet. Ri.s optimistische Wettervorhersage hat sich nicht ganz bestätigt.
Es hat hart begonnen: Vier Stunden Aufstieg nur bis zum Gletscherrand! Die
ungewöhnlich lange Trockenperiode hat das Eis extrem weit zurück weichen lassen. Das
Refugio I, von dem aus wir starteten, liegt immerhin bereits 4800 m hoch.
Gegen 22 Uhr waren wir gestern Abend am Refugio eingetroffen. Verzögerungen bei der
Reparatur meines Jeeps hatten verursacht, dass wir Quito-Nord erst um 16:30 verlassen
konnten. Nach einer anstrengenden und nervenden Woche auch noch ein anstrengender
und nervender Abfahrtstag. Zweimal versuchte ich Ri. vom Vorhaben abzubringen, mit
Hinweisen auf die nicht optimale Wetterlage, auf meine angeschlagene Gesundheit,
zuletzt ein letzter Versuch mit der eingeschränkten Funktionsweise meines „Renegade“.
Allein es waren Tropfen auf einen heißen Stein, Ri.s Optimismus erstickte meine zaghaften
Versuche im Keim, ließ keinen Einwand gelten.
Zwei Stunden Ruhe, so gut wie ohne Schlaf, waren uns in der Schutzhütte nur vergönnt.
Auf der Herfahrt bei einem Zwischenstopp in Ambato hatte ich einen Kuchen gekauft und
hier auf der Hütte im Schummerlicht gegessen. Wie ich nach Verzehr der Hälfte sah, war
er verschimmelt und lag mir während dieser zwei Stunden übel im Magen.
Wir packten dann gewissenhaft unsere Rucksäcke für den Aufstieg, und brachen 1:30 auf.
Immer noch stürmt es, peitscht der Hagel auf das Dach. Der „Guardian“, der Wächter des
Refugios, ist zuversichtlich und meint, dass Ri. und Om. spätestens in einer halben Stunde
hier sein müssten.
Ich ziehe mir zum Schreiben besser wieder die Handschuhe an, es ist bitter kalt.
1:30 also, Ri. und ich nahmen die Steigeisen in die Hand, weil wir dachten, der Gletscher
müsste mindestens so nah sein wie am Cotopaxi, folglich in weniger
als einer Stunde zu erreichen. Doch vier Stunden dauerte es, vier
Stunden über steile, rutschige, übelste Geröllfelder; eine Plackerei,
bei der Frequenz und Länge der Pausen stetig zunahmen, über die
Gebühr, wie es mir schien. Spätestens nach zwei Stunden war mir
klar, dass mir mein inkonsequentes Handeln wieder mal
Schwierigkeiten beschert hat.
Siegfried
Trapp
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