Mittwoch, 6.11.1985, 1:00 Bin auf dem Weg der Besserung, weil: „Ich muss garnix“. Sonntag, 10.11.1985, 22:00 Aber im Kopf stimmt was nicht: Immer öfter kommt vor, dass ich mich an Vorgänge überhaupt nicht mehr erinnere, manche meiner Handlungen scheinen den Übergang aus dem Kurzzeitgedächtnis nicht zu vollziehen, werden einfach ausgelöscht. Montag, 11.11.1985, 21:00 Im Fieber ist alles so geheimnisvoll, dunkel, mystisch, unwirklich, und es tut wohl, sich im Schutz des Hauses, der Wohnung zu befinden, noch besser im Schutz des Bettes. Es rauscht in den Ohren, und alle Geräusche scheinen von weit her zu kommen. Die Zeit der Nacht, der Innerlichkeit, der Einsamkeit. Vielleicht sollte man nicht krank werden, so man allein ist. 0:30 Seit zwei Stunden fühle ich mich besser. Die Klausur für die Abitursklasse ist fertiggestellt, die will ich morgen schreiben lassen (hoffentlich ist sie nicht zu schwer oder zu lang für die Truppe), das schaffe ich noch, die beiden restlichen zwei Stunden lasse ich mich dann vertreten. 1:30 Tolstois Erzählungen: Einfach, von großer Klarheit, Leben beschreibend, das Fechten mit sich selbst, mit seinen Unzulänglichkeiten, dieses Erkennen seiner Schwäche und doch nicht- anders-können. „Der Tod des Iwan Iljitsch“. „Die Kreutzersonate“. Dienstag, 12.11.1985, 0:00 Ein Virus, transferiert von der psychologisch-menschlichen Ebene auf die philosophisch- biologische Ebene, bin ich das? Unfähig, einen eigenen Stoffwechsel zu haben, aber fähig, andere Stoffwechsel meinem Willen zu unterwerfen? Und das nur im direkt- zwischenmenschlichen Bereich? Mittwoch, 13.11.1985, 17:30 Nach langer langer Zeit hat der Regen eingesetzt. Schwermut, fast Apathie, hat mein Wesen erfasst. 23:30 Ich fühle mich, als sei Winter, und sehne mich nach einem heißen Bad, aber ich habe keine Badewanne, und einem langen erquickendem Schlaf. Samstag, 16.11.1985, 21:00 Wieder steht nicht, sondern liegt die Mondsichel am Firmament. Auf halber Höhe zwischen Horizont und Zenit, wenn ich vom Schreibtisch aus dem Fenster sehe. Samstagabend, müde, allein, und durstig.
Siegfried Trapp
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Mittwoch, 6.11.1985, 1:00 Bin auf dem Weg der Besserung, weil: „Ich muss garnix“. Sonntag, 10.11.1985, 22:00 Aber im Kopf stimmt was nicht: Immer öfter kommt vor, dass ich mich an Vorgänge überhaupt nicht mehr erinnere, manche meiner Handlungen scheinen den Übergang aus dem Kurzzeitgedächtnis nicht zu vollziehen, werden einfach ausgelöscht. Montag, 11.11.1985, 21:00 Im Fieber ist alles so geheimnisvoll, dunkel, mystisch, unwirklich, und es tut wohl, sich im Schutz des Hauses, der Wohnung zu befinden, noch besser im Schutz des Bettes. Es rauscht in den Ohren, und alle Geräusche scheinen von weit her zu kommen. Die Zeit der Nacht, der Innerlichkeit, der Einsamkeit. Vielleicht sollte man nicht krank werden, so man allein ist. 0:30 Seit zwei Stunden fühle ich mich besser. Die Klausur für die Abitursklasse ist fertiggestellt, die will ich morgen schreiben lassen (hoffentlich ist sie nicht zu schwer oder zu lang für die Truppe), das schaffe ich noch, die beiden restlichen zwei Stunden lasse ich mich dann vertreten. 1:30 Tolstois Erzählungen: Einfach, von großer Klarheit, Leben beschreibend, das Fechten mit sich selbst, mit seinen Unzulänglichkeiten, dieses Erkennen seiner Schwäche und doch nicht-anders- können. „Der Tod des Iwan Iljitsch“. „Die Kreutzersonate“. Dienstag, 12.11.1985, 0:00 Ein Virus, transferiert von der psychologisch-menschlichen Ebene auf die philosophisch-biologische Ebene, bin ich das? Unfähig, einen eigenen Stoffwechsel zu haben, aber fähig, andere Stoffwechsel meinem Willen zu unterwerfen? Und das nur im direkt- zwischenmenschlichen Bereich? Mittwoch, 13.11.1985, 17:30 Nach langer langer Zeit hat der Regen eingesetzt. Schwermut, fast Apathie, hat mein Wesen erfasst. 23:30 Ich fühle mich, als sei Winter, und sehne mich nach einem heißen Bad, aber ich habe keine Badewanne, und einem langen erquickendem Schlaf. Samstag, 16.11.1985, 21:00 Wieder steht nicht, sondern liegt die Mondsichel am Firmament. Auf halber Höhe zwischen Horizont und Zenit, wenn ich vom Schreibtisch aus dem Fenster sehe. Samstagabend, müde, allein, und durstig.
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