Etwa zwei Stunden nach Beginn des Aufstiegs hatten wir für kurze Zeit
Sicht nach unten gehabt, über weite Schneefelder in das fast
konturlose Braun des Nationalparks.
Nach oben zu jedoch war alles vom Nebel verdeckt, und je höher wir
stiegen, desto mehr wurden wir eingehüllt. Ich stapfte, fast blind,
frierend, stumpf einen Schritt vor den anderen setzend. Seit Stunden
hatten wir nicht mehr miteinander gesprochen, im eisigen Sturm sowieso
eine weitere Schwierigkeit. Einzige Unterbrechung des Schweigens war ein
Ruf von Pe. M., als er bis zur Hüfte in eine durch eine Schneeverwehung
getarnte Spalte sackte. Rü. B. kam uns allein entgegen, von der Seilschaft,
die sich etwa 20 Höhenmeter über uns befand.
Wir erfuhren, dass wir uns auf etwa 5700 m befanden, also noch etwa 300
Höhenmeter zurückzulegen waren, mithin vielleicht noch zwei Stunden unter
diesen Wetterbedingungen. Die Unternehmung war sinnlos geworden; wir beschlossen
umzukehren. Zwei weitere, unabhängig von uns gestartete Bergsteiger schlossen sich uns an.
Ich war froh über diese Umkehr.
Nach dem Verlassen des Gletschers ergaben sich wieder Orientierungsprobleme, wir
stocherten im Nebel. Die beiden Fremden waren vorangegangen, ich hielt den Kontakt
zwischen ihnen und dem Rest unserer Seilschaft. Wir überstiegen an die zehn Grate,
durchquerten ebenso viele kleine Schluchten, jeder Grat, jede Schlucht sah gleich aus, wieder
nur der unheimliche Nebel, und das stetige Brausen des Windes, doch ich vertraute den
Spuren vor mir, und wir erreichten auch die Hütte. Auch eine Gruppe von Schweizern hatte
kehrtgemacht.
Niemand hatte den Gipfel erreicht; das Unternehmen war gescheitert.
Sonntag, 03.03.1985, 19:00
Aber auch im zweiten Anlauf war uns das Glück nicht hold.
Am späten gestrigen Morgen ging die Unternehmung erneut los. Der harte Kern war dabei:
Fünf Deutsche, mit Ch.E. ein Schweizer, und zwei Ecuadorianer aus Ma.R.s Bergsteigerclub.
Der Weg durch den Nationalpark zog sich wieder in die Länge; Nässe an einigen Stellen wies
auf keineswegs optimale Witterungsverhältnisse hin. Schon weit unterhalb der Schutzhütte
lag Schnee. Doch noch hatten wir Hoffnung.
Wir sahen wie beim letzten Mal zwei altertümliche Ford-Omnibusse, die
sich auf der alles andere als leichten Piste bis auf eine Höhe von 4400m
heraufquälten, undenkbar für europäische Vorstellungen. Als unser
Landcruiser die Parkplattform erreichte, hatte es dorthin auch ein VW-
Bus geschafft.
Die Kälte war nicht so schneidend wie beim ersten Mal, doch trieb der starke Wind kleine wie
Nadelstiche piekende Eiskörner in unsere Gesichter. Diesmal war ich wärmer angezogen und
besser vorbereitet; bis auf die Höhenanpassung während der ersten 200m war der Aufstieg
zur Schutzhütte, im Gegensatz zum letzten Mal, ein Kinderspiel.
Die kleine Gruppe, bestehend aus Ch.E., Ri.R., He.(„von der Botschaft“)D., Ma.R., Rü.B. und
mir war guter Laune. Ein Hans kam noch dazu; der VW-Bus gehörte We.K., bis dato Leiter der
Deutschen Schule Guayaquil, dann noch ein deutsches Pärchen: Das waren die Leute, die mit
den Ecuadorianern auf drei Seilschaften verteilt wurden. Ch. hatte wieder Holz mit
hochgeschleppt, und ein Drittel der Gruppe saß lange, bis fast 21 Uhr, ums Feuer. Fünf der
Anwesenden waren in der vorangegangenen Woche an der Suche nach einem auf dem
Tungurahua vermissten Deutschen beteiligt gewesen und berichteten darüber: Wie hatte er
beim Abstieg so weit vom Weg abkommen können? Bergbauern hatte ihn dann gefunden,
He.D. war bei der Bergung des mit Schädel- und vielfachen Knochenbrüchen in einer Schlucht
liegenden Toten dabei gewesen.
Der Wind heulte um die Hütte, es fiel Schnee. Ich hatte Schwierigkeiten einzuschlafen,
mitunter auch Atembeklemmungen im Sturmtief auf der Höhe.
Der Sturm ließ die ganze Nacht nicht nach, wir konnten die Hütte nicht
verlassen. Am nächsten Morgen, als wir die Unternehmung abbrachen,
begleitete uns auf dem Rückweg dichter Nebel, und Enttäuschung auf der
ganzen Strecke durch den Nationalpark. In jedem Bergführer steht, dass „der
Cotopaxi aufgrund seiner geographischen Lage als die meiste Zeit des Jahres
frei“ gilt.
Bei uns halt nicht.
Dienstag, 05.03.1985, 09:30
Ich sitze gerade im Vorbereitungsraum für das Sprachdiplom II, fünf ecuadorianische Schüler
des VI. Kurses, der Abschlussklasse bereiten sich vor: Ich habe Aufsicht und zwar nicht die
Muße, aber vielleicht doch die Arbeitshaltung, um was in dies Büchlein hineinzufabulieren.
Vielleicht kriege ich noch den theaterreifen K.-Umzug zusammen.
Ich hatte ihr Auto über Mittag gehabt und kam nach nicht erquickendem, dumpfem
Mittagsschlaf so gegen 16:30 bei ihr in der „Francisco Pizzaro“ an. Wir luden das Auto zum
ersten Mal voll, unter dunklen Vorahnungen von K., der Auseinandersetzungen mit den
Vermietern wegen einiger ungeklärten Differenzen bzw. Zahlungen schwante. Die gab’s dann
auch.
Das Vermieterehepaar zählte zusammen etwa 120 Lenze und wies für sein Alter erstaunlich
viel Temperament und Lebendigkeit auf. Es begann damit, dass der Alte mir plötzlich in den
Weg sprang und mich am Verlassen des Außentores hindern wollte, justamente als ich gerade
mit einem schweren Paket in den Händen runterwankte. Er hatte schon zuvor wie ein
Rohrspatz geschimpft, aber mir einfach komplett den Weg zu verstellen brachte für einige
Augenblicke sogar mein Blut zum Wallen und ich trat drohend auf ihn zu, worauf er es doch
vorzog, zurückzuweichen. Während der nächsten zwei Fuhren steigerte sich das Theater
immer mehr. Die Alte, von K. als „Hexe“ bezeichnet und in der Folge auch so genannt, spielte
mir, der ich beruhigend vermitteln wollte, mehrfach vor, wie bös und unfreundlich sich K.
immer benommen hätte (wobei sie die Doppelrolle einnahm und Position und Stimmlage
wechselte, um beide Personen naturgetreu darzustellen, zwischen Tür und Angel hin und her
huschte und auch Türen knallen ließ), und dabei auch nicht vergaß, die mit Umzugsgut
vorbeigehende K. immer wieder munter zu beschimpfen. Einmal sprang sie behände vor und
entriss der eben wieder vorbeigehenden Ku. die Handtasche, um mit dieser in ihre Wohnung
zu enteilen. K. jedoch, nicht weniger behände, flitzte ihr blitzschnell nach, erwischte sie so
zwei Meter bereits innerhalb der Vermieterwohnung , und beide zerrten am begehrten Objekt,
wobei ein wüstes Handgemenge knapp vermieden wurde. Ich wusste nicht, ob ich das Ganze
nun als würdelos oder einfach nur als komisch empfinden sollte. In der Folge wurde mehrfach
die Garagentür verriegelt, die Haustüre von innen mit einem Holzbalken verstellt, um K. am
Auszug zu hindern oder wenigstens behindern. Ach ja, eine Szene verdient es noch,
dargestellt zu werden: Die Haustür war mit einem Balken verbarrikadiert, die „Hexe“ stand
hinter der Tür, wie uns der junge „Portero“, der mit seiner Frau in einer winzigen Kammer
neben der Tür hauste, mit Fingerzeichen verriet. Es muss so gegen 21 Uhr gewesen sein. K.
kam auf die Idee, durch die ganz untere Garage einzudringen. Als die Alte das Scheppern des
aufgehenden Rolltores vernahm, flüchtete sie unter ärgerlich-ängstlichen Rufen nach oben:
Sie war schon in ihr Nachtgewand gekleidet gewesen und befürchtete, von uns gesehen zu
werden. Der „Portero“ konnte sich nicht mehr zurückhalten und brach in schallendes
Gelächter aus.
Die Szenen waren jedoch ungeachtet dessen weitgehend voller Spannungen, Aggressionen
und blankem Hass gewesen. Drohungen mit Polizei und Rechtsanwalt waren eher noch solche
harmloserer Natur. An diesem Abend war ich, als ich nach Hause ging, weiß Gott physisch und
psychisch bedient.
Am nächsten Abend, dem Vorabend der ersten Cotopaxi-Exkursion, war ich wieder in ihrer
neuen, unglaublich schönen, mit herrlichem Blick ausgestatteten Wohnung, die noch dazu
einen außerordentlich günstigen Mietpreis hat. Ich half mit einzuräumen, und auch Talia von
der Botschaft oder Rita von der deutsch-ecuadorianischen Handelskammer, ich kann die zwei
nicht auseinanderhalten, half tüchtig mit. Zwischendurch war ich noch bei der Cotopaxi-
Vorbesprechung im Eg.-schen Haus, so gegen 1 Uhr morgens fuhren wir zu Talia oder Rita, die
uns noch ein fabelhaftes Essen hinstellte, was zu trinken war auch dabei, eines der älteren
Kinder, das im Ehebett geschlafen hatte, wuchtete ich noch in das Etagenkinderbett hoch, um
2 oder 3 morgens war ich zuhause: Kurzum, eine schlechte Vorbereitung, wie schon erwähnt,
für das Cotopaxi-Vorhaben.
Was war noch? Ein ganz interessantes Gespräch mit Botschaftsleuten, bei der Verabschiedung
des Kultur-Attachés im Humboldt-Haus, v. A. mit Frau Sch. und Herrn Sp.. Ich war dort
zufällig reingeraten, als ich zum Video-Sportschau-Gucken wollte, ein paar Leute hielten mich
fest und drängten mir Getränke auf, und nach dem dritten oder vierten Glas hatte ich den
Absprung verpasst. Mein Verhältnis zum Kultur-Attaché P. ist ja nicht das beste, und ich
wechselte auch den ganzen Abend kein Wort mit ihm, stand in Anorak und Baskenmütze
zwischen den Leuten in Abendgarderobe und amüsierte mich über weite Teile des Abends
hinweg sehr gut.
Seit ein paar Wochen läuft ein Schultief bei mir, mit nicht zwingendem Unterricht, parallel zu
einer leichten Erkältung mit Unwohlsein im rechten Hoden; eine rätselhafte Infektion, die
mich seit dem Krankenhausaufenthalt in Ludwigsburg im Jahr 1981 immer mal wieder befällt.
Auch Heimweh kommt manchmal auf, und auch der Wunsch, eine Familie, Kinder zu haben.
Es gilt allmählich, Überlegungen für die weitere berufliche Zukunft anzustellen.
Ich werde Anfragen an Deutsche Schulen Südafrikas/Afrikas und vielleicht auch Asiens
machen, befürchte aber, dass die Vergütung unzureichend sein wird. Das geplante Gespräch
im OSA bezüglich der Einstellung in den Schuldienst BW sehe ich nicht sehr hoffnungsvoll.
Ergibt sich bei diesen beiden Möglichkeiten nichts, werde ich nicht um eine Verlängerung hier
herumkommen. Das Leben wird vermutlich angenehmer, wenn ich mir ein Auto leisten kann,
da die täglichen Erledigungen oft qualvoll sind. He. hat einen Jeep Bj. 70, für umgerechnet ca.
6000 Mark. Spätestens im Sommer müsste so was drin sein, vielleicht schon in zwei Monaten.
Siegfried
Trapp
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