Strand von Same, Esmeraldas, Montag, 18.02.1985, 11:00
In der Restauration der „Cabernas Luciernagas“, die rundum an den Stellen mit Fliegengittern
ausgestattet ist, wo in nördlichen Ländern Glasfenster zu sitzen pflegen: Ein alter Schwarzer
mit Strohhut steht an der Bar; er hat keine seiner Ketten mit schwarzen Korallen verkauft, er
trinkt ein „Sprite“.
Der Himmel ist wolkenverhangen hinter dem Bambusdach und den Palmenwedeln, das Meer ist
schmutziggrau.
Es mangelt mir an Unternehmungslust und auch an Lebensfreude, vielleicht liegt’s an der noch
nicht überwundenen Erkältung, vielleicht am Wechsel der Höhenlage. Wer weiß das schon.
Ich bin es satt. 120 Insektenstiche, ± 20, machen mir schwer zu schaffen; sie nerven. Allein in
der Knöchelgegend um die Hundert. Es ist nur mit einer kühlenden Sandschlammpackung
auszuhalten. Diese verdammten kleinen Mücken! Oder waren es Sandflöhe? Passiert ist es
innerhalb von einer Stunde während der Dämmerung.
Von der Gesellschaft her langweile ich mich wieder, aber ich musste die vier freien
Faschingstage raus aus Quito.
Der ecuadorianische Menschenschlag gefällt mir nicht.
Das Jucken ist unerträglich!!
Oftmals erscheint mir alles unwirklich hier. Trotz der faszinierenden Umstände flach, eine Zeit,
tauglich nur für die Erinnerung, für später.
Quito, Dienstag, 19.02.1985, 20:00
Ich fühle eine Gliederschwere, als folge eine Krankheit. Hoffentlich nicht.
An der Küste habe ich, keinesfalls übertrieben, mir um die 150 Insektenstiche eingehandelt. Es
sieht aus, als hätte ich einen üblen Hautausschlag: 120 punktförmige, schwer juckende Stiche
an den Füßen, und 30 rote bis weiße Quaddeln am verlängerten Rückgrat.
Sonntag, 24.02.1985, 19:30
Zwei Tage lang war ich tatsächlich Schwächeanfällen ausgesetzt, in der Schule musste ich mich
während des Unterrichts auf Schülerbänke setzen.
Es mangelt weiter an Kraft und Unternehmenslust, es schleichen sich Stunden der Sehnsucht
ein nach dem Land, in dessen Sprache ich heimisch bin. Bisweilen zähle ich die Monate bis zur
erwähnten Deutschlandfahrt mit den Schülern: Es sind fünf. Südamerika hat nichts mystisches
für mich. Sehen möchte ich allerdings noch Feuerland und vor allem Brasilien. Das restliche
Südamerika erscheint für mich: Korruption, Armut, Besitzgier und unverfrorene Vorteilsnahme.
Von der Tierwelt bekommt man fast nur die Arthropoda zu Gesicht, bzw. zu spüren. Ich würde
lieber in Asien und vor allem in Afrika leben.
Streckenweise machen mir auch wieder Einsamkeitsgefühle zu schaffen. Fünf Monate viele
Abende und fast jede Nacht im Bett allein. Schon wieder viel zu lange.
Am nächsten Wochenende steht der zweite Versuch der Cotopaxi-Ersteigung
an.
Der Bericht über den ersten Versuch fehlt allerdings noch.
Hier ist er:
Ich hatte mich nicht sehr gut vorbereitet. Nicht mental, und ich hatte nicht
gut und nicht genügend gegessen an den Tagen zuvor. Körperlich-
konditionell war ich in guter Verfassung, das hatte die Besteigung des
Guagua-Pichinchas in ordentlichem Tempo am Wochenende zuvor gezeigt.
Am Sa., dem 9.2., fuhr die zwanzigköpfige Gruppe am frühen Morgen los.
Nach anderthalb Stunden war der Cotopaxi-Nationalpark erreicht, unser
Jeep ließ die Buschlandschaft bald unter sich. Das Wetter dagegen ließ sich
nicht gut an. Schon unterhalb des „Parkplatzes“, auf 4600m Höhe, lag ein feiner
Schneeschleier, Schneeverwehungen auf dem Weg erschwerten die Hochfahrt. Als wir die Jeeps
verließen, empfing uns eisiger Sturm, und ich zog mir bereits die Thermohose über. Zum
„Refugio“ führte der Weg über Gratlagen, der Sturm drückte gegen die Rucksäcke, so dass es
nicht einfach war, das Gleichgewicht zu halten. Auf 4800m Höhe
erreichten wir die gemauerte, recht geräumige Schutzhütte. Ich war
müde, da ich die Nacht zuvor nur vier Stunden geschlafen hatte (K.
war umgezogen, unter theaterreifen Umständen, die, falls ich die Zeit
und Muße finde, ich noch gerne schildern möchte, und ich half ihr bis
spät in die Nacht hinein), und legte mich auf die vorhandenen
Holzroste, doch ich konnte nicht einschlafen.
Am Nachmittag legten wir dann die Steigeisen an und stiegen zum Üben auf
den Gletscher.
Der Bergführer Is. hatte zwar nicht meine Sympathie, doch zog ich einige
Erkenntnisse aus diesen vier Stunden, was Umgang mit Steigeisen und vor
allem Umgang mit anderen Leuten in der Seilschaft, am Seil, anbelangt. Zwei-
oder dreimal rutschte Herr Te., der stumpfe Steigeisen trug, auf dem Eis weg.
Ich ging als letzter, er direkt vor mir, so dass ich es sah und
darauf reagieren konnte; so war es nicht schwer, ihn am Seil
zu halten. Wäre ich vor ihm gewesen, hätte er mich bei
seinem Sturz durch den plötzlichen Seilzug von den Beinen geholt.
Zurück am Gletschereinstieg lösten wir die Seilschaft auf, und ich ging
allein voran, da es mir zu langsam ging.
Ein Fehler.
Ich fand die Hütte nicht. Wir waren an einer anderen Stelle des Gletschers abgestiegen, ich
stand plötzlich mutterseelenallein zwischen Vulkanschuttgraten. Das Licht schwand, Nebel kam
auf. Totenstille um mich, vom Brausen des Windes abgesehen. Ich überstieg Grate links, dann
wieder rechts von mir. Nichts zu sehen und zu hören. Es wurde dunkler, der Nebel dichter, und
Panik wollte mich darob anwandeln, dass auch ein gänzlicher Abstieg nichts nutzen würde, da
der über 30 000 ha große Nationalpark unbewohnt ist. Es gab nur eine Lösung: Den eigenen
Spuren folgend wieder aufsteigen und dann den Spuren der anderen nachgehen.
Ich war etwa einen Kilometer zu weit links geraten und weiß Gott froh, als das Refugio
auftauchte.
Schwere Kopfschmerzen, die sich zu Migräne steigerten, setzten am Abend ein. Ich hatte
gefroren, hatte keinen Appetit.
Inzwischen hatte Ru., obwohl Ri. und ich in eine Seilschaft wollten, in egoistischer Manier eine
Seilschaft für sich zusammengestellt, und für mich war keine leistungsmäßig adäquate übrig.
In Anbetracht dessen und der Kopfschmerzen wegen erwog ich ernsthaft, vom Aufstieg am
nächsten Tag abzusehen.
Wegen der pochenden Kopfschmerzen konnte ich eine Stunde lang nicht einschlafen. Als
jedoch um 1:30 die ersten begannen im Raum rum zu rumoren, hatte ich doch etwas
geschlafen. Der Schlafsack war trotz der empfindlichen Kälte in der unbeheizten und nicht
isolierten Schutzhütte warm, die Kopfschmerzen etwas schwächer geworden, doch keinesfalls
verschwunden. Ich kämpfte eine halbe Stunde mit einer Entscheidung, beschloss dann
aufzustehen, eine Novalgin-Schmerztablette einzunehmen und abzuwarten, ob zusammen mit
einem warmen Tee Besserung eintreten würde.
Montag, 25.02.1985, 01:00
Dies war der Fall.
3:30 brachen wir auf. Die Stirnlampen waren kaum vonnöten, die Nacht sternenklar. Eine
beißende, doch windlose Kälte herrschte. Am Vorabend, so gegen 19:00, waren -12 °C
gemessen worden, inzwischen war die Temperatur sicher noch um einige Grad gefallen.
Es stieg sich gut mit den „Stigise“. 13 Mann und zwei Mädchen stark war die Gruppe noch; fünf
waren den Beschwernissen des Gletschertrainings und sonstigen körperlichen Beschwerden
zum Opfer gefallen.
Bis einschließlich zum Einstieg in den Gletscher waren noch keine Seilschaften gebildet
worden. Dies wurde Ca.C. zum Verhängnis: An einer Eissteilstelle rutschte sie ab und nach vier
oder fünf Metern in eine Spalte, die glücklicherweise nur etwa eineinhalb Meter tief war. Das
Eis war zementhart, sie erlitt ordentliche Schmerzen.
Wind kam auf, noch lange vor Einbruch der Dämmerung. Ich war Schlussmann der Seilschaft
Ro.B.-Mi.-Pe.M.. Ab und zu überschritten wir schmale Gletscherspalten. Das Tempo war mir zu
langsam, ich fror.
In den nächsten Stunden nahm die Windstärke stetig zu. Ich fror trotz der Handschuhe. An
einer Steilstelle blieb ich mit einem Steigeisen an meiner Thermohose hängen, sie stand
infolge der Kniebeugung unter Spannung und zerriss von der Wade bis hoch in den
Oberschenkel. Vor allem die psychologische Wirkung war äußerst unangenehm; der Wind blies
mit Macht den Riss auf und kühlte das Bein aus. Längst war mein Bart mit Eisklumpen
durchsetzt. Nebel gesellte sich bei Temperaturen sicher unter -20 °C zum Sturmwind, meine
Gletscherbrille war innen und außen mit Eis bedeckt, meine Sicht stark beeinträchtigt. Nach
vier Stunden waren die Gesichter der anderen aschgrau, der Mund ein schneeweißer Strich.
Ich hatte dergleichen noch nie gesehen. Wir waren nur noch zu neunt; sechs hatten nach und
nach aufgegeben.
Refugio
Cotopaxi
Siegfried
Trapp
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