Frankfurt, 20.9.1984, 21:30
Ich sitze am Fenster, und starre in die Nacht hinaus. Der Jumbo der AVIANCA rollt, wie es
mir scheint über Kilometer hinweg zum Startpunkt. Direkt über der Tragfläche sitze ich, sie
erscheint riesig, und noch riesiger erscheinen die Triebwerke. Die Maschine ist nur zu etwa
einem Zehntel besetzt; das tut mir wohl. Nach innerlicher Ruhe und Gelassenheit in den
letzten Tagen und Wochen kommt nun doch etwas Beklommenheit. Ich bedaure, die Reise
allein anzutreten.
Die Maschine steht am Startpunkt. Ich glaube, es ist sogar die lang umkämpfte Startbahn
West.
Der Abschied von Schwester, Schwager und Mutter fiel nicht so leicht wie erhofft.
Es geht los! Ich wünsche und hoffe auf einen guten Start. In jeder Beziehung.
Schon nach ein paar Minuten sind wir im dichten Wolkenmeer.
Der Abschied fiel nicht leicht, Beklemmung und Tränen bei Schwester und Mutter, und ich
wandte mich schnell ab und ging. Vater war in Markgröningen geblieben, für ihn war die
Aufregung zu groß geworden, zu groß für das angeschlagene Herz und den Kreislauf. Es war
weiß Gott besser, dass er nicht mit nach Frankfurt kam. Hoffentlich erholt er sich.
Gestern hatte noch Th. angerufen, heute Ma. Auch Eg. war vorbeigekommen. Ich lasse doch
einige Freunde zurück.
Bringen die nächsten Jahre neue? Was bringen mir die nächsten Jahre überhaupt? Ich hoffe
ich habe immer die nötige Kraft. Es ist das wichtigste überhaupt.
Doch lasse ich nur wenige zurück, die ich wirklich vermisse. Kein Mädchen. Ann. hat mir nie
sehr viel bedeutet. Von Se. ….; wir haben uns, ich weiß nicht wie, entfremdet, wahrscheinlich
kannten wir uns nie. Von Ca. habe ich einen ignoranten und intoleranten Brief erhalten, in
welchem sie „keinen Abschied nimmt, bis sie unter der Erde läge“. Wo liegt hier das Ende?
Paris, 20.9.1984, 22:30
Nach weniger als dreiviertel Stunden Flug steht die Maschine in Orly. Die Beklommenheit ist
gewichen, ich bin lediglich etwas müde und auch etwas hungrig.
Paris, 21.9.1984, 00:15
Endlich geht’s weiter; Paris liegt als riesiges Lichterspinnennetz unter uns. Ein Schwenk in
extremer Schräglage: Fetzenhafte dunkle Wolken hängen vor dem Leuchtpunktemuster.
Madrid, 21.9.1984, 02:00
Essen und Service sind mäßig, und Charme und Aussehen der Stewardessen stehen dem in
nichts nach. Wie es aussieht, bewegen sich die Hübschen in der 1. Klasse.
Es ist inzwischen bereits zehn nach drei, und wir stehen immer noch in Madrid. Nicht gerade
ein gemütlicher Flug: Viertel nach zwei wurden alle Passagiere aus dem Flugzeug gejagt,
mussten durch das halbe Flughafengebäude gehen, warten, und stiegen wieder ins selbe
Flugzeug.
San Juan (Puerto Rico), 21.9.1984, 05:20 Ortszeit
Ein kleiner Flugplatz mit soweit ich sehe nur einer etwas größeren Landebahn; diese hat bei
scharfem Bremsen für die B-747 gerade noch ausgereicht. Immerhin fünf Stunden habe ich
schlafen können, das hat etwas geholfen.
Acht Uhr in San Juan, der Himmel ist bedeckt, es ist bereits sehr feuchtwarm. Die Maschine
hat eine ziemliche Verspätung (auch in San Juan war wieder eine Wanderung durchs
Flughafengebäude fällig), hoffentlich erreiche ich die Anschlussmaschine in Bogotá.
Beim Start überfliegen wir karibisch weißblauen Palmenstrand, Lagunen und Fischerhütten.
Aber auch Strände mit Hochhäusern.
Bogotá, 21.9.1984, 10:45
Die letzten Kilometer war das kolumbianische Hochland zu sehen, Bergketten mit glitzernden
Flüssen dazwischen. Der riesige Metallvogel schwebte über Herden von winzigen, wie
Spielzeuge aussehenden Kühen.
Jetzt warte ich auf die Maschine nach Quito. Viel Warten.
11:00
Es geht weiter mit einer B-707; deren Innenraum macht im Vergleich zum Jumbo einen
katenartigen Eindruck.
Im Jumbo saß während des gesamten Fluges vor mir ein älteres schweizerisches Ehepaar; in
den letzten Stunden kamen wir ins Gespräch. Sie kommen aus Basel, mögen das
konservative Zürich nicht, bevorzugen in Südamerika Ekuador und Chile. Er ist bzw. war
Anorganiker, lehrte auch zwei Jahre an der ETH in Zürich.
Beide beglückwünschten mich zu meiner kommenden Tätigkeit, fanden es großartig,
unbedingt zu befürworten. Es tat wohl, solche Worte von dem interessanten Ehepaar
Scheufelberg zu hören.
Das Andenhochland liegt unter einer dichten Wolkendecke. Wie unter einer hunderte von
Metern dicken Schicht lockeren Schnees begraben. Nur vereinzelt ragen höhere
„Schneehaufen“ aus der weißen Wüste.
Quito, Hotel „Embassy“, 21.9.1984, 15:00
Seit zwei Stunden bin ich im Hotel, aber ich kann nicht einschlafen. Vielleicht auch besser so,
dann werde ich vermutlich des Nachts schlafen. Das Zimmer ist komfortabel eingerichtet,
geht leider zur (allerdings nicht sehr belebten) Straße hinaus.
Der Schulleiter Dr. Fo. hatte mich mit seinen beiden Töchtern am Flughafen abgeholt, das
Zimmer war reserviert, auch eine Flasche Bier zum Einschlafen hatte er mir noch bestellt.
Um 18 Uhr treffen wir (die weiteren hier im Hotel wohnenden neuen Lehrkräfte) uns mit
ihm.
Samstag, 22.9.1984, 15:30
Momentan fühle ich mich wirklich nicht besonders. Es ist für meinen Geschmack zu kalt (ich
fröstle oft; vielleicht liegt es auch an der aus Deutschland mit rüber gebrachten leichten
Erkältung), zu einsam, zu langweilig. Quito scheint ein verschlafenes Nest zu sein. Was habe
ich mir von hier versprochen? Mir fallen Sätze aus Bn.´s ersten Briefen aus Südafrika ein. Es
ist überall dasselbe. Auch ihre Idylle vom Leben auf dem Lande (das hätte ich von ihr nicht
erwartet) fällt mir ein.
Sie kann sich dort wenigstens verständlich machen! Es bleibt nur zu hoffen,
dass ich möglichst rasch Fortschritte im Spanischen mache. Wer weiß,
vielleicht hätte ich tatsächlich einfach mal zu ihr nach Kapstadt gehen sollen?
Versuchen irgendwie, unter Umständen auch ganz anders, den
Lebensunterhalt zu bestreiten? Wärme, Nähe und Sex wären garantiert
gewesen. Aber ich weiß nicht, ob es einfacher, ob es richtig gewesen wäre.
Im Schwabenland ist es jetzt 22:30.
17:30
Nach zwei Stunden Wanderung im Bezirk 14: Quito macht überwiegend einen trostlosen
Eindruck. Vielleicht liegt’s am trüben Wetter, trotzdem, ich hab´s mir heller, blumenreicher,
blütenreicher vorgestellt. Die Mädchen sind größtenteils für meine Augen regelrecht hässlich,
Konsumgüter (beispielweise Kleidung) ausgesprochen teuer.
Eine merkwürdige Kombination in diesem letzten Satz.
Ich fühle mich müde, und allein.
Siegfried
Trapp
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