Siegfried Trapp
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Jens Bisky über historische Vergleiche Wie Weimar ist die Gegenwart? Auf Demos und im Bundestag wird vor Verhältnissen wie kurz vor 1933 gewarnt. Aber was bringt der Vergleich? Fragen an den Weimar-Experten Jens Bisky. Ein historischer Tag? Am 31. Januar 2025 beschlossen AfD, FDP und CDU gemeinsam einen Antrag zur Migrationspolitik Interview von Kersten Augustin taz: Herr Bisky, Sie haben ein Buch geschrieben über das Ende der Weimarer Republik. Haben Sie zurzeit oft Déjà-vus? Jens Bisky: Ja, ständig! Die hatte ich schon beim Schreiben: 1929 protestieren Bauern, eine „nationale Opposition“ formiert sich, Wirtschaftsverbände kritisieren die teuren Sozialversicherungen. Das Haushaltsdefizit wächst, darüber zerbricht die Koalitionsregierung unter Hermann Müller, die letzte Regierung mit parlamentarischer Mehrheit in der Geschichte der Republik. taz: Auch die Ampel ist an einem Haushaltsstreit zerbrochen. Und während wir für dieses Interview zusammensitzen, stimmt die CDU erstmals mit der AfD für ein Gesetz im Bundestag. Bisky: An Weimar erinnert mich das Entschlossenheitsgetue nach den Morden in Aschaffenburg, die Absage ans Reden, an Kompromisse. Grundlage einer freiheitlichen Ordnung sind dauerndes Geplapper und Kompromisssuche. Aber ich bin mir sicher, dass es damit nach dem 23. Februar weitergehen wird. Ich unterstelle Merz nicht, dass er mit der AfD koalieren will. Das ist ein großer Unterschied zu rechten Parteien am Ende der Weimarer Republik. Die Deutschnationale Volkspartei etwa hat unter Alfred Hugenberg eine obstruktive Oppositionspolitik, eine radikale Zerstörungspolitik betrieben. Im Interview: Jens Bisky geboren 1966 in Leipzig, ist Germanist und Kulturwissenschaftler. Sein Buch „Die Entscheidung. Deutschland 1929 bis 1934“ ist im vergangenen Oktober im Rowohlt-Verlag erschienen (640 Seiten, 29,99 Euro). taz: Friedrich Merz bemüht den Weimar - Vergleich sogar selbst: Einmal 1933 reicht, hat er gesagt. Warum macht er das? Bisky: Er ist ja damit nicht allein. Der Weimar-Vergleich ist umso erfolgreicher, je ungenauer er ist. Es geht Merz wohl darum, ein diffuses Gefühl anzusprechen. Ich habe nichts gegen Vergleiche, es geht nicht ohne sie, aber man muss genau sein. taz: Dann versuchen wir das mal. 1929 ist die Weimarer Republik relativ stabil, die SPD ist stärkste Kraft, die NSDAP landet bei den Wahlen auf dem sechsten Platz. Vier Jahre reichen dann, um die Republik zu zerstören. Bisky: Die damalige Dynamik ist noch im Rückblick überraschend, ein Strudel, in dem das politische System untergeht. Der Sozialdemokrat Carl Severing forderte das Kabinett auf, die Deckungsvorlagen in den Reichstag einzubringen, es darauf ankommen zu lassen, „in offener Feldschlacht zu fallen“. taz: Offene Feldschlacht – so wie die FDP es geplant hatte, um die Ampel-Regierung zu sprengen. Noch ein Déjà-vu also? Bisky: Vor allem ein Beleg für die Beliebtheit militärischer Metaphern. Und danach wird mit Heinrich Brüning ein Kanzler installiert, der auf den Reichspräsidenten Hindenburg zählen kann, der die Regierungspolitik mit Notverordnungen durchsetzt – gegen das Parlament. Brünings autoritärer Regierungsstil bediente eine verbreitete Sehnsucht. taz: Nach Brüning kam im Frühjahr 1932 Franz von Papen, als Kanzler eines reaktionären Präsidialkabinetts. Er warb um die Zustimmung der NSDAP, er wolle die Nazis zähmen, hieß es. Manche sehen darin Parallelen zu Friedrich Merz heute. Bisky: Papen hat das SA-Verbot aufgehoben. Es gibt dazu keine Parallele in der Gegenwart. Und was heißt „zähmen“? Soweit ich sehe, hat Papen kaum praktische Schritte zur Zähmung unternommen. Das ist ein Entschuldigungswort. taz: Von Papen stammt der Satz, man müsste Hitler in die Ecke drücken, bis er quietscht. Bisky: Den Satz aus dem Januar 1933 verbindet jeder mit Papen. Aber er hat damals nicht einmal versucht, Hitler auch nur die Ecke zu zeigen, in die er ihn drängen wollen würde. Die strategische Initiative lag bei den Nationalsozialisten. Unterstellt man Papen eine Zähmungsabsicht, ist er gescheitert. Doch es war ihm viel wichtiger, die SPD und alle „Marxisten“ aus Machtpositionen zu verdrängen, die Republik zu zerstören. Dabei war er außerordentlich erfolgreich. taz: Noch eine Ähnlichkeit zu damals: Auch heute verstärkt eine Wirtschaftskrise den Rechtsruck. Bisky: Die Wirtschaft der Weimarer Republik schwächelte bereits, bevor in New York die Börse crashte. Anfang 1930 gab es dann etwa 3 Millionen Arbeitslose, Ende 1930 ist der Hunger zurück in Deutschland. Und Hunger ist etwas anderes, als die Inflation im Supermarkt zu spüren. taz: Da hört das Déjà-vu also auf? Bisky: Es gab viel weniger soziale Absicherung als heute. Ich schreibe im Buch über eine kommunistische Familie aus dem Wedding. Da wird der Pullover für den Vater auf Kredit gekauft. Man lebte also von der Hand im Mund, von Woche zu Woche, ohne Rücklagen, Notgroschen. Dann brach 1931 das Weltfinanzsystem zusammen, und die nationale Opposition gewann immer mehr Wähler. taz: Sie sagen, man dürfe die organisatorische Leistung der NSDAP nicht unterschätzen: Sie schaffte es schnell, zu einer Volkspartei für alle Berufsgruppen zu werden. Hätte man die Partei verbieten können? Bisky: Sie war ja nach dem Bierkeller-Putsch 1923 verboten. Dann hat man sie – ein Beispiel für die ungeheure Liberalität der Republik – wieder zugelassen. In einzelnen Ländern aber galt für Hitler weiterhin ein Redeverbot. 1932 wurde die SA verboten. Daraufhin sank die Zahl der Toten durch politische Gewalt sofort. Doch Franz von Papen hob als erstes das Verbot der SA wieder auf. Er und die Reichswehrführung glaubten, man brauche diese bewaffneten jungen Leute, um die Grenzen zu schützen. Viele rechneten damit, dass Polen Deutschland überfallen werde. taz: Nochmal, hätte man die NSDAP verbieten können? Bisky: Gewiss, aber die tatsächliche Entwicklung war doch eine gegenteilige. In Thüringen und Braunschweig koalierten die bürgerlichen Parteien bereits 1930 mit den Nazis, deren Radikalität viele faszinierte, die von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilten. Gewalt, Antisemitismus und Abrechnungsrhetorik standen dem nicht im Wege. taz: Damals wie heute gibt es eine Sehnsucht nach Disruption bei Konservativen. Friedrich Merz träumt von Politik per Dekret an Tag eins wie sein Vorbild Donald Trump. Wie kam es am Ende von Weimar zu diesem Vertrauensverlust der Bürgerlichen in die Demokratie? Bisky: Zum Bürgertum gehörte immer auch die Lust am Antibürgerlichen. Bei Merz sehe ich das nicht. Der CDU aufgrund von Analogieketten faschistische Tendenzen zu unterstellen, scheint mir falsch und obendrein eine große politische Dummheit. Ende der zwanziger Jahre stehen im bürgerlichen Lager, wenn man das so grob vereinfachend sagen will, jene, die eine Diktatur herbeiführen wollen, eine neue, aus dem Geist der Frontkameradschaft entstehende politische Ordnung, gegen andere wie etwa Thomas Mann, die außenpolitisch für Aussöhnung mit den Kriegsgegnern werben und innenpolitisch für Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten. taz: Nicht nur bürgerliche Parteien, auch Unternehmer hatten ihren Anteil am Ende der Weimarer Republik. Was lockte sie nach rechts? Bisky: Die Wirtschaftsverbände haben das Ihre zum Ende der Republik beigetragen, aber keine einheitliche Strategie verfolgt. Fritz Thyssen, Emil Kirdorf oder Albert Vögler musste niemand nach rechts locken, sie unterstützten früh die extreme Rechte. Feindschaft gegen die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften spielte eine entscheidende Rolle. Aber auch ein Großindustrieller wie Paul Silverberg, der 1926 zur Zusammenarbeit mit der SPD aufgerufen hat, suchte dann am Ende der Republik eine neue Massenbasis für das kapitalistische Wirtschaftssystem – bei den Nationalsozialisten. weiterlesen
Foto: Liesa Johannssen/reuters
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Jens Bisky über historische Vergleiche Wie Weimar ist die Gegenwart? Auf Demos und im Bundestag wird vor Verhältnissen wie kurz vor 1933 gewarnt. Aber was bringt der Vergleich? Fragen an den Weimar-Experten Jens Bisky. Ein historischer Tag? Am 31. Januar 2025 beschlossen AfD, FDP und CDU gemeinsam einen Antrag zur Migrationspolitik Interview von Kersten Augustin taz: Herr Bisky, Sie haben ein Buch geschrieben über das Ende der Weimarer Republik. Haben Sie zurzeit oft Déjà-vus? Jens Bisky: Ja, ständig! Die hatte ich schon beim Schreiben: 1929 protestieren Bauern, eine „nationale Opposition“ formiert sich, Wirtschaftsverbände kritisieren die teuren Sozialversicherungen. Das Haushaltsdefizit wächst, darüber zerbricht die Koalitionsregierung unter Hermann Müller, die letzte Regierung mit parlamentarischer Mehrheit in der Geschichte der Republik. taz: Auch die Ampel ist an einem Haushaltsstreit zerbrochen. Und während wir für dieses Interview zusammensitzen, stimmt die CDU erstmals mit der AfD für ein Gesetz im Bundestag. Bisky: An Weimar erinnert mich das Entschlossenheitsgetue nach den Morden in Aschaffenburg, die Absage ans Reden, an Kompromisse. Grundlage einer freiheitlichen Ordnung sind dauerndes Geplapper und Kompromisssuche. Aber ich bin mir sicher, dass es damit nach dem 23. Februar weitergehen wird. Ich unterstelle Merz nicht, dass er mit der AfD koalieren will. Das ist ein großer Unterschied zu rechten Parteien am Ende der Weimarer Republik. Die Deutschnationale Volkspartei etwa hat unter Alfred Hugenberg eine obstruktive Oppositionspolitik, eine radikale Zerstörungspolitik betrieben. Im Interview: Jens Bisky geboren 1966 in Leipzig, ist Germanist und Kulturwissenschaftler. Sein Buch „Die Entscheidung. Deutschland 1929 bis 1934“ ist im vergangenen Oktober im Rowohlt-Verlag erschienen (640 Seiten, 29,99 Euro). taz: Friedrich Merz bemüht den Weimar - Vergleich sogar selbst: Einmal 1933 reicht, hat er gesagt. Warum macht er das? Bisky: Er ist ja damit nicht allein. Der Weimar-Vergleich ist umso erfolgreicher, je ungenauer er ist. Es geht Merz wohl darum, ein diffuses Gefühl anzusprechen. Ich habe nichts gegen Vergleiche, es geht nicht ohne sie, aber man muss genau sein. taz: Dann versuchen wir das mal. 1929 ist die Weimarer Republik relativ stabil, die SPD ist stärkste Kraft, die NSDAP landet bei den Wahlen auf dem sechsten Platz. Vier Jahre reichen dann, um die Republik zu zerstören. Bisky: Die damalige Dynamik ist noch im Rückblick überraschend, ein Strudel, in dem das politische System untergeht. Der Sozialdemokrat Carl Severing forderte das Kabinett auf, die Deckungsvorlagen in den Reichstag einzubringen, es darauf ankommen zu lassen, „in offener Feldschlacht zu fallen“. taz: Offene Feldschlacht – so wie die FDP es geplant hatte, um die Ampel- Regierung zu sprengen. Noch ein Déjà-vu also? Bisky: Vor allem ein Beleg für die Beliebtheit militärischer Metaphern. Und danach wird mit Heinrich Brüning ein Kanzler installiert, der auf den Reichspräsidenten Hindenburg zählen kann, der die Regierungspolitik mit Notverordnungen durchsetzt – gegen das Parlament. Brünings autoritärer Regierungsstil bediente eine verbreitete Sehnsucht. taz: Nach Brüning kam im Frühjahr 1932 Franz von Papen, als Kanzler eines reaktionären Präsidialkabinetts. Er warb um die Zustimmung der NSDAP, er wolle die Nazis zähmen, hieß es. Manche sehen darin Parallelen zu Friedrich Merz heute. Bisky: Papen hat das SA-Verbot aufgehoben. Es gibt dazu keine Parallele in der Gegenwart. Und was heißt „zähmen“? Soweit ich sehe, hat Papen kaum praktische Schritte zur Zähmung unternommen. Das ist ein Entschuldigungswort. taz: Von Papen stammt der Satz, man müsste Hitler in die Ecke drücken, bis er quietscht. Bisky: Den Satz aus dem Januar 1933 verbindet jeder mit Papen. Aber er hat damals nicht einmal versucht, Hitler auch nur die Ecke zu zeigen, in die er ihn drängen wollen würde. Die strategische Initiative lag bei den Nationalsozialisten. Unterstellt man Papen eine Zähmungsabsicht, ist er gescheitert. Doch es war ihm viel wichtiger, die SPD und alle „Marxisten“ aus Machtpositionen zu verdrängen, die Republik zu zerstören. Dabei war er außerordentlich erfolgreich. taz: Noch eine Ähnlichkeit zu damals: Auch heute verstärkt eine Wirtschaftskrise den Rechtsruck. Bisky: Die Wirtschaft der Weimarer Republik schwächelte bereits, bevor in New York die Börse crashte. Anfang 1930 gab es dann etwa 3 Millionen Arbeitslose, Ende 1930 ist der Hunger zurück in Deutschland. Und Hunger ist etwas anderes, als die Inflation im Supermarkt zu spüren. taz: Da hört das Déjà-vu also auf? Bisky: Es gab viel weniger soziale Absicherung als heute. Ich schreibe im Buch über eine kommunistische Familie aus dem Wedding. Da wird der Pullover für den Vater auf Kredit gekauft. Man lebte also von der Hand im Mund, von Woche zu Woche, ohne Rücklagen, Notgroschen. Dann brach 1931 das Weltfinanzsystem zusammen, und die nationale Opposition gewann immer mehr Wähler. taz: Sie sagen, man dürfe die organisatorische Leistung der NSDAP nicht unterschätzen: Sie schaffte es schnell, zu einer Volkspartei für alle Berufsgruppen zu werden. Hätte man die Partei verbieten können? Bisky: Sie war ja nach dem Bierkeller- Putsch 1923 verboten. Dann hat man sie – ein Beispiel für die ungeheure Liberalität der Republik – wieder zugelassen. In einzelnen Ländern aber galt für Hitler weiterhin ein Rede- verbot. 1932 wurde die SA verboten. Daraufhin sank die Zahl der Toten durch politische Gewalt sofort. Doch Franz von Papen hob als erstes das Verbot der SA wieder auf. Er und die Reichswehrführung glaubten, man brauche diese bewaffneten jungen Leute, um die Grenzen zu schützen. Viele rechneten damit, dass Polen Deutschland überfallen werde. taz: Nochmal, hätte man die NSDAP verbieten können? Bisky: Gewiss, aber die tatsächliche Entwicklung war doch eine gegenteilige. In Thüringen und Braunschweig koalierten die bürgerlichen Parteien bereits 1930 mit den Nazis, deren Radikalität viele faszinierte, die von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilten. Gewalt, Antisemitismus und Abrechnungs- rhetorik standen dem nicht im Wege. taz: Damals wie heute gibt es eine Sehnsucht nach Disruption bei Konservativen. Friedrich Merz träumt von Politik per Dekret an Tag eins wie sein Vorbild Donald Trump. Wie kam es am Ende von Weimar zu diesem Vertrauensverlust der Bürgerlichen in die Demokratie? Bisky: Zum Bürgertum gehörte immer auch die Lust am Antibürgerlichen. Bei Merz sehe ich das nicht. Der CDU auf- grund von Analogieketten faschistische Tendenzen zu unterstellen, scheint mir falsch und obendrein eine große politische Dummheit. Ende der zwanziger Jahre stehen im bürger- lichen Lager, wenn man das so grob vereinfachend sagen will, jene, die eine Diktatur herbeiführen wollen, eine neue, aus dem Geist der Front- kameradschaft entstehende politische Ordnung, gegen andere wie etwa Thomas Mann, die außenpolitisch für Aussöhnung mit den Kriegsgegnern werben und innenpolitisch für Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten. taz: Nicht nur bürgerliche Parteien, auch Unternehmer hatten ihren Anteil am Ende der Weimarer Republik. Was lockte sie nach rechts? Bisky: Die Wirtschaftsverbände haben das Ihre zum Ende der Republik beigetragen, aber keine einheitliche Strategie verfolgt. Fritz Thyssen, Emil Kirdorf oder Albert Vögler musste niemand nach rechts locken, sie unterstützten früh die extreme Rechte. Feindschaft gegen die Sozial- demokraten und die Gewerkschaften spielte eine entscheidende Rolle. Aber auch ein Großindustrieller wie Paul Silverberg, der 1926 zur Zusammen- arbeit mit der SPD aufgerufen hat, suchte dann am Ende der Republik eine neue Massenbasis für das kapitalistische Wirtschaftssystem – bei den Nationalsozialisten. weiterlesen