Siegfried
Trapp
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taz: Warum wandten sich Unternehmen von der liberalen Republik ab?
Bisky: Die zögerliche Bejahung der Republik war aus der Not der Kriegsniederlage geboren.
Am Anfang stand ein Kompromiss zwischen Unternehmern und Gewerkschaften. Der wurde
1929 aufgekündigt. „Aufstieg oder Niedergang“, so hieß eine Denkschrift des
Reichsverbands der Deutschen Industrie. Der beispiellose Wirtschaftseinbruch und die
Lähmung der parlamentarischen Arbeit schlossen ein „Weiter so!“ aus. Im Kern ging es um
einen Verteilungskonflikt: Wer zahlt für die Niederlage im Krieg? Wer trägt die Kosten der
Krise? Unter ganz anderen Bedingungen stellen sich heute – nach dem Angriff Russlands auf
die Ukraine, angesichts der Klimakatstrophen und der Rezession – ähnliche Fragen.
taz: Heute sind Rechtsextreme sehr wirtschaftsliberal. Elon Musk macht Wahlwerbung für
die AfD, Deutschlands einflussreichster Verleger sucht seine Nähe. Wann begannen sich die
Reichen in der Weimarer Republik für die NSDAP zu interessieren?
Bisky: Es gab frühe Unterstützer Hitlers, auch in der Wirtschaft. In München und Berlin
öffnen vermögende Gattinnen den Nazis die Türen der Salons. Der Ausdruck, man macht
jemanden „salonfähig“, überschätzt die Sauberkeit von Salons. Aber wir haben heute keine
Wirtschaft, die gegen die politische Ordnung des Landes agitiert. Wir haben auch keine
große Unterstützung für die AfD an den Universitäten. Die Unis waren schon Mitte der
1920er Jahre für die Republik verloren.
taz: Ist der Vergleich zwischen NSDAP und AfD deshalb falsch?
Bisky: Vergleichen kann man alles, aber die AfD ist nicht die NSDAP; wer die Unterschiede
übersieht, wird blind für das Neue, die Gegenwart. Die AfD war eine Gründung
bundesrepublikanischer Eliten aus der zweiten Reihe. Sie hat immer wieder versucht, sich
als bürgerliche Partei zu inszenieren. Die Nazis verachteten die bürgerliche Welt. Die AfD
unterhält keine Privatarmee wie die SA. Nachzudenken wäre darüber, warum es im
vergangenen Jahrzehnt nicht gelungen ist, den Aufstieg der AfD aufzuhalten.
taz: Auch gegen den Aufstieg der NSDAP fanden die politischen Kräfte, die die Republik
stützten, kein Mittel.
Bisky: Unter viel dramatischeren Umständen. Der Zentrumspolitiker Heinrich Brüning,
Reichskanzler von 1930 bis 1932, setzte auf Austeritätspolitik, was die Wirtschaftskrise
verschärfte. Die SPD beschränkte sich darauf, den Sozialstaat, den Rechtsstaat und ihre
Machtpositionen – vor allem in Preußen – zu verteidigen. Das war nicht wenig, aber die
Sozialdemokratie blieb in der Defensive.
taz: Damit beschreiben sie die strategische Hilflosigkeit der SPD. Ist es eine Gefahr, wenn
Sozialdemokratie nur den Status quo verteidigt und der Veränderungswille von rechts
kommt?
Bisky: So allgemeine Merksätze stimmen ja meistens nur halb. Was bedeutete „Status quo“
angesichts der Notverordnungen des Reichspräsidenten, mitten im Zusammenbruch des
internationalen Finanzsystems? Gewiss, es war ein Fehler, dass die SPD 1932 die
Wiederwahl Hindenburgs unterstützte und auf einen eigenen Kandidaten für das Amt des
Reichspräsidenten verzichtete; dass sie dann ohne Programm zur Überwindung der
Wirtschaftskrise in den Wahlkampf ging; dass sie sich auf den angekündigten Staatstreich,
den Preußenschlag, nicht angemessen vorbereitete. Schaut man sich die konkreten
Situationen, die Zwänge und Handlungsmöglichkeiten genau an, verliert man rasch die Lust
an spätgeborener Besserwisserei. So einfach ist es nicht, zu sagen, was man hätte anders
machen können.
taz: Ja, was?
Bisky: Aus guten Gründen entscheid sich die SPD im Herbst 1930, den Reichskanzler
Brüning zu tolerieren. Andernfalls hätte es Neuwahlen und sehr wahrscheinlich noch mehr
Stimmen für NSDAP und KPD gegeben.
taz: Ein Dilemma.
Bisky: Ja, aber wenn man sich für die Tolerierung entscheidet, muss man überlegen, wie
man da wieder rauskommt.
taz: Hat die SPD also staatspolitische Verantwortung verwechselt mit: Wir machen weiter
wie bisher?
Bisky: Ich will dann doch eine Lanze für staatspolitische Verantwortung und die SPD der
Weimarer Republik brechen. Sie hat es im Bündnis mit dem Zentrum und den Liberalen
geschafft, nach der Niederlage im Krieg eine freiheitliche Ordnung mit einem starken
Sozialstaat aufzubauen und das Land halbwegs zu befrieden. Das war eine größere Leistung
als all die revolutionären Phrasen, die dagegen vorgebracht wurden. Was hätte die SPD
denn 1930 tun sollen? Ihre Anhänger bewaffnen? Und dann? Die klügste Kritik an der
strategischen Ratlosigkeit stammte übrigens von Sozialdemokraten. Die SPD war damals,
was gern vergessen wird, eine intellektuelle Großmacht.
taz: Kurt Tucholsky machte sich 1930 über die Strategie der SPD gegen die Nazis lustig:
„Der Vorstand hat mit Stimmenmehrheit beschlossen, über die jetzigen innenpolitischen
Zustände sehr entrüstet zu sein.“ Da denke ich an Rolf Mützenich im Bundestag, wie er
betont empört reagiert, nachdem die CDU mit der AfD gestimmt hat.
Bisky: Tucholsky ist ein bisschen unfair, aber er trifft einen Punkt. Es hat politisch wenig
Sinn, dauerempört zu sein. Empörung muss sich in politische Strategien übersetzen. Das
sollte man nach zwölf Jahren AfD verstanden haben. Wähler erwarten politische
Handlungsmacht, Entrüstung bedeutet Ohnmacht.
taz: Im Reichstag saßen bis zu 14 Parteien. Bei der kommenden Bundestagswahl könnte
jeder fünfte Wähler eine Partei wählen, die nicht im Parlament vertreten ist, dazu kommen
die Nichtwähler. Ist die Weimarer Republik auch an dieser Zersplitterung kaputt gegangen?
Bisky: Nein, das war nur einer unter vielen Faktoren und keineswegs der entscheidende. In
den letzten Jahren der Republik gab es eine ungeheure demokratische Mobilisierung: Jung-
und Erstwähler strömten an die Urnen, Nichtwähler gingen plötzlich wählen. Die
Wahlbeteiligung war hoch, obwohl ständig gewählt wurde.
taz: Die Weimarer Republik ist also nicht an ihrer Verfassung gescheitert.
Bisky: Nein, sie ist zerstört worden durch Leute, die sie zerstören wollten. Und daran, dass
alte Eliten gesagt haben: Mit den Linken wollen wir nichts mehr zu tun haben, wir
versuchen das mal mit dem Kabinett Hitler. Die NSDAP hatte großen Zuspruch, aber nicht
die Mehrheit hinter sich. Im Januar 1933 kam eine faschistische Koalition an die Macht.
Dazu gehörten die Deutschnationale Volkspartei und der Stahlhelm, Bund der
Frontsoldaten. Im ersten Kabinett Hitler waren die Nazi-Minister in der Minderheit.
taz: Wenn Sie mit dem Wissen über das Ende der Weimarer Republik auf die Gegenwart
schauen, sehen Sie die Demokratie in Deutschland bedroht?
Bisky: Ich schreibe im Buch meistens von der Republik, nicht von der Demokratie. Ich halte
Rechtsstaatlichkeit und Liberalität für viel bedrohter als die Demokratie. Auch die AfD will
das Modell Orban, eine illiberale Demokratie.
taz: Wann ist ein Weimar-Vergleich denkfaul und wann hilft er weiter?
Bisky: Man beschäftigt sich mit Geschichte, um bessere Fragen an die Gegenwart zu stellen.
Dumm scheint mir der Weimar-Vergleich, wenn er bloß Alarmismus oder rhetorischer
Aufrüstung dient.
taz: Das Problem am Weimar-Vergleich ist: Wir wissen, was danach geschah. Für die
Gegenwart wissen wir nicht, über welche Momente man in einigen Jahren sagt – das war
der entscheidende Moment. Macht Ihnen das Angst?
Bisky: Nein. Ich rechne, erst recht nach der Arbeit an diesem Buch, immer mit dem
Schlimmsten – um Illusionen zu vermeiden. Ansonsten empfehle ich republikanische
Gelassenheit.
taz: Hätte die Weimarer Republik eine Chance gehabt?
Bisky: Ja. Die Leute waren damals auch nicht dümmer als wir heute. Die Niederlage der
Republikfreunde war nicht unvermeidbar.
taz, 16.2.2025 8:55 Uhr
Foto: Liesa
Johannssen/reuters