Sanlúcar de Barrameda, jenseits des Rio Guadalquivir, Mittwoch, 18.05.1983, 20:00 On the road again: Körperliche Verfassung mäßig, Gegenwind stärker. Zu Ersterem: Nachwehen der langen Vortagsetappe, flache Nachtruhe, verursacht durch das nachmitternächtliche zweistündige Gebelle der idiotischen Doggen des CP-Besitzers. Drei Buchläden aufgesucht: Es scheint nicht einfach, Karten mit einem Maßstab kleiner als 1:800 000 für Spanien zu bekommen. Es muss also so weitergehen. Die 30 km bis Sanlúcar schleppte ich mich so hin, mit einigen Pausen, durch eine flache, langweilige Landschaft. In Sanlúcar angekommen verfuhr ich mich erst mal um drei Kilometer in der falschen Richtung bis ich den Hafen fand. Mehrere Hundert Kinder längs der Straße klatschten mir dabei Beifall. An dieser Stelle muss ich erst mal etwas weiter ausholen. Auf meiner Spanienkarte im Automaßstab ist bis kurz vor Sevilla, mehr als 100 km ins Landesinnere, keine Brücke über den Rio Gualdeqivir eingetragen. Der Weg über Sevilla hätte einen Umweg von 3 bis 4 Tagesreisen bedeutet. Der CP-Besitzer in Puerto Real hatte mir erklärt, dass normalerweise nur die Fahrt über Sevilla möglich sei; mit der bicicleta könnte man jedoch mit einem Boot über den Fluss setzen und dann, schon etwas unsicherer, weiter der Küste entlang fahren. Das Risiko ging ich ein. Ich gelangte genauer gesagt nicht zum Hafen, sondern zu einem Strandabschnitt, an dem irgendein Volksfest zu sein schien. Was mich besonders anzog: Zwei kleine Fähren überquerten dort den Fluss. Ohne lange zu zögern schob ich das Rad auf eine. Dass diese Fähren nur Pferde, Land Rover und Traktoren, aber keine normalen Automobile beförderten schob ich dem Umstand zu, dass man, um auf sie zu kommen, über den lockeren Sandstrand und ein Stück Flachwasser fahren musste. Auf dem Boot belehrten mich ein Spanier und dessen etwa fünfzehnjähriger, etwas Englisch sprechender Sohn jedoch eines anderen. Auf der anderen Seite des Flusses gibt es auf 50 km Länge keine asphaltierte Straße, sondern nur Sandpiste. Deshalb die Pferde und die geländegängigen Fahrzeuge. Die Fähre fuhr dutzende Male über den Fluss. Schlussendlich stand eine Karawane von etwa dreißig Fahrzeugen, fünfzig Pferden, und einem Fahrrad am anderen Ufer. Die Menschen scheinen irgendeiner besonderen Sippe anzugehören; sie sehen zum Teil recht abenteuerlich aus, Leggings an den Beinen, Schiebermützen und hinten gekreuzte Hosenträger. Wie Henry Fonda in „Früchte des Zorns“. Die Karawane zieht erst morgen weiter, der Weg sei „schwierig“. Der junge Manolo bedeutete mir, ich könnte morgen mitfahren. Mir jedoch ist längst nicht alles klar. Wenn ich es richtig verstanden habe soll das Rad auf den Land Rover und ich zu Fuß: 50 km? Weshalb machen die Leute überhaupt den umständlichen Weg? Wohin gehen sie überhaupt? Ich habe das Gefühl, ich stecke mitten in einem Italo-Western: Berittene Gestalten in sandfarbenen Wollponchos und steifen schwarzen Hüten tauchen aus dem Pinienwald auf, andere reiten in weißer, reich verzierter Kleidung an mir vorbei und grüßen majestätisch. Was bedeutet „Romero“? Zahlreiche mit Girlanden verschiedener Farbe geschmückte Planwagen sind dabei, gezogen werden sie von Maultieren, die silberhell klingende Schellen tragen. Die Fledermäuse waren schon längst auf der Jagd, als die Gesellschaft zu späterer Stunde im Pinienwald verschwand. Nur noch ein einsames Feuer glimmt am Strand. Parque Nacional de Doñana, Donnerstag, 19.05.1983, 07:30 Der einzige Mensch an diesem abenteuerlichen Ufer des Gualdaquivir, mit dem ich bei der verbalen Verständigung keine Probleme hatte war eine etwa 25jährige Holländerin, die mit einer Sippe übergesetzt hatte. Sie sprach auch ein wenig Spanisch; drei Monate war sie bereits in Spanien. Im Gegensatz zu mir war sie gezielt nach Sanlúcar gekommen, um diesen für mich so rätselhaften Zug mitzumachen. So erfuhr ich zum ersten Mal näheres über die Menschen hier. Der Zug ist auf einer Wallfahrt nach El Rocio, eine Wallfahrt die jedes Jahr im Mai durchgeführt wird. Cora hatte Anschluss an eine Sippe gefunden; sie sagte, sie sei auf der Reise „um zu sehen“. Wir waren vermutlich die einzigen „Fremden“, „Anderen“ unter den Hunderten Menschen, die inzwischen übergesetzt hatten. Wir sprachen über das, was man „Bildung durch Reisen“ nennt; ein Begriff, den man nur erahnen kann, wenn man längere Reisen durchgeführt hat. Meine ist bisher zu kurz und wird wohl zu kurz bleiben; doch vielleicht hilft sie, eine oder zwei Treppenstufen auf diesem Weg zu ersteigen. Ich war jetzt weiß Gott lange genug allein unterwegs um nach Nähe, Wärme, Zärtlichkeit zu hungern. Es gab keine großartig verkrampften Übergangsstadien, wir gaben und nahmen uns gegenseitig, was wir wollten und brauchten. Es war ziemlich klar, dass wir nur diesen Abend, vielleicht noch den nächsten Tag zusammen verbringen würden. Es war frei und gut. Einfach so. Sie bewegte ihren Körper freier und leichter als ich den meinen: Ich habe noch viel zu lernen von den Menschen, in puncto gelöstem walten lassen der eigenen Sexualität, der Sprache des Körpers. Dies gilt auch außerhalb einer direkten sexuellen Betätigung. Wir lagen vielleicht noch eine Stunde ziemlich ruhig, es war leicht und doch auch schwerwiegend. Ich fühlte das Ende meiner Reise nahen. Dann ging Cora, sie wollte bei ihrem Zug übernachten, um dessen Abzug am nächsten Tag nicht zu verpassen. Parque Nacional de Doñana, Freitag, 19.05.1983, 17:30 Ich stand am Morgen ziemlich bald auf, um ebenfalls nichts zu verpassen. Weitere Leute wurden über den Fluss gesetzt und verschwanden im Pinienwald. Ich setzte mich auf eine Düne, beobachtete, wartete, schlief dann auch ein wenig. Der junge Manolo von gestern tauchte nicht auf: Irgendwas war, vielleicht in der Verständigung, schief gelaufen. Gegen 10:30 packte ich mein Rad und schob es an der Stelle in den Wald hinein, wo auch die übrigen Fahrzeuge verschwunden waren. Knöcheltiefer Sand: Radfahren schlichtweg unmöglich, selbst das Schieben war Schwerstarbeit. Es ging nicht an der Küste entlang, sondern eher ins Landesinnere. Ich schob das Rad vielleicht vier Kilometer, dann war es mir klar, dass wenn es mit dem Rad und dem Gepäck nicht unmöglich war, so doch eine riesengroße Tortur werden würde. Ich überwand meinen Stolz und versuchte einen Land Rover, so er einigermaßen leer war…  Im Zug kurz hinter Sevilla, Samstag, 21.05.1983, 18:00, DM 840.-   Das Gekraxle sowie die falsche Datumsangabe der vorangegangenen Zeilen lassen vermuten, dass ich zum Schreibzeitpunkt etwas unter Alkoholeinwirkungen litt. Wie es dazu kam bzw. die näheren Umstände sollen die nächsten Zeilen enthüllen. Wie schon angedeutet, versuchte ich einen wenig beladenen Land Rover anzuhalten. Dies gelang auch; der Fahrer musste jedoch erst seinen „Patron“ fragen, ob ich mitfahren durfte. Ich durfte. Rad und Gepäck kamen auf den Dachgepäckträger, die Gitarre nach innen. Es ging weiter. Im Verlauf des folgenden langen Tages erfuhr ich mehr, in erster Linie von Juan, dem etwa dreißigjährigen Fahrer des Land Rover. Er sprach ein wenig Deutsch, da er in einer Wäscherei in der Schweiz arbeitet. Die Wäscherei wird von der Sippe betrieben, die auch andere Geschäfte hat, insbesondere großen Weinhandel in Jerez de la Frontera. Das Fahrwasser der Karawane ist Religiosität, das Ziel heißt „Nuestra Señora del Rocio“. Die spanische Weise, religiöse Feste zu feiern unterscheidet sich allerdings beträchtlich von der unseren. Viele Sippen, gekennzeichnet durch unterschiedliche Farben, zogen diesen Weg. Durch Zufall war ich an eine der reichsten Sippen geraten, was sich äußerlich in der reich verzierten Kleidung, der Zahl der Land Rover, und insbesondere der Zahl der Pferde bemerkbar machte. Das war nicht nachteilig für mich. Das Wort, das ich in den nächsten zehn Stunden am häufigsten hörte, war „Wollen….“? Oder „What do you want“? Verschiedene „Patrones“ überboten sich, mir etwas anzubieten, insbesondere mit zunehmender Tageslänge. Und ich hatte reiche Auswahl. Um die Situation noch etwas weiter zu erhellen müssen noch einige Einzelheiten hinzugefügt werden. Es waren wohl insgesamt einige Hundert Menschen auf dieser durch Pinienwälder und Dünen führenden Sandpiste durch den Parque Nacional Coto de Doñana auf dem Weg nach El Rocio. Die Sippe, mit der ich zog, mag etwa vierzig Köpfe zählen, der größere Teil zu Pferde, der kleinere in den Land Rovern (gesprochen von ihnen wie geschrieben: v = w, Betonung auf Ro). Sie hatten einen offenen Versorgungswagen dabei, gezogen von einem großrädrigen Traktor, und eine Flamenco-Combo in einem offenen Land Rover. In dem Versorgungswagen waren mehrere Leute ständig, also auch während des Fahrens, damit beschäftigt Essen und Trinken anzubieten.  Es gab vieles. Im Verlauf des Tages wurden mir Cola, Fanta, Orangensaft, ein sauermilchgurkenartiges Getränk, Rotwein, Weißwein, Bier, Whisky, Gin Tonic und eine Unmenge Appetithappen verschiedenster Art aufgedrängt: "Wollen…..?“ Zigaretten spanischer, englischer und amerikanischer Herkunft kamen hinzu. Das Motto der Karawane: Langsam, langsam, und: Viel trinken. Die Sippe formierte sich zu Pferde um den Wagen der Flamencomusiker herum, innerhalb dieses Kreises wurde Flamenco Sevillana getanzt. Die Flamenco- Combo: Drei Guitarista und ein Trommler in dem offenen Land Rover. Die Musikercrew war, abgesehen von ihren musikalischen Äußerungen völlig stumm, auch im Gesicht ausdruckslos: Sie stand permanent unter Marihuana und war wohl deshalb imstande, fast den ganzen Tag ohne Unterbrechung zu spielen. Etwa gegen 16 Uhr war die ganze Kolonne ziemlich alkoholisiert, einschließlich mir, der Alkoholkonsum überschritt aber gewisse Grenzen nie. Die Zahl der Flamencostopps häufte sich; im Verlauf eines dieser Stopps wurde ich von einer der Töchter des Patrons in die Mitte des Kreises gezogen. Meine Flamenco-Tanzkünste waren jedoch so niederschmetternd, dass sie mich bald wieder schamerfüllt aus dem Kreis zog, der eigens nur für uns freigemacht worden war. Einer der Patrones zog mich jedoch wieder hinein, und ich wurde zur offiziellen Begrüßung vollständig mit Jerez, dem Wein, dem die Engländer den Namen Sherry gaben, übergossen. Die Sherrydämpfe stiegen den Rest des Tages, von der Sonne befeuert, aus meiner Kleidung hoch in meine Nase. Bei einem Halt, vielleicht gegen 17 Uhr, bemerkte ich, dass einer meiner Packsäcke vom Dach des Land Rovers verschwunden war.
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Siegfried Trapp
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Sanlúcar de Barrameda, jenseits des Rio Guadalquivir, Mittwoch, 18.05.1983, 20:00 On the road again: Körperliche Verfassung mäßig, Gegenwind stärker. Zu Ersterem: Nachwehen der langen Vortagsetappe, flache Nachtruhe, verursacht durch das nachmitternächtliche zweistündige Gebelle der idiotischen Doggen des CP- Besitzers. Drei Buchläden aufgesucht: Es scheint nicht einfach, Karten mit einem Maßstab kleiner als 1:800 000 für Spanien zu bekommen. Es muss also so weitergehen. Die 30 km bis Sanlúcar schleppte ich mich so hin, mit einigen Pausen, durch eine flache, langweilige Landschaft. In Sanlúcar angekommen verfuhr ich mich erst mal um drei Kilometer in der falschen Richtung bis ich den Hafen fand. Mehrere Hundert Kinder längs der Straße klatschten mir dabei Beifall. An dieser Stelle muss ich erst mal etwas weiter ausholen. Auf meiner Spanienkarte im Automaßstab ist bis kurz vor Sevilla, mehr als 100 km ins Landesinnere, keine Brücke über den Rio Gualdeqivir eingetragen. Der Weg über Sevilla hätte einen Umweg von 3 bis 4 Tagesreisen bedeutet. Der CP-Besitzer in Puerto Real hatte mir erklärt, dass normalerweise nur die Fahrt über Sevilla möglich sei; mit der bicicleta  könnte man jedoch mit einem Boot über den Fluss setzen und dann, schon etwas unsicherer, weiter der Küste entlang fahren. Das Risiko ging ich ein. Ich gelangte genauer gesagt nicht zum Hafen, sondern zu einem Strandabschnitt, an dem irgendein Volksfest zu sein schien. Was mich besonders anzog: Zwei kleine Fähren überquerten dort den Fluss. Ohne lange zu zögern schob ich das Rad auf eine. Dass diese Fähren nur Pferde, Land Rover und Traktoren, aber keine normalen Automobile beförderten schob ich dem Umstand zu, dass man, um auf sie zu kommen, über den lockeren Sandstrand und ein Stück Flachwasser fahren musste. Auf dem Boot belehrten mich ein Spanier und dessen etwa fünfzehnjähriger, etwas Englisch sprechender Sohn jedoch eines anderen. Auf der anderen Seite des Flusses gibt es auf 50 km Länge keine asphaltierte Straße, sondern nur Sandpiste. Deshalb die Pferde und die geländegängigen Fahrzeuge. Die Fähre fuhr dutzende Male über den Fluss. Schlussendlich stand eine Karawane von etwa dreißig Fahrzeugen, fünfzig Pferden, und einem Fahrrad am anderen Ufer. Die Menschen scheinen irgendeiner besonderen Sippe anzugehören; sie sehen zum Teil recht abenteuerlich aus, Leggings an den Beinen, Schiebermützen und hinten gekreuzte Hosenträger. Wie Henry Fonda in „Früchte des Zorns“. Die Karawane zieht erst morgen weiter, der Weg sei „schwierig“. Der junge Manolo bedeutete mir, ich könnte morgen mitfahren. Mir jedoch ist längst nicht alles klar. Wenn ich es richtig verstanden habe soll das Rad auf den Land Rover und ich zu Fuß: 50 km? Weshalb machen die Leute überhaupt den umständlichen Weg? Wohin gehen sie überhaupt? Ich habe das Gefühl, ich stecke mitten in einem Italo-Western: Berittene Gestalten in sandfarbenen Wollponchos und steifen schwarzen Hüten tauchen aus dem Pinienwald auf, andere reiten in weißer, reich verzierter Kleidung an mir vorbei und grüßen majestätisch. Was bedeutet „Romero“? Zahlreiche mit Girlanden verschiedener Farbe geschmückte Planwagen sind dabei, gezogen werden sie von Maultieren, die silberhell klingende Schellen tragen. Die Fledermäuse waren schon längst auf der Jagd, als die Gesellschaft zu späterer Stunde im Pinienwald verschwand. Nur noch ein einsames Feuer glimmt am Strand. Parque Nacional de Doñana, Donnerstag, 19.05.1983, 07:30 Der einzige Mensch an diesem abenteuerlichen Ufer des Gualdaquivir, mit dem ich bei der verbalen Verständigung keine Probleme hatte war eine etwa 25jährige Holländerin, die mit einer Sippe übergesetzt hatte. Sie sprach auch ein wenig Spanisch; drei Monate war sie bereits in Spanien. Im Gegensatz zu mir war sie gezielt nach Sanlúcar gekommen, um diesen für mich so rätselhaften Zug mitzumachen. So erfuhr ich zum ersten Mal näheres über die Menschen hier. Der Zug ist auf einer Wallfahrt nach El Rocio, eine Wallfahrt die jedes Jahr im Mai durchgeführt wird. Cora hatte Anschluss an eine Sippe gefunden; sie sagte, sie sei auf der Reise „um zu sehen“. Wir waren vermutlich die einzigen „Fremden“, „Anderen“ unter den Hunderten Menschen, die inzwischen übergesetzt hatten. Wir sprachen über das, was man „Bildung durch Reisen“ nennt; ein Begriff, den man nur erahnen kann, wenn man längere Reisen durchgeführt hat. Meine ist bisher zu kurz und wird wohl zu kurz bleiben; doch vielleicht hilft sie, eine oder zwei Treppenstufen auf diesem Weg zu ersteigen. Ich war jetzt weiß Gott lange genug allein unterwegs um nach Nähe, Wärme, Zärtlichkeit zu hungern. Es gab keine großartig verkrampften Übergangsstadien, wir gaben und nahmen uns gegenseitig, was wir wollten und brauchten. Es war ziemlich klar, dass wir nur diesen Abend, vielleicht noch den nächsten Tag zusammen verbringen würden. Es war frei und gut. Einfach so. Sie bewegte ihren Körper freier und leichter als ich den meinen: Ich habe noch viel zu lernen von den Menschen, in puncto gelöstem walten lassen der eigenen Sexualität, der Sprache des Körpers. Dies gilt auch außerhalb einer direkten sexuellen Betätigung. Wir lagen vielleicht noch eine Stunde ziemlich ruhig, es war leicht und doch auch schwerwiegend. Ich fühlte das Ende meiner Reise nahen. Dann ging Cora, sie wollte bei ihrem Zug übernachten, um dessen Abzug am nächsten Tag nicht zu verpassen. Parque Nacional de Doñana, Freitag, 19.05.1983, 17:30 Ich stand am Morgen ziemlich bald auf, um ebenfalls nichts zu verpassen. Weitere Leute wurden über den Fluss gesetzt und verschwanden im Pinienwald. Ich setzte mich auf eine Düne, beobachtete, wartete, schlief dann auch ein wenig. Der junge Manolo von gestern tauchte nicht auf: Irgendwas war, vielleicht in der Verständigung, schief gelaufen. Gegen 10:30 packte ich mein Rad und schob es an der Stelle in den Wald hinein, wo auch die übrigen Fahrzeuge verschwunden waren. Knöcheltiefer Sand: Radfahren schlichtweg unmöglich, selbst das Schieben war Schwerstarbeit. Es ging nicht an der Küste entlang, sondern eher ins Landesinnere. Ich schob das Rad vielleicht vier Kilometer, dann war es mir klar, dass wenn es mit dem Rad und dem Gepäck nicht unmöglich war, so doch eine riesengroße Tortur werden würde. Ich überwand meinen Stolz und versuchte einen Land Rover, so er einigermaßen leer war…  Im Zug kurz hinter Sevilla, Samstag, 21.05.1983, 18:00, DM 840.-   Das Gekraxle sowie die falsche Datumsangabe der vorangegangenen Zeilen lassen vermuten, dass ich zum Schreibzeitpunkt etwas unter Alkoholeinwirkungen litt. Wie es dazu kam bzw. die näheren Umstände sollen die nächsten Zeilen enthüllen. Wie schon angedeutet, versuchte ich einen wenig beladenen Land Rover anzuhalten. Dies gelang auch; der Fahrer musste jedoch erst seinen „Patron“ fragen, ob ich mitfahren durfte. Ich durfte. Rad und Gepäck kamen auf den Dachgepäckträger, die Gitarre nach innen. Es ging weiter. Im Verlauf des folgenden langen Tages erfuhr ich mehr, in erster Linie von Juan, dem etwa dreißigjährigen Fahrer des Land Rover. Er sprach ein wenig Deutsch, da er in einer Wäscherei in der Schweiz arbeitet. Die Wäscherei wird von der Sippe betrieben, die auch andere Geschäfte hat, insbesondere großen Weinhandel in Jerez de la Frontera. Das Fahrwasser der Karawane ist Religiosität, das Ziel heißt „Nuestra Señora del Rocio“. Die spanische Weise, religiöse Feste zu feiern unterscheidet sich allerdings beträchtlich von der unseren. Viele Sippen, gekennzeichnet durch unterschiedliche Farben, zogen diesen Weg. Durch Zufall war ich an eine der reichsten Sippen geraten, was sich äußerlich in der reich verzierten Kleidung, der Zahl der Land Rover, und insbesondere der Zahl der Pferde bemerkbar machte. Das war nicht nachteilig für mich. Das Wort, das ich in den nächsten zehn Stunden am häufigsten hörte, war „Wollen….“? Oder „What do you want“? Verschiedene „Patrones“ überboten sich, mir etwas anzubieten, insbesondere mit zunehmender Tageslänge. Und ich hatte reiche Auswahl. Um die Situation noch etwas weiter zu erhellen müssen noch einige Einzelheiten hinzugefügt werden. Es waren wohl insgesamt einige Hundert Menschen auf dieser durch Pinienwälder und Dünen führenden Sandpiste durch den Parque Nacional Coto de Doñana  auf dem Weg nach El Rocio. Die Sippe, mit der ich zog, mag etwa vierzig Köpfe zählen, der größere Teil zu Pferde, der kleinere in den Land Rovern (gesprochen von ihnen wie geschrieben: v = w, Betonung auf Ro). Sie hatten einen offenen Versorgungswagen dabei, gezogen von einem großrädrigen Traktor, und eine Flamenco-Combo in einem offenen Land Rover. In dem Versorgungswagen waren mehrere Leute ständig, also auch während des Fahrens, damit beschäftigt Essen und Trinken anzubieten.  Es gab vieles. Im Verlauf des Tages wurden mir Cola, Fanta, Orangensaft, ein sauermilchgurkenartiges Getränk, Rotwein, Weißwein, Bier, Whisky, Gin Tonic und eine Unmenge Appetithappen verschiedenster Art aufgedrängt: "Wollen…..?“ Zigaretten spanischer, englischer und amerikanischer Herkunft kamen hinzu. Das Motto der Karawane: Langsam, langsam, und: Viel trinken. Die Sippe formierte sich zu Pferde um den Wagen der Flamencomusiker herum, innerhalb dieses Kreises wurde Flamenco Sevillana  getanzt. Die Flamenco- Combo: Drei Guitarista und ein Trommler in dem offenen Land Rover. Die Musikercrew war, abgesehen von ihren musikalischen Äußerungen völlig stumm, auch im Gesicht ausdruckslos: Sie stand permanent unter Marihuana und war wohl deshalb imstande, fast den ganzen Tag ohne Unterbrechung zu spielen. Etwa gegen 16 Uhr war die ganze Kolonne ziemlich alkoholisiert, einschließlich mir, der Alkoholkonsum überschritt aber gewisse Grenzen nie. Die Zahl der Flamencostopps häufte sich; im Verlauf eines dieser Stopps wurde ich von einer der Töchter des Patrons in die Mitte des Kreises gezogen. Meine Flamenco-Tanzkünste waren jedoch so niederschmetternd, dass sie mich bald wieder schamerfüllt aus dem Kreis zog, der eigens nur für uns freigemacht worden war. Einer der Patrones zog mich jedoch wieder hinein, und ich wurde zur offiziellen Begrüßung vollständig mit Jerez, dem Wein, dem die Engländer den Namen Sherry gaben, übergossen. Die Sherrydämpfe stiegen den Rest des Tages, von der Sonne befeuert, aus meiner Kleidung hoch in meine Nase. Bei einem Halt, vielleicht gegen 17 Uhr, bemerkte ich, dass einer meiner Packsäcke vom Dach des Land Rovers verschwunden war.
 
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