Siegfried
Trapp
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4. September 2022
Prof. Dr. Heribert Prantl
Sehr geehrter Herr Trapp,
Hans-Christian Ströbele war ein Asket; er trank keinen Tropfen Alkohol. Er hat
stets nur Milch getrunken. Aber ein Milchbubi war er nicht. Er war ein
unermüdlicher Mahner für Bürgerrechte, er war ein widerborstiger Demokrat,
ein Rechtsanwalt im wahrsten Sinn des Wortes und ein kundiger Kritiker der
Geheimdienste und der Sicherheitsbehörden. Mein Newsletter ist heute eine
kleine Hommage auf den vor wenigen Tagen verstorbenen Politiker der Grünen.
Dieser Brief ist eine Verbeugung vor einem Mann, der sich um die innere
Sicherheit verdient gemacht hat - weil er eine große innere Sicherheit hatte, die
sich aus den Grundrechten speiste.
Unermüdlich, und unerbittlich freundlich
Es gibt nicht nur investigativen Journalismus; es gibt auch investigativen
Parlamentarismus. Hans-Christian Ströbele gehörte zu dessen herausragenden
Vertretern. Bei der Verteidigung der Grundrechte und der Demokratie hat er
lausige Zeiten erlebt, war er bösen Skandalen auf der Spur. Er war der David, der
über 15 Jahre lang den Goliath bewachte, er war das dienstälteste Mitglied des
Parlamentarischen Kontrollgremiums, jenes Organs also, dessen Aufgabe es ist,
die Geheimdienste zu überwachen. Das ist eine Aufgabe für Abgeordnete mit
hoher Frustrationstoleranz.
Geheimdienste lassen sich nicht gern kontrollieren, sie erzählen ihren
Kontrolleuren entweder gar nichts oder die Story vom Pferd. Ströbele hat
unermüdlich und unerbittlich freundlich daran gearbeitet, die Rechte der
Kontrollgremien zu stärken. Er wusste: Geheimdienste sind eine heimliche
Staatsgewalt; wenn sie nicht gut kontrolliert werden, wenn sie nicht gut
kontrolliert werden können, weil die Rechtslage und die Personal- und
Sachausstattung der Kontrollgremien das nicht hergeben - dann werden
Geheimdienste unheimlich. Ströbele hat versucht, ihnen die Unheimlichkeit
auszutreiben. Wenn es seit 1. Januar 2022 einen UKRat gibt, also einen
gerichtsähnlichen Unabhängigen Kontrollrat, der dem Bundesnachrichtendienst
penibel auf die Finger schaut, dann ist das auch seinem jahrelangen Insistieren
zu verdanken.
Die Story vom Pferd
Es gab Geheimdienstchefs, die eine parlamentarische Kontrolle ihrer Arbeit für
zeitverschwenderischen Unsinn hielten. Der hoffentlich letzte dieses Typus war
Hans-Georg Maaßen, der 2012 Inlandsgeheimdienstchef und dann 2018 in den
vorläufigen Ruhestand versetzt wurde. Maaßen hat den Parlamentariern
tatsächlich vorgeworfen, ihm und seinen Kollegen die Zeit zu stehlen; er hat den
Parlamentariern deswegen mehr oder minder die Schuld an einem künftigen
Anschlag zugeschoben. Schon als Präsident des Verfassungsschutzes hat Maaßen
merkwürdige Sympathien für Rechtsaußen und die AfD erkennen lassen, statt
sie, wie das sein Nachfolger Thomas Haldenwang tut, verfassungsschützerisch zu
beobachten. Seit seinem Ausscheiden aus dem Amt fällt Maaßen nun als
Verschwörungsideologe auf.
Am kommenden Dienstag findet im Berliner Schloß Charlottenburg der
Herbstempfang der Sicherheitsbehörden statt; in den Gesprächen in den Sälen
der Großen Orangerie wird man da und dort darüber sinnieren, ob Maaßen sich
schon während oder erst nach seiner Amtszeit radikalisiert hat - und ob es wirklich
sein darf, dass der juristische Verlag C.H.Beck in einem Grundgesetzkommentar die
Grundgesetzartikel zum Asylrecht ausgerechnet von diesem Mann auslegen lässt, der
die Rettung von Flüchtlingen als Shuttle-Service verhöhnt.
Was eine Schande ist
Hans-Christian Ströbele hat jahrelang, leider vergeblich, dafür geworben, dem
Whistleblower Edward Snowden in Deutschland Asyl zu gewähren. Snowden hat, das
ist sein großes Verdienst, den Blick in eine von Geheimdiensten erfasste und
überwachte Internetwelt geöffnet. Er sitzt nun seit neun Jahren im Exil in Moskau -
ausgerechnet in Moskau. Ströbele hat ihn dort im Oktober 2013 besucht. Es ist und
bliebt eine Schande, dass keine der westlichen Demokratien Snowden den Schutz vor
US-Verfolgung angeboten hat, auch Deutschland nicht. So einem Mann zu helfen -
das ist, das wäre ein Dienst an der Demokratie, das ist, das wäre Verfassungsschutz.
Christian Ströbele hat die Verfassung mehr und besser geschützt als so mancher
Verfassungsschutzpräsident.