Sterbehilfe
Der selbst gewählte Tod
Warum mein Vater den Weg der Sterbehilfe genommen hat
Die Uhr tickt. Noch 30 Minuten. Dann wird mein Vater ein Getränk zu
sich nehmen, dessen Inhalt drei Menschen töten könnte. Etwa drei
Minuten später wird er einschlafen, wenig später sterben. Viel zu früh,
er ist erst 68 Jahre. Mein Vater hat ALS, Amyotrophe Lateralsklerose,
eine schwere Nervenerkrankung, im weit fortgeschrittenen Stadium. Er
hat sich entschieden, den Weg der Sterbehilfe zu nehmen, weil er das,
was kommt, nicht mehr erleben möchte: künstliche Beatmung und
Ernährung, Verlust der letzten noch vorhandenen motorischen Fähig-
keiten, einschließlich des Sprechens, mit großer Wahrscheinlichkeit Tod
durch Ersticken. Wie frei kann so eine Entscheidung sein?
Es ist 12.05 Uhr am 24. Januar 2012. Wir sitzen zusammen, mein Vater,
meine Mutter, mein Bruder, meine Schwester mit ihrem drei Monate
alten Sohn und ich. In einem dezent gestalteten Zimmer mit hellen
Wänden, einer weißen Couch, zwei Sesseln und einem kleinen Tisch, auf
dem zusammengeknüllte Papiertaschentücher liegen. Der Blick aus dem
Fenster führt über die Dächer der Nachbarhäuser, hinter denen sich
saftig grüne Hügel erstrecken. Es hängen dicke Wolken darüber. Das
Zimmer gehört zu einer Wohnung, die in einem kleinen Ort liegt, direkt
neben Bahngleisen, rund 20 Kilometer vor den Toren Berns. Mieterin ist
die Schweizer Sterbehilfeorganisation Ex International, deren ehren-
amtliche Mitarbeiterin in der anliegenden Küche Dokumente vorbereitet,
die später benötigt werden, wenn Polizei und Staatsanwalt kommen, um
den Tod meines Vaters zu untersuchen. Gerlinde Mosta (Name geändert)
ist eine ernsthafte, aber freundliche Frau Mitte 60, die diese Arbeit aus
Überzeugung tut, wie sie uns am Abend zuvor erklärt hat. Vorhin hat sie
meinem Vater ein Glas Wasser mit Magentropfen gereicht, die das
tödliche Getränk verdaulicher machen, das er 30 Minuten später
einnehmen muss. Seither tickt die Uhr. 12.06 Uhr.
Hier sitzen wir also. Meine Schwester stillt den Kleinen, damit er nicht
gleich nach Nahrung ruft, wenn wir im Zimmer nebenan meinen Vater in
den Tod begleiten. Der berichtet von der abschließenden ärztlichen
Untersuchung, die heute Vormittag stattgefunden hat. Er wirkt gelöst.
Ich denke, dass es schön wäre, käme die Sonne heraus, damit mein
Vater sie ein letztes Mal sähe. Aus Bern sind wir im dichten Schnee-
gestöber aufgebrochen. Nun nieselt es. Meine Mutter fragt, ob mein
Vater noch einmal aufs Klo müsse. Er verneint. Schweigen. Lächeln.
Worüber spricht man, wenn der Tod nebenan wartet? Mein Vater erzählt,
der Mediziner heute Vormittag sei unendlich langsam zu Werke
gegangen, ein typischer Berner eben. Das habe ihn an den Witz vom
langsamen Berner erinnert. Mit verschmitzter Miene fragt er in die
Runde, ob er uns den erzählen solle. Spontan wird mir unwohl bei dem
Gedanken, jetzt über einen Witz zu lachen. Doch mein Vater hat schon
begonnen. Die Pointe sitzt, wir lachen herzlich. Die Krankheit hat ihm
fast jede Bewegungsmöglichkeit geraubt, hat seine einst kräftige
Stimme brüchig und seine Sportleratmung kurz werden lassen. Doch
seinen Humor hat er sich nicht nehmen lassen.
So ist mein Vater: kein Grübler, sondern ein zupackender Typ. Ein Kind
des Ruhrgebiets, glühender Anhänger des BVB. Politisch engagiert,
Lehrer für Chemie und Physik, Fußballer, Bergsteiger und Marathon-
läufer, aber auch begeisterter Chorsänger, ein Vereinsmensch. Die
Diagnose ALS erhielt er kurz nach seinem 60. Geburtstag. Diese
heimtückische Krankheit des zentralen und peripheren Nervensystems
ist seit 140 Jahren bekannt, aber immer noch nicht heilbar. In
Deutschland sind schätzungsweise 6.000 Menschen daran erkrankt. Der
deutsche Maler Jörg Immendorff starb 2007 nach zehnjähriger Krank-
heit. Der britische Astrophysiker Stephen Hawking lebt seit 1963 mit
ALS. Verlauf und Lebenserwartung unterscheiden sich von Fall zu Fall
erheblich. Sicher ist den Betroffenen nur eins: dass ihr Zustand immer
schlechter wird.
Meinen Vater zwang die Diagnose, Lauf- und Wanderschuhe an den
Nagel zu hängen. Später war es auch mit dem Singen vorbei. Für mich
blieb die Krankheit zunächst abstrakt, auch weil ich weit von Köln
entfernt in Berlin wohne. Erst als er 2006 einen Stock benötigte, später
einen Rollstuhl, sickerte die Erkenntnis durch, dass unser altes Leben
nicht mehr wiederkehren würde. Umbauten im Elternhaus wurden nötig,
immer leistungsfähigere Rollstühle angeschafft, das Auto wurde mit
einer Laderampe versehen, über die man in das Wageninnere hinein-
fahren konnte. Doch gerade an diesen technischen Hilfsmitteln offen-
barte sich die ganze Hilflosigkeit, auf die die Krankheit ALS die an ihr
Leidenden immer wieder zurückwirft. Jedes Mal wenn mein Vater gelernt
hatte, den Verlust einer motorischen Fähigkeit zu akzeptieren und ein
geeignetes Hilfsmittel in seinen Alltag zu integrieren, folgte der nächste
Schub, der die neu gewonnene Souveränität wieder zunichtemachte.
Trotzdem gelang es über viele Jahre, ein Umfeld zu schaffen, in dem
mein Vater weiterhin am Leben teilhaben konnte, so gut es ging. Doch
es ging eben immer schlechter. Das zeigte sich vor allem im letzten Jahr,
als die Kraft endgültig aus seinen Armen und Händen schwand. Den
Rollstuhl konnte er trotz aller Technik am Ende nur noch wenige Minuten
selbst steuern. Intensivere Unterhaltungen führten zu Atemnot, in der
Nacht raubte ihm ein chronischer Husten den Schlaf.
12.15 Uhr. Der Witz vom langsamen Berner hat die Stimmung gelöst.
Meine Schwester hat ihren Sohn zu Ende gestillt. Er schaut nun sehr
aufmerksam meinen Vater an, der lächelnd zurückschaut. Die Geburt
seines ersten Enkels drei Monate zuvor hat ihm noch einmal neue Kraft
gegeben. Wir meinen, der Kleine habe seine Ohren. Meinem Vater rollen
ein paar Tränen die Wange hinunter, er muss sich schnäuzen. Bevor
jemand anderes reagieren kann, ist meine Mutter aufgesprungen, um
ihm die Nase zu putzen.
Jahrelang hat meine Mutter versucht, die verloren gegangene
Selbstständigkeit meines Vaters zu kompensieren, mit dem Ergebnis,
dass auch sie ihr eigenständiges Leben einbüßte. Zuletzt stand sie selbst
kurz vor dem Burn-out. Meine Geschwister und ich bemühten uns, sie
regelmäßig zu entlasten, doch das Grundproblem konnten wir nicht
lösen. Zwar gab es einen Pflegedienst, der meinen Vater aus dem Bett
holte, ihn wusch und in den Rollstuhl setzte. Ehrenamtliche Helfer
übernahmen stundenweise die Betreuung. Doch trotz der Hilfe blieben
90 Prozent der Tageszeit – von den Nächten ganz zu schweigen –, in
denen meine Mutter auf sich gestellt war. Selbst Alltäglichkeiten, wie
eine juckende Nase oder das Umblättern der Zeitung, erforderten ihre
Hilfe. Eine Dauerpflegekraft war weder bezahlbar noch räumlich unter-
zubringen.
Ein Pflegeheim kam für meinen Vater niemals infrage. Es grauste ihm
bei dem Gedanken, zwischen 80- und 90-jährigen Demenzkranken zu
leben und für jede Kleinigkeit eine fremde Pflegerin rufen zu müssen,
die sich parallel um viele andere Menschen kümmern muss. Mein Vater
fühlte sich nicht alt. Sein Geist war von der Krankheit kaum beein-
trächtigt, höchstens in dem Sinne, dass ihm das Lebenselixier fehlte, die
Aktivität. Wir suchten nach Alternativen, etwa einer Wohngemeinschaft
mit privatem Pflegedienst, wie es sie für Demenzkranke zunehmend
gibt. Doch Fälle wie die meines Vaters scheinen zu selten zu sein, um
passende Angebote am Markt entstehen zu lassen. Geistig fit, aber
körperlich auf permanente Rundumbetreuung angewiesen, mit dieser
Kombination fällt man aus dem Raster.
Je mehr sich der Zustand meines Vaters verschlechterte, desto häufiger
sprachen wir über das Thema Sterbehilfe. Eine Patientenverfügung hatte
er schon lange vor seiner Erkrankung unterzeichnet. Dass die Beihilfe
zum Suizid in Deutschland de facto verboten ist, hielt mein Vater für
inhuman. Ich war lange Zeit anderer Ansicht. Liegt das Inhumane nicht
vielmehr in einer Gesellschaft, die trotz materiellen Reichtums unfähig
ist, pflegebedürftigen Menschen individuell gerecht zu werden? Ist es in
einer Gesellschaft, die ihre Mitglieder wesentlich nach wirtschaftlicher
Leistungsfähigkeit sortiert, nicht naheliegend, einen Suizidwunsch zu
entwickeln, wenn man ganz und gar abhängig und unproduktiv ist?
Öffnet die Sterbehilfe nicht eine Tür, die besser verschlossen bleiben
sollte?
Spätestens nachdem im Herbst 2010 ein Mitarbeiter von Ex Inter-
national im Wohnzimmer meiner Eltern gesessen und sich über fünf
Stunden lang ein Bild von meinem Vater, seiner Erkrankung und seinen
Beweggründen gemacht hatte, waren solche Fragen allgegenwärtig. Wir
versprachen meinem Vater, ihn auf diesem Weg zu begleiten, wenn das
sein freier Wille sei. Doch was ist ein freier Wille? Sind es am Ende nicht
doch die Umstände, die den Tod als das kleinere Übel erscheinen lassen?
Und sollte man in diesem Fall nicht versuchen, die Umstände zu ändern,
statt jemandem zu helfen, sein Leben zu beenden?
Ich musste lernen, dass es auf diese Fragen keine einfachen Antworten
gibt, vor allem keine allgemeingültigen. Für meinen Vater war die
Möglichkeit, Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu können, ein emotionaler
Anker. Zu wissen, dass er diese letzte Entscheidung selbst treffen
konnte, stärkte seinen Lebensmut. Er wäre andernfalls viel früher
innerlich zusammengefallen. Diese Möglichkeit war allerdings von der
Fähigkeit abhängig, die Reise in die Schweiz antreten zu können, was
ein Minimum an körperlicher Selbstständigkeit voraussetzte. Der
nächste Schub der Krankheit würde ihm diese vermutlich nehmen.
Wollte er die Gelegenheit ergreifen, musste er bald handeln. Das aber
heißt: Wäre Sterbehilfe in Deutschland möglich gewesen, hätte mein
Vater den Sommer 2012 vermutlich noch erlebt.
Wahr ist auch, dass die vorhandenen Pflegeangebote für ihn keine
Perspektive boten. Doch seine grundsätzliche Entscheidung war von
diesen Umständen unberührt. Er wusste: Die Krankheit würde ihm den
letzten Funken physischer Selbstständigkeit und schließlich seinen
Lebensmut rauben, egal, wie gut die Pflege organisiert wäre. Er war
über den Punkt hinaus, an dem dies noch einen Unterschied gemacht
hätte. Ich konnte lange Zeit nicht akzeptieren, dass jemand sterben will,
weil sein Körper nicht mehr mitspielt. Inzwischen habe ich erkannt, dass
der Lebenswille davon abhängt, was einen im Leben antreibt. Mein Vater
wollte nie das Universum ergründen wie Stephen Hawking, den
Assistenten, Pfleger und viele technische Hilfsmittel unterstützen,
sondern mit seinem Enkel im Park Fußball spielen, auf Berge klettern,
den Rhein entlangjoggen oder einen kaputten Stuhl kleben. Mein Vater
fühlte sich eingesperrt im eigenen Körper. Und in Gefangenschaft konnte
er auf Dauer nicht leben. Als meine Mutter mich am 6. Januar 2012
anrief und fragte, ob ich um den 24. Januar ein paar Tage Urlaub
nehmen könne, wusste ich, dass mein Vater sich entschieden hatte, das
Gefängnis zu verlassen.
Es folgten zweieinhalb unwirkliche Wochen, in denen alles wie immer
war und doch alles anders. Wir wollten die Zeit bestmöglich nutzen –
und sprachen doch über Alltägliches wie die Causa Wulff, den Rück-
rundenauftakt der Bundesliga, den Ausfall von Mario Götze und das
unvermeidliche Wetter. Nicht nur, aber eben auch. Es war gesellig wie
immer, sogar lustig, manchmal melancholisch. Hin und wieder spürte ich
einen Stich in der Magengrube, wenn das Gespräch auf ein Datum
jenseits des 24. Januar fiel.
Ein paar Tage vor dem Termin brachen wir aus Köln in Richtung Schweiz
auf. Als wir mit dem Auto über die Zoobrücke fuhren, warf mein Vater
einen letzten Blick auf den Dom. Zwei Tage später näherten wir uns
Bern. Auf der linken Fensterseite rissen die Wolken auf und gaben den
Blick auf die Gipfel von Eiger, Mönch und Jungfrau frei. Ob wir noch
einmal näher heranfahren sollten, fragte meine Mutter. Mein Vater
schüttelte schweigend den Kopf. Vor langer Zeit schon hatte er gesagt,
dass seine Asche am Fuße der Eigernordwand verstreut werden solle.
12.30 Uhr. Der Witz vom langsamen Berner ist verhallt. Mein Vater
weint. Meine Schwester auch. Ich reiche Taschentücher und kämpfe
selbst mit den Tränen. Draußen hat es aufgehört zu nieseln. Die Sonne
scheint jetzt durch das Fenster, meinem Vater direkt ins Gesicht. Dann
geht die Tür auf, und Frau Mosta bittet uns in das Nebenzimmer.
Ich helfe meinem Vater aus seinem Rollstuhl auf die bereitstehende
Liege, so wie ich es immer getan habe, wenn ich ihn ins Bett brachte.
Zum letzten Mal, schießt es mir durch den Kopf. Ich halte ihn lange fest,
bevor ich ihn behutsam hinlege, flüstere ihm ein paar Worte ins Ohr und
küsse ihn auf die Stirn. Meine Geschwister und meine Mutter folgen. Wir
weinen. Mein Vater bittet, dass jemand seine Hand hält. Frau Mosta
reicht ihm das tödliche Getränk. Er holt tief Luft, sagt mit fester
Stimme: »Okay, let’s go«, und leert das Glas. Ich stehe regungslos da
und sehe die Flüssigkeit weniger werden. Bis zuletzt war ich mir nicht
ganz sicher, ob er diesen Schritt wirklich gehen würde.
Niederländische Ärzte benutzen auch heute dieses Wort, wenn ein
sterbenskranker Mensch bewusst um Hilfe zum Sterben bittet und der
Arzt sie gewährt. Etwa indem er ein muskelentspannendes Medikament
und ein Schlafmittel verabreicht. In Deutschland ist solche aktive
Sterbehilfe als "Tötung auf Verlangen" nach Paragraf 216 des Straf-
gesetzbuchs grundsätzlich verboten.
Mein Kopf schwirrt, ich höre mich etwas sagen. Als mein Vater die
Augen schließt, brechen bei mir alle Dämme. Ich weine hemmungslos.
Seine Atmung wird flacher, immer flacher. Schließlich sehe ich, wie das
Leben aus ihm entweicht. Frau Mosta prüft seine Halsschlagader und
bestätigt den Tod. Ich verlasse den Raum.
Ich trauere um meinen Vater. Ich hadere mit dem Schicksal. Ich
wünschte, er hätte mehr Zeit gehabt, gesund durch das Leben zu
gehen. Doch ich habe keinen Zweifel daran, dass er sich mit seinem
mutigen Schritt sehr viel Leid erspart hat.
Die Tage in der Schweiz waren die härtesten meines Lebens, aber ich
bin dankbar, dass ich meinen Vater auf diesem letzten Weg begleiten
durfte. Ich kann einige Argumente gegen die Sterbehilfe nachvollziehen,
schließlich waren sie einmal meine eigenen. Doch heute denke ich, dass
sie der Wirklichkeit nicht gerecht werden. Sie zeigen keinen Ausweg in
Situationen, in denen Menschen wohlüberlegt den Tod dem Leben
vorziehen. Mein Vater war in seinem Körper gefangen.
Gestorben ist er als freier Mann.
Die ZEIT, 21.08.2012
Das Wort Sterbehilfe ist ungenau und führt bei Laien und Ärzten regelmäßig zu
Missverständnissen. Sie assoziieren damit schnell die Euthanasie. Der Begriff stand im
Nationalsozialismus für den systematischen Mord an psychisch kranken und behinderten
Menschen, in Deutschland ist er entsprechend konnotiert. Übersetzt bedeutet das
griechische "euthanasia" "schöner Tod". Niederländische Ärzte benutzen auch heute dieses
Wort, wenn ein sterbenskranker Mensch bewusst um Hilfe zum Sterben bittet und der Arzt
sie gewährt. Etwa indem er ein muskelentspannendes Medikament und ein Schlafmittel
verabreicht. In Deutschland ist solche aktive Sterbehilfe als "Tötung auf Verlangen" nach
Paragraf 216 des Strafgesetzbuchs grundsätzlich verboten.
Indirekter ist der ärztlich assistierte Suizid. In diesem Fall stellt der Arzt dem Patienten
lediglich die Medikamente bereit, einnehmen muss dieser sie selbst. In den Niederlanden
zum Beispiel wählt nur ein Zehntel der Sterbewilligen ärztlich assistierten Suizid, die
anderen ziehen direkte Sterbehilfe vor. Das deutsche Strafgesetzbuch verbietet Beihilfe zur
Selbsttötung nicht, allerdings tut dies die dahingehend 2011 geänderte Berufsordnung der
Ärzte. Dort heißt es unter Paragraf 16: "Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter
Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten,
Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur
Selbsttötung leisten." Allerdings streiten Mediziner und Experten bis heute über dieses
Verbot, dass rechtlich nicht bindend ist. Zuletzt hatte etwa das Verwaltungsgericht Berlin
im April 2012 die Formulierung für verfassungswidrig erklärt.
Etwas ganz anderes versteht man unter passiver Sterbehilfe: lebensverlängernde
Maßnahmen (zum Beispiel künstliche Beatmung) zu unterlassen. Dies ist nach dem Urteil
des BGH vom Juni 2010 unter bestimmten Umständen erlaubt – ja sogar geboten. Ein
umstrittener Punkt ist in diesem Zusammenhang, ob ein Arzt generell eingreifen muss,
wenn er einen Patienten sterben sieht. Schließlich gelobt jeder Arzt: "Die Erhaltung und
Wiederherstellung der Gesundheit meiner Patientinnen und Patienten soll oberstes Gebot
meines Handelns sein." Patienten, die sichergehen wollen, dass der behandelnde Arzt nicht
im letzten Augenblick den Suizid noch vereitelt, entbinden ihn schriftlich in einer
Patientenverfügung von dieser Garantenpflicht.
Quelle: http://www.zeit.de/2011/22/Kasten-Aerzte
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