Siegfried
Trapp
Willkommen
Bienvenido
Welcome
Statussymbol Elektrorad
E-Bikes tragen offenbar nicht dazu bei, dass es weniger Autos gibt. Wer
braucht sie dann überhaupt noch?
Unterwegs mit dem Charme eines Treppenlifts
Vor der Schule meines Sohns steht ein Felgenbrecher. Also einer dieser halbrunden Doppelbögen, in die
man das Vorderrad seines Fahrrads schieben kann. Wenn man Glück hat, steht das Rad da später noch.
Mit etwas Pech ist jemand dagegen gestoßen, das Rad ist umgefallen – und hat eine Delle in der Felge.
An diesem Symbolbild musealer Radinfrastruktur traf ich jüngst einen Mitschüler-Vater und sein auffällig
schickes, neues Rad. Schlankes Design, hydraulische Scheibenbremse, im Rahmen integriertes Licht –
und natürlich mit Motor. Der stolze Besitzer erklärte mir, das Bike sei im Angebot gewesen, „da konnte
ich nicht widerstehen“. Seither legt er die gut ein Kilometer lange, flache Strecke zur Schule des Kinds
mit dem E-Bike zurück.
Warum auch nicht? Wenn mehr als die Hälfte aller Autofahrten kürzer als fünf Kilometer sind und das
angesagte Verkehrsmittel für „die letzte Meile“ der E-Roller ist, dann braucht ein Rad zur Erhöhung des
Standings auch einen Antrieb jenseits eigener Körperkraft. „Bio-Bikes“, sprich Räder ohne Motor, sind
die SMS unserer Zeit: Geht schon noch, nutzen aber nur noch Nerds. Wer vorne mit dabei sein will, trägt
Helm mit integriertem Blinker und hat eine elektronische Schaltung am Bike.
Vor ein paar Jahren war der E-Bike-Gedanke für mich eine Verheißung: Menschen würden ihr Auto
verkaufen, weil sie größere Einkäufe oder zwei, drei Kinder bequem per Rad transportieren könnten.
Ältere, untrainierte Menschen trennten sich von ihrem Auto – schließlich kämen sie auch bei einem
Wohnsitz auf dem Land mit dem E-Bike überall hin. Pizzabotinnen und Paketzusteller, niemand würde
mehr ein Auto brauchen.
Falsche Visionen
Ich sah Städte voller Flaniermeilen und breiten Radwegen – auf denen entspannt der Dreijährige ebenso
wie die Rennradfahrerin Platz fänden. Einen Pkw würde sich der moderne Städter nach Bedarf für den
Urlaub oder den Ikea-Einkauf leihen.
Inzwischen habe ich eine ernüchternde Studie in meinem Bekanntenkreis angestellt. Von den Dutzenden
E-Bikefahrern hat exakt keiner sein Auto verkauft. Eine Minderheit fährt einige Strecken per E-Bike, die
früher mit dem Pkw absolviert wurden. Die Mehrheit hat jetzt schlicht einen Motor am Rad.
Wenn E-Bikes nicht dazu beitragen, dass weniger Autos fahren und parken, haben sie eben doch nur den
Charme von Treppenliften. Klasse, dass es sie gibt. Aber man kann froh sein, (noch) keines zu brauchen.
Ich habe eine Sammlung Bio-Bikes. Zur Infrastruktur Marke Felgenbrecher vor der Schule passt am
besten das 100-Euro-Bahnhofsrad aus der Polizeiversteigerung.
Quelle: https://taz.de/Auto-trotz-E-Bike/!6020815/
abgerufen 2024 0720 19:36