Siegfried
Trapp
Willkommen
Bienvenido
Welcome
strapp.de durchsuchen:
Bild und FDP in großer Sorge
Stoppt Habecks Ökosozialismus!
Die hysterischen Angriffe der Gegner von Klimapolitik auf ein Ende des Neu-Einbaus von Gas- und Ölheizungen
sind ein gutes Zeichen – besonders, wenn man das neue Buch von Claudia Kemfert gelesen hat.
Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, steht bei einem Pressegespräch im Braunkohlekraftwerk
Schwarze Pumpe vor dem Wort «Energie»Foto: picture alliance/dpa
Von MARTIN UNFRIED
Wenn es einen guten Grund gibt, den gescheiterten Fernsehsender Bild TV zu schauen, dann um zu
verstehen, wie die Gegner oder sogar Feinde des Grünen Wirtschafts- und Klimaministers drauf sind. Da
wird aus allen Rohren gegen den „Traumtänzer“ Habeck geschossen, der keine Ahnung habe von der
Realität im Heizungskeller, der mit sozialistischen Verboten komme, die unsere Volkswirtschaft und
Innovation erdrückten, der Hausbesitzer und Mieter finanziell ruinieren werde. Konkret geht es um einen
Gesetzesentwurf, nach dem alle neuen Heizsysteme, die ab 2024 installiert werden, mindestens 65
Prozent der Wärme aus erneuerbaren Energien produzieren müssten.
Diese mutmaßlich gespielte Hysterie ist eine gute Nachricht: Die vereinigten Klimaskeptiker von Bild bis
zur FDP haben wirklich Angst, dass diese Regierung jetzt echte Klimapolitik macht. Mit diesem Wissen
wirkt es fast schon skurril, wie bemüht hier an der Erzählung gestrickt wird, Habecks Versuch, postfossile
Zukunft voranzubringen, sei Grüne Ideologie, die eben dirigistisch und koste es, was es wolle, dem
Hobby von Calvinisten und Verbotsfetischisten fröne. Wenn Menschen für Klimapolitik demonstrieren wie
an diesem Freitag, kriegen sie sofort Schnappatmung.
In dieser Welt gibt es keine Klimaschutzziele der EU und der Bundesregierung und kein geltendes Recht.
Beispielsweise kommt das Klimaschutzgesetz nicht vor, das wirksame Maßnahmen im Gebäudebereich
vorschreibt. Auch nicht die breite Palette der im Gesetzesentwurf beschriebenen Alternativlösungen, wie
Gaskessel mit hybrider Wärmepumpe. In dieser Welt ist auch das Ende der Zulassung von Verbrennern
nicht Konsequenz des Paris Klimaabkommen und der Zukunftsfähigkeit der deutschen Autoindustrie und
ihrer Arbeitsplätze, sondern pure Schikane, spielen bei der Beschwörung von synthetischen Kraftstoffen
wissenschaftliche Erkenntnisse über deren Ineffizienz keine Rolle.
Selbst das antiquierteste Argument wird hier aus der Mottenkiste geholt: Nur wir Deutschen sind so
dumm, um Heizungen zu verbannen. Nun, wer sich nicht für Erderhitzung und ihre Folgen interessiert,
der kann auch nicht wissen, dass etwa in Dänemark der Einbau von Gasheizungen seit zehn Jahren nicht
mehr erlaubt ist. In Frankreich ist es seit 2022 nicht mehr möglich im Neubau eine Heizung einzubauen,
die nur mit Erdgas betrieben wird. Im Großbritannien werden Gasboiler ab 2025 im Neubau nicht mehr
zugelassen. Auch in den Niederlanden sind ab 2026 nur noch Hybridsysteme erlaubt. Wenn dort ein
neuer Gaskessel installiert wird, dann mit Wärmepumpe oder anderen erneuerbaren Energien.
Was wirklich jenseits jeglicher Vernunft ist: 2022 wurden in Deutschland trotz explodierender Gaspreise
noch 600.000 neue Gasheizungen einbaut. Die haben nach den bisherigen Plänen von Habeck
Bestandsschutz und müssen erst 2045 ausgetauscht werden. Diese Heizungen gefährden beides: die
finanzielle Situation von Mietern und Eigenheimbesitzern und die Klimaziele im Gebäudebereich. Frage
an die FDP: Wenn jährlich immer noch mal so viele Gasheizungen dazu kommen, wer finanziert dann die
Gaspreisbremsen bei künftigen Krisen?
Das neue Buch der Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) beschreibt genau das: Pure Unvernunft, die über Jahre hinweg in der
Energiepolitik als Vernunft und Pragmatismus verkauft wurde. Es ist unmöglich, beim Lesen nicht zu
merken, wie erschüttert sie über die deutsche Energiepolitik der Merkel-Jahre ist.
Sämtliche Merkelregierungen nach 2013 haben die Energiewende aktiv sabotiert.
Wie kann es sein, beispielsweise, dass die Energiekonzerne Eon und RWE, die aktuell in der Krise
immense Gewinne machen, vor Jahren mit Uniper eine Art fossile Bad Bank ausgelagert hatten, für
deren Milliarden-Verluste heute der Staat aufkommt? Warum haben CDU/SPD/FDP Regierungen aktiv
den Ausbau der Erneuerbaren und eine weitergehende Unabhängigkeit ausgebremst? Die wichtigste
Erkenntnis dieses Buches: Anders als Merkel und Steinmeier behaupten, war es eben nicht so, dass die
Entscheidungen aus heutiger Sicht wohl falsch, aus damaliger Sicht aber durchaus plausibel waren.
Kemfert belegt vielfach, dass die Einschätzung von Merkel und SPD, die Abhängigkeit von russischem
Gas sei kein Problem, auch damals durch keine wissenschaftliche Erkenntnis gedeckt war. Wer weiß
schon, dass BASF Wintershall, Eon Ruhrgas und Gazprom mit Unterstützung der Bundesregierung ein
kompliziertes Firmengeflecht aufbauten? Beteiligungen an Gasfeldern gingen an die Deutschen, das
bisher deutsche Unternehmen Wingas (Gashandel) sowie Gasspeicher in Deutschland ging an Gazprom.
Dieser Deal hat dazu geführt, dass Gazprom bei Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine
im Frühjahr 2022 knapp 25 Prozent der deutschen Gasspeicher kontrollierte.
Das ist der Hintergrund, warum es zu CDU/SPD-Zeiten nicht erwünscht war, dass im Gebäudesektor –
wie in Dänemark - der fossile und russische Gashahn zugedreht wurde. Heißt: Eine echte erneuerbare
Wärmewende war zwar drängend, aber eben nicht gewünscht. Das war alles andere als vernünftige
Realpolitik. Es war – aus heutiger Sicht – Wahnsinn.
Claudia Kemfert erklärt schlüssig, wie sämtliche Merkelregierungen nach 2013 die Energiewende aktiv
sabotiert haben. Deswegen entstehen heute Kosten in Milliardenhöhe; weil die günstigen Erneuerbaren
bisher eine geringere Rolle spielen, als sie bei ungebremsten Ausbau spielen könnten. Merkels treuester
Mitstreiter Peter Altmaier spielt eine besonders unrühmliche Rolle: 2013 hatte er behauptet, die
Energiewende koste eine Billion Euro. Damit hatte er erfolgreich das mediale Framing der nächsten Jahre
geschaffen, wonach die Erneuerbaren nicht in vielerlei Hinsicht Zukunft brächten, sondern den braven
Deutschen die Haare vom Kopf fressen würden. Altmaiers Zahl entbehrte wissenschaftlichen Grundlage,
Kosten und Investitionen wurden unzulässig vermischt.
Claudia Kemfert fragt sich bis heute, wie es sein kann, dass Altmaier mit der damaligen Räuberpistole in
den deutschen Medien durchkam. Die Antwort: Es sind Medienreflexe, die seit Jahrzehnten den Subtext
der Berichterstattung bilden. Selbst heute noch würden Kemferts weitergehende Vorschläge in Richtung
Einsparung und Erneuerbare als unrealistisch abgetan, während der mutmaßlich überdimensionierte
LNG-Ausbau oder längere Laufzeiten von Atomkraftwerken als Realpolitik gelte.
Interessant ist, dass das gesetzliche Ende des Einbaus neuer Gasheizungen und das bevorstehende Ende
der Zulassung von neuen Benzin-Autos jenseits der Bild- und FDP-Kommunikation erheblich
differenzierter dargestellt wird. Das ist der Grund, warum die Gegner der Klimapolitik immer hysterischer
werden. Ihre Definition von „Vernunft“ ist nicht mehr mehrheitsfähig.
CLAUDIA KEMFERT: Schockwellen. Letzte Chance für sichere Energien und Frieden. Campus 2023 – 310 Seiten, 26 Euro
MARTIN UNFRIED ist Politologe und arbeitet an der Universität Maastricht.
Quelle: taz FUTURZWEI, 03.03.2023