Siegfried Trapp
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MICHAEL E. MANN 55, ist Professor für Atmosphärenwissenschaften an der Pennsylvania State University. DIE ZEIT: Professor Mann, wegen Ihrer Forschung mussten Sie schon einiges erdulden, bis hin zu Morddrohungen. In Ihrem aktuellen Buch schreiben Sie aber, dass die aggressiven Leugner des Klimawandels allmählich verschwänden. Dafür gebe es neue Gegner: die "Tatenlosen". Sind die nicht vergleichsweise harmlos? Michael E. Mann: Die Gegner in diesem neuen Klimakrieg können den Klimawandel nicht mehr einfach so leugnen, weil seine Auswirkungen – Hitzewellen, Dürren, Buschbrände, Überschwemmungen – überall auf der Welt sichtbar sind. Deshalb versuchen sie, uns mit einer Vielzahl hinterlistiger Taktiken zu verwirren und abzulenken. Es sind Petrostaaten wie Russland und Saudi-Arabien und mächtige Energiekonzerne, die nicht wollen, dass wir uns von fossilen Brennstoffen befreien. Dazu kommen Organisationen und Gruppen, die von ihnen finanziert werden, sowie Politiker, Medien und Persönlichkeiten, die sich als ihre Fürsprecher betätigen. Ich nenne sie Tatenlose, weil sie die Klimakrise kleinreden oder falsche Lösungen wie Geo-Engineering propagieren, die unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern nicht verringern würden. Außerdem lenken sie uns von großen, systemverändernden Lösungen ab, indem sie den Fokus auf unser individuelles Verhalten richten. Als ob es auf Einzelpersonen ankäme. ZEIT: Tut es das nicht? Mann: Es ist ein Ablenkungsmanöver. Eine Taktik, um Druck von den Politikern zu nehmen, die den Klimawandel mit gesetzlichen Mitteln bekämpfen sollten. Schauen Sie, der gesamte Flugverkehr trägt etwa drei Prozent zu den globalen Treibhausgas-Emissionen bei. Sechs Prozent werden durch den Verzehr von Rindfleisch erzeugt. Aber gut 70 Prozent der menschengemachten Kohlendioxid- Emissionen lassen sich auf rund hundert Kohle-, Öl- und Gaskonzerne weltweit zurückführen. ZEIT: Aber was spricht denn dagegen, wenn jemand dem Klima zuliebe auf Flugreisen oder Fleisch verzichtet? Mann: Nichts! Genau deshalb treffen die Tatenlosen da einen Punkt, der für sich genommen sehr vernünftig ist. Natürlich sollten wir im Alltag all diese Dinge tun, die der Umwelt helfen, warum auch nicht? Sie sparen uns Geld, sie machen uns gesünder, sie tragen dazu bei, dass wir uns besser fühlen. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass uns das als Lösung für die Klimakrise verkauft wird. Denn weder Sie noch ich können einen Preis für Kohlendioxid festlegen. Oder Anreize schaffen, um erneuerbare Energien zu fördern. Oder verhindern, dass eine neue Öl- oder Gas-Pipeline gebaut wird. Das sind Dinge, die nur Politikerinnen und Politiker tun können. Wir brauchen einen systemischen Wandel, der uns alle gemeinsam von den fossilen Energien wegbringt. ZEIT: In Ihrem Buch formulieren Sie es etwas spitzer. Über diesen Satz musste ich lachen: "Wenn Klima-Aktivisten fernab des Netzes leben müssten, nur essen dürften, was sie selber anbauen können, und nur Kleidung tragen dürften, die sie selbst gestrickt haben, dann gäbe es keine nennenswerte Klima-Bewegung." Mann: Vielen Dank. Das war eine ernsthafte Aussage von meiner Seite. Ich will bestimmt niemanden lächerlich machen, der Entscheidungen für sein eigenes Leben trifft. Ich will nur darauf hinweisen, dass wir innerhalb des Systems tätig werden müssen, um das System zu verändern. ZEIT: Trotzdem werden Sie neuerdings nicht mehr nur von der Erdöl-Lobby angegriffen, sondern auch von linken Aktivisten, die sich über Ihre Aussagen etwa zum Fleischkonsum empören. Wie reagieren Sie darauf? Mann: Das ist eine echte Herausforderung, vor allem in den sozialen Medien, die von den Tatenlosen benutzt werden, um Konflikte anzuheizen und die Leute dazu zu bringen, mit dem Finger aufeinander zu zeigen. Ich tue mein Bestes, um klar zu kommunizieren. Wissen Sie, ich esse selbst kein Fleisch, wir haben ein elektrisches Fahrzeug, und wir beziehen unsere gesamte Energie aus erneuerbaren Quellen. Trotzdem gibt es immer wieder Leute, die mir vorwerfen, ich würde all diese Dinge nur sagen, weil ich nicht auf Hamburger verzichten wolle. Darauf kann ich nur antworten: Ich tue mein Möglichstes, um die Umwelt zu schonen. Wir können natürlich versuchen, was Gandhi gefordert hat: die Veränderung zu sein, die wir in der Welt sehen wollen. Aber Individuen spielen vor allem dann eine relevante Rolle, wenn sie gemeinsam handeln, wählen gehen und politisches Handeln fordern. ZEIT: Wie genau verhindert die fossile Energielobby, dass das geschieht? Mann: Sie greift auf bewährte Taktiken zurück, die auf ähnliche Weise auch von der Tabakindustrie oder von der Waffenlobby verwendet wurden. In den USA wehrte sich die Waffenlobby gegen schärfere Waffengesetze mit dem Slogan: "Waffen töten keine Menschen, Menschen töten Menschen". Heute verwenden die Profiteure im Umfeld der Kohle-, Öl- und Gaskonzerne ein ähnliches Drehbuch. Das Konzept des "persönlichen CO₂-Fußabdrucks" zum Beispiel wurde in den 2000er-Jahren in den USA vor allem vom Energiekonzern BP populär gemacht. ZEIT: Tatsächlich? Der persönliche CO₂-Fußabdruck ist ja ein häufig verwendetes Maß für die Kohlendioxid-Emissionen, die ein Mensch im Alltag verursacht, etwa durch seine Ernährung, Heizen oder Autofahren. Mann: Richtig. Die Produzenten fossiler Brennstoffe wollen nicht, dass wir auf ihren CO₂-Fußabdruck schauen, darum sollen wir auf unseren eigenen schauen. So sind wir beschäftigt und drängen nicht darauf, dass dringend nötige Maßnahmen ergriffen werden, um das Klima zu stabilisieren. Das ist vielleicht meine wichtigste Botschaft: Wir sind so nah dran. Wir sehen, was zu tun ist, es gibt messbare Fortschritte. Die Tatenlosen sind das einzige wirkliche Hindernis, das uns im Weg steht. Deshalb ist es so wichtig, sie zu benennen: damit wir uns gegen sie verteidigen können. BP ist ein besonderes Beispiel, weil das Unternehmen mit seiner Verschleierungstaktik so erfolgreich war. Aber es war bei Weitem nicht der Einzige. ZEIT: Warum funktioniert dieser Trick immer noch so gut? Mann: Gute Frage. Das "Greenwashing" der Unternehmen ist sehr erfolgreich. Ihre Strategie ist, sich in ihren Werbekampagnen als umweltbewusst darzustellen, während sie hinter den Kulissen Organisationen und Politiker unterstützen, die das Gegenteil von Klimaschutz im Sinn haben. Ein historisches Vorbild dafür ist in den USA die Kampagne mit dem "weinenden Indianer", der sogar zahlreiche Umweltschutzorganisationen auf den Leim gegangen sind. ZEIT: Wie das? Mann: Es war ein wirklich fesselnder Werbespot, der in den Siebzigerjahren ständig ausgestrahlt wurde. Ich war noch klein, aber ich erinnere mich genau: Ein Ureinwohner in traditioneller Kleidung paddelt in seinem Kanu durch eine schrecklich vermüllte Landschaft; über seine Wange rinnt eine Träne. Dazu eine Stimme aus dem Off: "Menschen beginnen die Verschmutzung. Menschen können sie stoppen." Als Kind war ich tief bewegt. Aber der Werbespot war ein einziges Täuschungsmanöver – selbst der Schauspieler war kein Ureinwohner, sondern italienischer Abstammung. Hinter der Kampagne steckte die Getränke-Industrie. Sie wollte ein Gesetz stoppen, das sie dazu verpflichtet hätte, Flaschen und Dosen zurückzunehmen und zu recyceln. Es wäre eine effektive, umfassende Lösung gewesen, um Plastikmüll zu reduzieren, aber es hätte die Hersteller Geld gekostet. Deshalb überzeugten sie die Amerikanerinnen und Amerikaner, dass man Plastikmüll einfach nur aufsammeln und wegschmeißen müsse. Wir können der Getränke-Industrie dafür danken, dass wir nun auch dieses andere globale Problem haben: Plastikmüll in den Ozeanen. ZEIT: Apropos effektive Lösungen: Was erwarten Sie in Sachen Klimapolitik von Joe Biden? Mann: Wir haben jetzt eine Regierung, die präsidiale Dekrete zur Bewältigung der Klimakrise unterstützt. Aber wir brauchen immer noch Gesetze, wir brauchen den Kongress, und das wird auch in Zukunft ein Kampf bleiben. Wir müssen unsere Wirtschaft so umstrukturieren, dass es keine Anreize mehr gibt, in fossile Energien zu investieren. Sonst haben wir keine Chance, den Ausstoß von Treibhausgasen innerhalb der nächsten zehn Jahre so zu reduzieren, wie wir es tun müssen. ZEIT: Wie kann das gelingen? Mann: Wir brauchen kein Wunder, weil wir die Lösung längst haben: Solarenergie, Windkraft, Erdwärme. Es gibt inzwischen eine Fülle von Literatur, die zeigt, dass wir es schaffen können, die Wirtschaft mit existierenden Technologien bis 2030 um 80 Prozent zu dekarbonisieren, bis 2050 sogar vollständig. Da sind technische Fortschritte bei den erneuerbaren Energien noch nicht einmal einkalkuliert. "Wir können das Schlimmste abwenden" ZEIT: Das klingt jetzt sehr optimistisch. Mann: Nun, man kann das Glas immer als halb voll oder als halb leer sehen. Natürlich können Sie auf Katastrophen verweisen, die sich vor unseren Augen abspielen, und zeigen, dass der Klimawandel bereits eine gefährliche Phase erreicht hat. Mein Punkt ist, dass wir das Schlimmste abwenden können – jene Art von Klimawandel, der die menschliche Zivilisation gefährden könnte. Viele dieser Untergangsszenarios, die etwa Autoren wie Jonathan Franzen oder David Wallace-Wells beschreiben, basieren auf einer Verzerrung der Klimaforschung, die in mancher Hinsicht so schlimm ist wie die Verzerrungen der Klimaleugner. Dass zum Beispiel das ganze Methan, das in der Arktis gespeichert war, auf einmal in die Atmosphäre entweicht und den Planeten schlagartig aufheizt. Manche Untergangsdichter behaupten ja sogar, dass deshalb alles Leben auf der Erde innerhalb von zehn Jahren ausgelöscht werde. Übrigens ist diese Behauptung fünf Jahre alt, das sollten Sie sich also in Ihren Kalender eintragen. ZEIT: Den Weltuntergang in fünf Jahren? Mann: Solche Untergangsszenarios sind Unsinn. Sie gründen auf schlechter Wissenschaft. ZEIT: Neben den Leugnern und den Poeten des Untergangs gibt es noch eine weitere Spezies, die Ihre Streitlust zu wecken scheint: die "first-time climate dudes", übersetzt ungefähr "erstmalige Klima-Kerle". Den Begriff müssen Sie erklären. Mann: Ist er nicht großartig? Leider ist er nicht von mir, sondern von einer Journalistin, die ich zitiere. Gemeint sind ältere weiße Männer. Wir sind eine privilegierte Gruppe. Uns eint die Überzeugung, wir hätten die Lösungen für alle Probleme und die anderen bräuchten bloß auf uns zu hören. ZEIT: Bill Gates, der ebenfalls ein Buch über den Klimawandel veröffentlicht hat, sei ein klassischer Fall, schreiben Sie. Mann: Bill Gates hat in der Klima-Debatte früher eine wenig konstruktive Rolle gespielt, aber ich denke, dass er sich in eine konstruktivere Richtung bewegt. Er scheint jetzt zu begreifen, dass wir staatliche Interventionen benötigen, dass wir es also nicht dem Markt überlassen können, die Klimakrise zu lösen. Aber er redet immer noch klein, welche Rolle die erneuerbaren Energien dabei spielen – mit den üblichen Argumenten, die in weiten Teilen widerlegt sind. Und dann sucht er Lösungen, die meiner Meinung nach eher trügerisch sind, wie Geo- Engineering oder Atomkraft. Ich denke, dass er das Herz am richtigen Fleck hat. Aber er erreicht so viele Menschen, und die bekommen jetzt alle einen ziemlich kurzsichtigen Vorschlag zur Lösung der Klimakrise serviert. ZEIT: Noch beschäftigt uns ja eine andere Krise. Können wir aus der Pandemie etwas lernen, das uns bei der Bewältigung der Klimakrise hilft? Mann: Oh ja. Die Pandemie ist eine Lektion über unseren Platz auf diesem Planeten, über Verwundbarkeit und Nachhaltigkeit, darüber, wie tödlich Wissenschaftsfeindlichkeit sein kann. Die Pandemie hat dazu beigetragen, den Weg für eine gute Klimapolitik frei zu machen. Ich bin optimistisch, dass wir die Gelegenheit für einen besseren Wiederaufbau der Wirtschaft nutzen; so lautet ja auch das Motto der Biden-Administration. Besser heißt: grüner. In den USA gibt es Hinweise darauf, dass das nun geschieht, nicht zuletzt dank des Corona- Hilfspakets. Dazu kommt die weltweite Jugend-Klimabewegung, die uns daran erinnert, dass wir eine ethische Verpflichtung haben, den Planeten nicht zu zerstören. Außerdem sehen und fühlen die Menschen längst, was Klimawandel ist. All diese Faktoren kommen in einem Moment zusammen, in dem sich in der amerikanischen Politik der Wind dreht. Historisch betrachtet sind wir Amerikaner ja der größte Verursacher von Treibhausgasen, deshalb war es schwierig zu vermitteln, warum der Rest der Welt handeln sollte, wenn wir nicht mitmachen. Aber wir sind wieder da. Und bei Bidens Klimagipfel in diesem Monat werden hoffentlich auch andere an Bord kommen, sodass wir bei der Klimakonferenz in Glasgow im November weltweit deutlich ehrgeizigere Ziele beim Reduzieren von Klimagasen sehen werden. Quelle: https://www.zeit.de/2021/16/michael-e-mann-klimakrise-treibhausgas-emmissionen-erdoel- lobby-fleischkonsum/komplettansicht Manns Buch "Propagandaschlacht ums Klima: Wie wir die Anstifter klimapolitischer Untätigkeit besiegen" erschien im März im Verlag Solare Zukunft.
© strapp 2021
Michael E. Mann: "Wir sind so nah dran" Die Klimakrise sei lösbar, sagt der US-Klimaforscher Michael E. Mann – aber die Erdöl-Lobby kopiere die Abwehrmethoden der Tabakindustrie. Interview: Samiha Shafy
MICHAEL E. MANN 55, ist Professor für Atmosphärenwissenschaften an der Pennsylvania State University. DIE ZEIT: Professor Mann, wegen Ihrer Forschung mussten Sie schon einiges erdulden, bis hin zu Morddrohungen. In Ihrem aktuellen Buch schreiben Sie aber, dass die aggressiven Leugner des Klimawandels allmählich verschwänden. Dafür gebe es neue Gegner: die "Tatenlosen". Sind die nicht vergleichsweise harmlos? Michael E. Mann: Die Gegner in diesem neuen Klimakrieg können den Klimawandel nicht mehr einfach so leugnen, weil seine Auswirkungen – Hitzewellen, Dürren, Buschbrände, Überschwemmungen – überall auf der Welt sichtbar sind. Deshalb versuchen sie, uns mit einer Vielzahl hinterlistiger Taktiken zu verwirren und abzulenken. Es sind Petrostaaten wie Russland und Saudi- Arabien und mächtige Energiekonzerne, die nicht wollen, dass wir uns von fossilen Brennstoffen befreien. Dazu kommen Organisationen und Gruppen, die von ihnen finanziert werden, sowie Politiker, Medien und Persönlichkeiten, die sich als ihre Fürsprecher betätigen. Ich nenne sie Tatenlose, weil sie die Klimakrise kleinreden oder falsche Lösungen wie Geo-Engineering propagieren, die unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern nicht verringern würden. Außerdem lenken sie uns von großen, systemverändernden Lösungen ab, indem sie den Fokus auf unser individuelles Verhalten richten. Als ob es auf Einzelpersonen ankäme. ZEIT: Tut es das nicht? Mann: Es ist ein Ablenkungsmanöver. Eine Taktik, um Druck von den Politikern zu nehmen, die den Klimawandel mit gesetzlichen Mitteln bekämpfen sollten. Schauen Sie, der gesamte Flugverkehr trägt etwa drei Prozent zu den globalen Treibhausgas-Emissionen bei. Sechs Prozent werden durch den Verzehr von Rindfleisch erzeugt. Aber gut 70 Prozent der menschengemachten Kohlendioxid- Emissionen lassen sich auf rund hundert Kohle-, Öl- und Gaskonzerne weltweit zurückführen. ZEIT: Aber was spricht denn dagegen, wenn jemand dem Klima zuliebe auf Flugreisen oder Fleisch verzichtet? Mann: Nichts! Genau deshalb treffen die Tatenlosen da einen Punkt, der für sich genommen sehr vernünftig ist. Natürlich sollten wir im Alltag all diese Dinge tun, die der Umwelt helfen, warum auch nicht? Sie sparen uns Geld, sie machen uns gesünder, sie tragen dazu bei, dass wir uns besser fühlen. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass uns das als Lösung für die Klimakrise verkauft wird. Denn weder Sie noch ich können einen Preis für Kohlendioxid festlegen. Oder Anreize schaffen, um erneuerbare Energien zu fördern. Oder verhindern, dass eine neue Öl- oder Gas-Pipeline gebaut wird. Das sind Dinge, die nur Politikerinnen und Politiker tun können. Wir brauchen einen systemischen Wandel, der uns alle gemeinsam von den fossilen Energien wegbringt. ZEIT: In Ihrem Buch formulieren Sie es etwas spitzer. Über diesen Satz musste ich lachen: "Wenn Klima-Aktivisten fernab des Netzes leben müssten, nur essen dürften, was sie selber anbauen können, und nur Kleidung tragen dürften, die sie selbst gestrickt haben, dann gäbe es keine nennenswerte Klima-Bewegung." Mann: Vielen Dank. Das war eine ernsthafte Aussage von meiner Seite. Ich will bestimmt niemanden lächerlich machen, der Entscheidungen für sein eigenes Leben trifft. Ich will nur darauf hinweisen, dass wir innerhalb des Systems tätig werden müssen, um das System zu verändern. ZEIT: Trotzdem werden Sie neuerdings nicht mehr nur von der Erdöl-Lobby angegriffen, sondern auch von linken Aktivisten, die sich über Ihre Aussagen etwa zum Fleischkonsum empören. Wie reagieren Sie darauf? Mann: Das ist eine echte Herausforderung, vor allem in den sozialen Medien, die von den Tatenlosen benutzt werden, um Konflikte anzuheizen und die Leute dazu zu bringen, mit dem Finger aufeinander zu zeigen. Ich tue mein Bestes, um klar zu kommunizieren. Wissen Sie, ich esse selbst kein Fleisch, wir haben ein elektrisches Fahrzeug, und wir beziehen unsere gesamte Energie aus erneuerbaren Quellen. Trotzdem gibt es immer wieder Leute, die mir vorwerfen, ich würde all diese Dinge nur sagen, weil ich nicht auf Hamburger verzichten wolle. Darauf kann ich nur antworten: Ich tue mein Möglichstes, um die Umwelt zu schonen. Wir können natürlich versuchen, was Gandhi gefordert hat: die Veränderung zu sein, die wir in der Welt sehen wollen. Aber Individuen spielen vor allem dann eine relevante Rolle, wenn sie gemeinsam handeln, wählen gehen und politisches Handeln fordern. ZEIT: Wie genau verhindert die fossile Energielobby, dass das geschieht? Mann: Sie greift auf bewährte Taktiken zurück, die auf ähnliche Weise auch von der Tabakindustrie oder von der Waffenlobby verwendet wurden. In den USA wehrte sich die Waffenlobby gegen schärfere Waffengesetze mit dem Slogan: "Waffen töten keine Menschen, Menschen töten Menschen". Heute verwenden die Profiteure im Umfeld der Kohle-, Öl- und Gaskonzerne ein ähnliches Drehbuch. Das Konzept des "persönlichen CO₂- Fußabdrucks" zum Beispiel wurde in den 2000er-Jahren in den USA vor allem vom Energiekonzern BP populär gemacht. ZEIT: Tatsächlich? Der persönliche CO₂- Fußabdruck ist ja ein häufig verwendetes Maß für die Kohlendioxid-Emissionen, die ein Mensch im Alltag verursacht, etwa durch seine Ernährung, Heizen oder Autofahren. Mann: Richtig. Die Produzenten fossiler Brennstoffe wollen nicht, dass wir auf ihren CO₂-Fußabdruck schauen, darum sollen wir auf unseren eigenen schauen. So sind wir beschäftigt und drängen nicht darauf, dass dringend nötige Maßnahmen ergriffen werden, um das Klima zu stabilisieren. Das ist vielleicht meine wichtigste Botschaft: Wir sind so nah dran. Wir sehen, was zu tun ist, es gibt messbare Fortschritte. Die Tatenlosen sind das einzige wirkliche Hindernis, das uns im Weg steht. Deshalb ist es so wichtig, sie zu benennen: damit wir uns gegen sie verteidigen können. BP ist ein besonderes Beispiel, weil das Unternehmen mit seiner Verschleierungstaktik so erfolgreich war. Aber es war bei Weitem nicht der Einzige. ZEIT: Warum funktioniert dieser Trick immer noch so gut? Mann: Gute Frage. Das "Greenwashing" der Unternehmen ist sehr erfolgreich. Ihre Strategie ist, sich in ihren Werbekampagnen als umweltbewusst darzustellen, während sie hinter den Kulissen Organisationen und Politiker unterstützen, die das Gegenteil von Klimaschutz im Sinn haben. Ein historisches Vorbild dafür ist in den USA die Kampagne mit dem "weinenden Indianer", der sogar zahlreiche Umweltschutzorganisationen auf den Leim gegangen sind. ZEIT: Wie das? Mann: Es war ein wirklich fesselnder Werbespot, der in den Siebzigerjahren ständig ausgestrahlt wurde. Ich war noch klein, aber ich erinnere mich genau: Ein Ureinwohner in traditioneller Kleidung paddelt in seinem Kanu durch eine schrecklich vermüllte Landschaft; über seine Wange rinnt eine Träne. Dazu eine Stimme aus dem Off: "Menschen beginnen die Verschmutzung. Menschen können sie stoppen." Als Kind war ich tief bewegt. Aber der Werbespot war ein einziges Täuschungsmanöver – selbst der Schauspieler war kein Ureinwohner, sondern italienischer Abstammung. Hinter der Kampagne steckte die Getränke- Industrie. Sie wollte ein Gesetz stoppen, das sie dazu verpflichtet hätte, Flaschen und Dosen zurückzunehmen und zu recyceln. Es wäre eine effektive, umfassende Lösung gewesen, um Plastikmüll zu reduzieren, aber es hätte die Hersteller Geld gekostet. Deshalb überzeugten sie die Amerikanerinnen und Amerikaner, dass man Plastikmüll einfach nur aufsammeln und wegschmeißen müsse. Wir können der Getränke-Industrie dafür danken, dass wir nun auch dieses andere globale Problem haben: Plastikmüll in den Ozeanen. ZEIT: Apropos effektive Lösungen: Was erwarten Sie in Sachen Klimapolitik von Joe Biden? Mann: Wir haben jetzt eine Regierung, die präsidiale Dekrete zur Bewältigung der Klimakrise unterstützt. Aber wir brauchen immer noch Gesetze, wir brauchen den Kongress, und das wird auch in Zukunft ein Kampf bleiben. Wir müssen unsere Wirtschaft so umstrukturieren, dass es keine Anreize mehr gibt, in fossile Energien zu investieren. Sonst haben wir keine Chance, den Ausstoß von Treibhausgasen innerhalb der nächsten zehn Jahre so zu reduzieren, wie wir es tun müssen. ZEIT: Wie kann das gelingen? Mann: Wir brauchen kein Wunder, weil wir die Lösung längst haben: Solarenergie, Windkraft, Erdwärme. Es gibt inzwischen eine Fülle von Literatur, die zeigt, dass wir es schaffen können, die Wirtschaft mit existierenden Technologien bis 2030 um 80 Prozent zu dekarbonisieren, bis 2050 sogar vollständig. Da sind technische Fortschritte bei den erneuerbaren Energien noch nicht einmal einkalkuliert. "Wir können das Schlimmste abwenden" ZEIT: Das klingt jetzt sehr optimistisch. Mann: Nun, man kann das Glas immer als halb voll oder als halb leer sehen. Natürlich können Sie auf Katastrophen verweisen, die sich vor unseren Augen abspielen, und zeigen, dass der Klimawandel bereits eine gefährliche Phase erreicht hat. Mein Punkt ist, dass wir das Schlimmste abwenden können – jene Art von Klimawandel, der die menschliche Zivilisation gefährden könnte. Viele dieser Untergangsszenarios, die etwa Autoren wie Jonathan Franzen oder David Wallace-Wells beschreiben, basieren auf einer Verzerrung der Klimaforschung, die in mancher Hinsicht so schlimm ist wie die Verzerrungen der Klimaleugner. Dass zum Beispiel das ganze Methan, das in der Arktis gespeichert war, auf einmal in die Atmosphäre entweicht und den Planeten schlagartig aufheizt. Manche Untergangsdichter behaupten ja sogar, dass deshalb alles Leben auf der Erde innerhalb von zehn Jahren ausgelöscht werde. Übrigens ist diese Behauptung fünf Jahre alt, das sollten Sie sich also in Ihren Kalender eintragen. ZEIT: Den Weltuntergang in fünf Jahren? Mann: Solche Untergangsszenarios sind Unsinn. Sie gründen auf schlechter Wissenschaft. ZEIT: Neben den Leugnern und den Poeten des Untergangs gibt es noch eine weitere Spezies, die Ihre Streitlust zu wecken scheint: die "first-time climate dudes", übersetzt ungefähr "erstmalige Klima- Kerle". Den Begriff müssen Sie erklären. Mann: Ist er nicht großartig? Leider ist er nicht von mir, sondern von einer Journalistin, die ich zitiere. Gemeint sind ältere weiße Männer. Wir sind eine privilegierte Gruppe. Uns eint die Überzeugung, wir hätten die Lösungen für alle Probleme und die anderen bräuchten bloß auf uns zu hören. ZEIT: Bill Gates, der ebenfalls ein Buch über den Klimawandel veröffentlicht hat, sei ein klassischer Fall, schreiben Sie. Mann: Bill Gates hat in der Klima-Debatte früher eine wenig konstruktive Rolle gespielt, aber ich denke, dass er sich in eine konstruktivere Richtung bewegt. Er scheint jetzt zu begreifen, dass wir staatliche Interventionen benötigen, dass wir es also nicht dem Markt überlassen können, die Klimakrise zu lösen. Aber er redet immer noch klein, welche Rolle die erneuerbaren Energien dabei spielen – mit den üblichen Argumenten, die in weiten Teilen widerlegt sind. Und dann sucht er Lösungen, die meiner Meinung nach eher trügerisch sind, wie Geo-Engineering oder Atomkraft. Ich denke, dass er das Herz am richtigen Fleck hat. Aber er erreicht so viele Menschen, und die bekommen jetzt alle einen ziemlich kurzsichtigen Vorschlag zur Lösung der Klimakrise serviert. ZEIT: Noch beschäftigt uns ja eine andere Krise. Können wir aus der Pandemie etwas lernen, das uns bei der Bewältigung der Klimakrise hilft? Mann: Oh ja. Die Pandemie ist eine Lektion über unseren Platz auf diesem Planeten, über Verwundbarkeit und Nachhaltigkeit, darüber, wie tödlich Wissenschaftsfeindlichkeit sein kann. Die Pandemie hat dazu beigetragen, den Weg für eine gute Klimapolitik frei zu machen. Ich bin optimistisch, dass wir die Gelegenheit für einen besseren Wiederaufbau der Wirtschaft nutzen; so lautet ja auch das Motto der Biden- Administration. Besser heißt: grüner. In den USA gibt es Hinweise darauf, dass das nun geschieht, nicht zuletzt dank des Corona-Hilfspakets. Dazu kommt die weltweite Jugend-Klimabewegung, die uns daran erinnert, dass wir eine ethische Verpflichtung haben, den Planeten nicht zu zerstören. Außerdem sehen und fühlen die Menschen längst, was Klimawandel ist. All diese Faktoren kommen in einem Moment zusammen, in dem sich in der amerikanischen Politik der Wind dreht. Historisch betrachtet sind wir Amerikaner ja der größte Verursacher von Treibhausgasen, deshalb war es schwierig zu vermitteln, warum der Rest der Welt handeln sollte, wenn wir nicht mitmachen. Aber wir sind wieder da. Und bei Bidens Klimagipfel in diesem Monat werden hoffentlich auch andere an Bord kommen, sodass wir bei der Klimakonferenz in Glasgow im November weltweit deutlich ehrgeizigere Ziele beim Reduzieren von Klimagasen sehen werden. Quelle: https://www.zeit.de/2021/16/michael-e- mann-klimakrise-treibhausgas-emmissionen-erdoel- lobby-fleischkonsum/komplettansicht Manns Buch "Propagandaschlacht ums Klima: Wie wir die Anstifter klimapolitischer Untätigkeit besiegen" erschien im März im Verlag Solare Zukunft.
© strapp 2021
Michael E. Mann: "Wir sind so nah dran" Die Klimakrise sei lösbar, sagt der US- Klimaforscher Michael E. Mann – aber die Erdöl-Lobby kopiere die Abwehrmethoden der Tabakindustrie. Interview: Samiha Shafy