Mythos Multitasking Der Begriff Multitasking, eigentlich aus der Informationstechnologie stammend, hat in den vergangenen Jahren eine beispiellose Karriere gemacht vor allem im Büro. Mittlerweile wird geradezu vorausgesetzt, dass die Mitarbeiter gleichzeitig komplexe Sachverhalte bearbeiten, sofort auf jede E-Mail antworten und jederzeit am Telefon zur Verfügung stehen. Doch in letzter Zeit hat das gute Image des Multitaskings schwer gelitten. Verantwortlich dafür sind Hirnforscher und Psychologen: Sie haben entdeckt, dass das parallele Bearbeiten von Aufgaben ineffizient ist – und dass der Mensch zu echtem Multitasking gar nicht fähig ist.  "Das gibt es gar nicht", bringt es etwa Ernst Pöppel, Psychologe an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, kurz und knapp auf den Punkt. Das Gehirn, so erklärt er in der Mai-Ausgabe des Magazins "bild der wissenschaft", sei rein physiologisch gar nicht in der Lage, auf mehrere Dinge gleichzeitig zu reagieren. Die Betonung liegt dabei auf reagieren, denn mehrere Reize parallel wahrnehmen und verarbeiten, wie es für das Zuhören am Telefon und das gleichzeitige Durchblättern eines Kalenders nötig ist, das geht durchaus. Und diese Fähigkeit lässt sich sogar trainieren – was nach Ansicht von Neurobiologen auch der Grund ist, warum die Multitasking-Fähigkeiten von Frauen allgemein als höher eingeschätzt werden: Sie haben einfach mehr Übung. Doch wo Konsequenzen aus dem Wahrgenommenen gezogen oder gar bewusst Entscheidungen getroffen werden müssen, ist es mit der scheinbaren Gleichzeitigkeit vorbei. "Zu einem bestimmten Zeitpunkt kann immer nur ein einziger Sachverhalt im Zentrum des Bewusstseins stehen", unterstreicht Pöppel. Folgerichtig ist auch das Gefühl, verschiedenes gleichzeitig erledigen zu können, nichts als eine Täuschung. In Wahrheit rasen Gedanken und Aufmerksamkeit von einer Aufgabe zur nächsten, wieder zurück und dann weiter – ein System, bei dem es nicht überrascht, dass die Effizienz stark leidet. Das haben unter anderem die beiden US-Hirnforscher David Meyer und Jeffrey Evans gezeigt, indem sie Probanden unterschiedliche Aufgaben parallel lösen ließen. Das Ergebnis: Die Testteilnehmer brauchten nicht nur jedes Mal Zeit, um sich umzustellen, wenn sie von einer zur nächsten Tätigkeit wechselten. Sie reagierten auch langsamer und machten mehr Fehler, vor allem, wenn eine der Aufgaben zusätzlich starke Emotionen hervorrief. Insgesamt, so das ernüchternde Fazit der Wissenschaftler, schafft das Gehirn unter solchen Bedingungen nicht einmal die Hälfte der Leistung, die es ohne Ablenkung erbringen würde. Man muss sich also mindestens zehn Minuten durchgehend mit einer Sache beschäftigen, um nicht ausgebremst zu werden, lautet daher ihre Empfehlung. Wie sehr die Multitasking-Bremse schon bei ganz trivialen Tätigkeiten zuschlägt, konnte der Aachener Psychologe Iring Koch an einer Supermarktkasse beobachten. Die Kassiererin sei dabei gewesen, Milchtüten über den Scanner zu ziehen, als das Telefon klingelte. "Sie ging dran, und dabei stockte selbst eine so simple Aufgabe wie das Scannen der Ware. Telefonieren und dabei gleichzeitig Milchtüten übers Band ziehen – damit war das Gehirn schon überfordert", erzählt der Wissenschaftler in "bild der wissenschaft". Dazu kommt noch ein weiterer Faktor, den wohl praktisch jeder aus seinem Arbeitsalltag kennen dürfte: Wenn mehr als eine Aufgabe gleichzeitig ihrer Erledigung harrt, entsteht Stress. "Auch wenn die Leistung konstant bleibt, nehmen die Menschen so etwas meist als anstrengender wahr. Sie haben das Gefühl, dauernd auf einen neuen Reiz oder eine Information reagieren zu müssen", weiß Psychologe Koch. Natürlich gibt es auch Menschen, die genau das anregend finden. Sie suchen sich bewusst Projekte und Jobs aus, die sie immer wieder mit Neuem konfrontieren – "Multitasking-Junkies", sozusagen. Doch auch sie finden in den Augen von Psychologen keine Anerkennung, im Gegenteil: Eine Studie aus Harvard hat eindeutig gezeigt, dass dieses Zappen zwischen verschiedenen Aufgaben Hand in Hand mit einer verkürzten Aufmerksamkeitsspanne geht. Langfristige Arbeiten kommen daher für solche Menschen kaum noch infrage, weil sie sich darauf nicht einlassen können und auch ihre Konzentrationsfähigkeit nicht ausreicht. Diese Unfähigkeit zu effizientem Multitasking wird am Arbeitsplatz zunehmend zum Problem. Ständig durchbrechen Telefon, E-Mails oder Anfragen von Kollegen die Konzentration und verlangen sofortige Reaktionen – dabei wünschen sich nicht wenige Mitarbeiter einfach mal einen Nachmittag, an dem sie sich voll und ganz einer einzelnen Aufgabe widmen könnten. "Die Firmen täten besser daran, den Multitasking-Druck, der auf den Angestellten lastet, zu vermindern", meint auch Koch. Nutzen würde das allen: den Firmen, weil die Mitarbeiter ihre Aufgaben schneller und auch besser erledigen würden, und die Angestellten, weil ein großer Stressfaktor wegfallen und ihnen ein entspannteres Arbeiten ermöglichen würde. Wie das gelingen kann, ist eigentlich trivial: "In einer idealen Arbeitsatmosphäre kann ich die Dinge nacheinander erledigen", erläutert Psychologe Koch. Das fängt schon bei so kleinen Dingen an, wie nicht ständig die E-Mails zu checken, sondern sie eben nur alle zwei bis drei Stunden anzusehen, das Telefon auf Mailbox umzustellen und, wenn möglich, einfach mal die Türe zu schließen. "Das lässt sich leicht lernen", versichert Koch – und zwar für Männer ebenso wie für Frauen. Ilka Lehnen-Beyel  Copyright 2008 Koenig + Neurath AG in Kooperation mit wissenschaft.de
Siegfried Trapp
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© strapp 2011
Mythos Multitasking Der Begriff Multitasking, eigentlich aus der Informationstechnologie stammend, hat in den vergangenen Jahren eine beispiellose Karriere gemacht vor allem im Büro. Mittlerweile wird geradezu vorausgesetzt, dass die Mitarbeiter gleichzeitig komplexe Sachverhalte bearbeiten, sofort auf jede E-Mail antworten und jederzeit am Telefon zur Verfügung stehen. Doch in letzter Zeit hat das gute Image des Multitaskings schwer gelitten. Verantwortlich dafür sind Hirnforscher und Psychologen: Sie haben entdeckt, dass das parallele Bearbeiten von Aufgaben ineffizient ist – und dass der Mensch zu echtem Multitasking gar nicht fähig ist.  "Das gibt es gar nicht", bringt es etwa Ernst Pöppel, Psychologe an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, kurz und knapp auf den Punkt. Das Gehirn, so erklärt er in der Mai-Ausgabe des Magazins "bild der wissenschaft", sei rein physiologisch gar nicht in der Lage, auf mehrere Dinge gleichzeitig zu reagieren. Die Betonung liegt dabei auf reagieren, denn mehrere Reize parallel wahrnehmen und verarbeiten, wie es für das Zuhören am Telefon und das gleichzeitige Durchblättern eines Kalenders nötig ist, das geht durchaus. Und diese Fähigkeit lässt sich sogar trainieren – was nach Ansicht von Neurobiologen auch der Grund ist, warum die Multitasking-Fähigkeiten von Frauen allgemein als höher eingeschätzt werden: Sie haben einfach mehr Übung. Doch wo Konsequenzen aus dem Wahrgenommenen gezogen oder gar bewusst Entscheidungen getroffen werden müssen, ist es mit der scheinbaren Gleichzeitigkeit vorbei. "Zu einem bestimmten Zeitpunkt kann immer nur ein einziger Sachverhalt im Zentrum des Bewusstseins stehen", unterstreicht Pöppel. Folgerichtig ist auch das Gefühl, verschiedenes gleichzeitig erledigen zu können, nichts als eine Täuschung. In Wahrheit rasen Gedanken und Aufmerksamkeit von einer Aufgabe zur nächsten, wieder zurück und dann weiter – ein System, bei dem es nicht überrascht, dass die Effizienz stark leidet. Das haben unter anderem die beiden US-Hirnforscher David Meyer und Jeffrey Evans gezeigt, indem sie Probanden unterschiedliche Aufgaben parallel lösen ließen. Das Ergebnis: Die Testteilnehmer brauchten nicht nur jedes Mal Zeit, um sich umzustellen, wenn sie von einer zur nächsten Tätigkeit wechselten. Sie reagierten auch langsamer und machten mehr Fehler, vor allem, wenn eine der Aufgaben zusätzlich starke Emotionen hervorrief. Insgesamt, so das ernüchternde Fazit der Wissenschaftler, schafft das Gehirn unter solchen Bedingungen nicht einmal die Hälfte der Leistung, die es ohne Ablenkung erbringen würde. Man muss sich also mindestens zehn Minuten durchgehend mit einer Sache beschäftigen, um nicht ausgebremst zu werden, lautet daher ihre Empfehlung. Wie sehr die Multitasking-Bremse schon bei ganz trivialen Tätigkeiten zuschlägt, konnte der Aachener Psychologe Iring Koch an einer Supermarktkasse beobachten. Die Kassiererin sei dabei gewesen, Milchtüten über den Scanner zu ziehen, als das Telefon klingelte. "Sie ging dran, und dabei stockte selbst eine so simple Aufgabe wie das Scannen der Ware. Telefonieren und dabei gleichzeitig Milchtüten übers Band ziehen – damit war das Gehirn schon überfordert", erzählt der Wissenschaftler in "bild der wissenschaft". Dazu kommt noch ein weiterer Faktor, den wohl praktisch jeder aus seinem Arbeitsalltag kennen dürfte: Wenn mehr als eine Aufgabe gleichzeitig ihrer Erledigung harrt, entsteht Stress. "Auch wenn die Leistung konstant bleibt, nehmen die Menschen so etwas meist als anstrengender wahr. Sie haben das Gefühl, dauernd auf einen neuen Reiz oder eine Information reagieren zu müssen", weiß Psychologe Koch. Natürlich gibt es auch Menschen, die genau das anregend finden. Sie suchen sich bewusst Projekte und Jobs aus, die sie immer wieder mit Neuem konfrontieren – "Multitasking-Junkies", sozusagen. Doch auch sie finden in den Augen von Psychologen keine Anerkennung, im Gegenteil: Eine Studie aus Harvard hat eindeutig gezeigt, dass dieses Zappen zwischen verschiedenen Aufgaben Hand in Hand mit einer verkürzten Aufmerksamkeitsspanne geht. Langfristige Arbeiten kommen daher für solche Menschen kaum noch infrage, weil sie sich darauf nicht einlassen können und auch ihre Konzentrationsfähigkeit nicht ausreicht. Diese Unfähigkeit zu effizientem Multitasking wird am Arbeitsplatz zunehmend zum Problem. Ständig durchbrechen Telefon, E-Mails oder Anfragen von Kollegen die Konzentration und verlangen sofortige Reaktionen – dabei wünschen sich nicht wenige Mitarbeiter einfach mal einen Nachmittag, an dem sie sich voll und ganz einer einzelnen Aufgabe widmen könnten. "Die Firmen täten besser daran, den Multitasking-Druck, der auf den Angestellten lastet, zu vermindern", meint auch Koch. Nutzen würde das allen: den Firmen, weil die Mitarbeiter ihre Aufgaben schneller und auch besser erledigen würden, und die Angestellten, weil ein großer Stressfaktor wegfallen und ihnen ein entspannteres Arbeiten ermöglichen würde. Wie das gelingen kann, ist eigentlich trivial: "In einer idealen Arbeitsatmosphäre kann ich die Dinge nacheinander erledigen", erläutert Psychologe Koch. Das fängt schon bei so kleinen Dingen an, wie nicht ständig die E-Mails zu checken, sondern sie eben nur alle zwei bis drei Stunden anzusehen, das Telefon auf Mailbox umzustellen und, wenn möglich, einfach mal die Türe zu schließen. "Das lässt sich leicht lernen", versichert Koch – und zwar für Männer ebenso wie für Frauen. Ilka Lehnen-Beyel  Copyright 2008 Koenig + Neurath AG in Kooperation mit wissenschaft.de
 
© strapp 2011