Siegfried
Trapp
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Lebensberatung für den aktiven Auslandslehrer
Die Cocktailparty - ein empfehlenswertes hydrotherapeutisches
Heilverfahren für den Auslandslehrer?
Hat Pfarrer Sebastian Kneipp nicht nur die nach ihm benannte Kur erfunden,
sondern auch die Cocktailparty? Vieles spricht für diese Hypothese: Die bewusste
Verabreichung von Flüssigkeiten, die kreislaufanregenden Begießungen, die im
herdenartigen Gleichklang durchgeführten befremdlichen Fuß- und
Handbewegungen, überhaupt der Kanon der rituellen Verrichtungen, der
unweigerlich zu fleckig geröteten Gesichtern führt. Wer könnte die Parallelen
zwischen einer klassischen Kneippkur und einer ordentlichen Cocktailparty
übersehen? Bad Wörishofen ist überall, Pfarrer Kneipp ist - auch wenn dies bisher
noch nicht gewürdigt wurde, der geistige Vater aller Cocktailpartys. Wie bitte, das
ist zu weit hergeholt?
In einem bekannten Gesundheitsratgeber heißt es: „Bei schlechter Reaktionslage,
nervösen Reizzuständen und bei mangelhafter natürlicher Körperwärme sind
temperierte Güsse angezeigt. Für die einfachen Kneippgüsse nimmt man einen
Gummischlauch mit einer lichten Weite von 18-20 mm. Man kann sich auch einer
Gartengießkanne ohne Brausekopf bedienen. Die Dauer eines Gusses liegt
zwischen 30 Sekunden und 3 Minuten. Man unterscheidet den Kopfguß, den
Gesichtsguß, den Ohrenguß,... den Vollguß und den sogenannten Blitzguß..."
Na eben. Fast alles trifft auch auf die Cocktailparty zu. Zugegeben, ich habe noch
niemanden mit Gummischlauch und Gartengießkanne ohne Brausekopf auf - sagen
wir - der Cocktaileinladung der Deutschen Botschaft zum 3. Oktober hantieren
sehen. Aber Gäste mit schlechter Reaktionslage und nervösen Reizzuständen, die
nur auf einen kühl temperierten Gesichtsguß aus sind, gibt es da zuhauf. Auch die
Dauer eines Gusses - zwischen 30 Sekunden und 3 Minuten - kommt ganz gut hin.
Wenn ein Glas schon in weniger als 30 Sekunden leer ist, so müßten wir mit Pfarrer
Kneipp wohl von einem Blitzguß sprechen. Viele Blitzgüsse ergeben einen Vollguß,
viele Vollgüsse führen zu einem enormen Kopfguß ...
Meist schon kurze Zeit nach Beginn der ersten Vollgüsse auf einer Cocktailparty
tritt der von Kneipp so trefflich beschriebene Reizzustand ein: „Die Güsse wirken
teils örtlich, teils allgemein. Sie führen zu einer Umstimmung des Stoffwechsels
und zu einer leichten Nervenreizung, regen die Blutzirkulation an und führen zur
Beseitigung von Ermüdungsgefühl, wirken anregend und allgemein tonisierend..."
Genauso ist es. Der umgestimmte Stoffwechsel führt unweigerlich zu einem
geänderten Gesamtverhalten der Kurteilnehmer. Es kommt zu vitalen Blitzattacken
auf die von den Kellnern vorbeigetragenen Platten mit den Appetithäppchen, was
selbstverständlich einen therapeutisch erwünschten Effekt darstellt: „Die Kur wird
durch eine lakto-vegetabile Kost unterstützt."
Die angeregte Blutzirkulation läßt die Backen aufglühen, dass es dem Therapeuten
eine Freude ist. Die allgemeine Tonisierung greift um sich: Die
hydrotherapeutischen Wässerchen - Whiskey on the rocks, Cuba libre, Vino blanco
- müssen nun reichlich fließen. Homöopathische Dosen sind bei dieser Kur nicht
gefragt. Das Wohlbefinden steigt, die Extremitäten beleben sich und werden
zunehmend virtuos eingesetzt. Die Beine beginnen zu schlackern, die Handarbeit
wird immer besser ausgeprägt. Denn neben dem Glas muss man schließlich auch
noch die bereits erwähnten lakto-vegetabilen Häppchen halten. So laufen die
erfahrenen Kurteilnehmer zu Hochform auf: In einer Hand liegt das Glas, die
Appetitbrötchen sind zwischen Ring- und Zeigefinger geklemmt. Mit der frei
bleibenden zweiten, der sog. Aktionshand, wischt man sich über die vom wild
gewordenen Stoffwechsel schweißtriefende Stirn, bietet der Zufallspartnerin
Zigarettenfeuer oder unterstreicht die Analyse der natürlich immer korrupteren
Landespolitik mit einer vielsagenden Geste.
Die Blitzgußkur im Geiste des großen Wörishofeners strebt ihrem Höhepunkt zu.
Der Lärmpegel im Kurhaus steigt, Stauungen im Blut- und Lymphsystem werden
abgebaut, im Leberbereich kann es freilich zu erwünschten gegenteiligen Effekten
kommen. Mit anderen - sachkundigen - Worten: „Das hydrotherapeutische
Verfahren übt eine tief entspannende und die allgemeine Widerstandsfähigkeit
fördernde Wirkung auf den Organismus aus "
Hier ist allerdings eine ernsthafte Warnung an die Adresse des noch unerfahrenen
Auslandslehrers angebracht, der sich zur Erhaltung seiner Dienstfähigkeit einer
solchen Cocktail-Kur unterzieht: „Gerade Laien neigen dazu, die Maßnahmen zu
übertreiben. Äußerste Vorsicht ist am Platze." Sollte man als Auslandslehrer
Zweifel am rechten Maß der Kurmittel haben, so scheue man sich nicht, einen
Spezialisten von der deutschen Botschaft zu konsultieren, die auch hier wie in allen
Lebensfragen eine wichtige beratende Funktion hat.
Vor allem nach Abschluss des Therapiegeschehens, das in der Regel dann naht,
wenn der Botschafter selbst den Kursaal verlassen hat, empfiehlt es sich, zum
Ausklang erfahrenen Rat einzuholen. Hier werden dem Auslandslehrer wichtige
Empfehlungen zuteilwerden, z. B. diese hier: „Nach der Kneippschen Lehre gilt für
alle Anwendungen: Normalerweise bekleidete, nicht stark behaarte Körperteile
sind nicht abzutrocknen. Mit der flachen Hand streift man sie ab, zieht ein Hemd
über und legt sich dann ins Bett... Mit vollem Magen soll man allerdings keine
Anwendungen durchführen, man soll auch vorher Darm und Blase entleeren."
Herbert Michel
Quelle: “Deutsche Lehrer im Ausland”