Siegfried
Trapp
Willkommen
Bienvenido
Welcome
Aber wie gut sind die Klimapläne der Parteien? Eine erste wissenschaftliche
Einschätzung der diversen Vorschläge zur Weltrettung hat am Mittwoch eine
Tochter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die DIW Econ, im
Auftrag der Stiftung Klimaneutralität vorgelegt. Fazit: Kein Programm liefere
„schlüssige Konzepte“, um den deutschen Anteil am 1,5-Grad-Ziel und die im
Klimaschutzgesetz vom Bundestag beschlossenen Ziele der
Treibhausgasreduktion um 65 Prozent für das Jahr 2030 zu schaffen. Dabei
zeigen sich die Parteien aber sehr unterschiedlich ambitioniert: Grüne und Linke
schneiden am besten ab, die FDP am schlechtesten. Das untere Mittelfeld teilen
sich SPD und CDU/CSU.
Ähnlich wie sonst etwa bei der Bewertung von Rentenkonzepten hat das DIW
Kriterien für eine „Plausibilitätsprüfung“ entwickelt. Ein Punktesystem bewertet,
inwieweit die Vorschläge in den einzelnen Sektoren – Industrie, Strom oder
Verkehr – zu den nötigen CO2-Einsparungen führen. Nicht gewichtet wurde, wie
teuer die Konzepte sind und wie realistisch ihre Umsetzung wäre.
Die höchste Punktzahl (3,6 von 4) bekommen die Grünen, die „in allen Sektoren
konkrete und weitestgehend geeignete Vorschläge präsentieren“ – auch wenn es
nicht für die Ziele des Klimaschutzgesetzes reicht. Die Linke landet auf Platz zwei
(2,6 von 4 Punkten): gute Konzepte für Energie und Verkehr, so das Urteil, aber
blinde Flecken beim CO2-Preis, der Industrie und der internationalen
Klimapolitik. CDU/CSU (1,81 von 4) und SPD (1,79 von 4) seien oft weder konkret
genug, noch eigneten sich die Vorschläge, um die Notbremsung der CO2-
Emissionen bis 2030 zu garantieren. Die Union habe Vorteile bei den Konzepten
für die Industrie, die SPD beim Verkehr.
Die FDP schließlich (1,24 von 4) sei bei internationalen Fragen und dem CO2-
Preis „gut aufgestellt“, vernachlässige aber schnell wirkende Maßnahmen. Die
AfD wurde nicht bewertet, weil ihre Vorschläge nicht systematisch mit den
anderen Parteien vergleichbar seien, hieß es.
Claudia Kemfert, Mitautorin und DIW-Klimaexpertin, sagte, für die Klimaziele
seien „umfassende Maßnahmen erforderlich, die derzeit kaum eine Partei
ausreichend im Wahlprogramm adressiert. Das ist in Summe ungenügend.“ Sie
forderte die Parteien auf, „statt Gespensterdebatten endlich die notwendigen
Inhalte für erfolgreichen Klimaschutz zu liefern“. Regierung und das Parlament
müssten deutlich mehr tun, als bisher in den Wahlprogrammen stehe.
Gesetzespaket für 1,5 Grad
Dafür liegt seit Dienstag von anderer Seite ein dickes Paket auf dem Tisch: Auf
474 Seiten mit 200 konkreten Vorschlägen haben die AktivistInnen der
unabhängigen Organisation GermanZero ein Gesetzespaket geschnürt, mit dem
Parlament und Regierung Deutschland in der kommenden Legislatur auf den
Kurs zum 1,5-Grad-Ziel bringen sollen. „Wir haben getan, was eigentlich der Job
der Politik gewesen wäre“, sagt Mitautorin Lea Nesselhauf, nämlich „ein
ressortübergreifendes Gesetzespaket mit den notwendigen Regulierungen“
entwickelt, um das Pariser Ziel einzuhalten. Über die Ambitionen der Parteien
urteilt sie ähnlich wie Kemfert: Keine Partei, die derzeit im Bundestag sitzt, habe
„die nötigen Emissionsreduktionsziele angesetzt“.
Um das Gesetz zu erfüllen, muss die Regierung mehr tun, als die Parteien
wollen
GermanZero hat für das Konzept über 1.100 Studien ausgewertet und in vielen
Sitzungen Hunderte von Fachleuten befragt. Herausgekommen ist das „weltweit
(…) erste 1,5-Grad-Gesetzespaket“, das eine radikale CO2-Bremse vorsieht. Es
fordert etwa, dass bis 2035 alle CO2-Zertifikate im Emissionshandel der EU und
in Deutschland auf null sinken sollen, danach dürften Industrie,
Stromerzeugung, Verkehr oder Wärmegewinnung kein CO2 mehr emittieren.
Unternehmen sollen bis dahin nur dann weiterhin freie CO2-Zertifikate erhalten,
wenn sie die entsprechende Summe in ihre klimaneutrale Produktion
investieren. Ein Mindestpreis soll CO2 teuer halten, die Einnahmen sollen über
die Krankenkassen an die Bevölkerung zurückgezahlt werden.
Den schnellen Ausbau der Erneuerbaren sollen nach den GermanZero-Plänen
eine „Ausbau-Agentur“ und ein neues „Energiegesetzbuch“ garantieren.
Bürokratie und umweltschädliche Subventionen müssten abgebaut, neue
Ölheizungen ab sofort untersagt, Gas nur als Notfalloption zugelassen werden.
Mit Subventionen, einer Sanierungspflicht und mehr Ausbildung von
HandwerkerInnen soll die Sanierungsquote der Gebäude von derzeit 1 Prozent
auf 4 Prozent gehoben werden. Der Umstieg der Industrie soll mit Zuschüssen
und neuen Absatzmärkten vereinfacht werden.
Autos mit Verbrennungsmotor werden nach diesen Plänen ab 2025 nicht mehr
zugelassen, bei Lkws ist 2030 Ende, 2035 soll kein Diesel, Benzin, Öl und Gas
mehr verkauft werden. Mehr Geld für Busse und Bahnen sollen etwa Citymaut
oder Arbeitgeberabgabe bringen, und im „Deutschlandtakt“ soll auch der
ländliche Raum besser angebunden werden. Schließlich sollen frühere Moore
wieder vernässt werden, die Viehhaltung begrenzt und ein Emissionshandel für
Schlachthöfe und Molkereien dafür sorgen, dass die Treibhausgase auch in der
Landwirtschaft sinken.
„Das Paket muss in der nächsten Legislatur umgesetzt werden, um das 1,5-Grad-
Ziel noch zu halten“, sagt Lea Nesselhauf. Natürlich sei das Konzept flexibel, aber
„wenn eine Maßnahme rausgenommen wird, muss die Emissionsreduktion durch
eine andere Maßnahme erbracht werden“.
Quelle: https://taz.de/Klimaschutz-in-den-Wahlprogrammen/!5797379/