"Ein Konsens ist
unwahrscheinlich"
Vergleiche sind geübte Praxis im
gesellschaftlichen Zusammenleben. Doch
häufig lassen sich Kompromisse nicht so
einfach finden, wie beispielsweise beim
Wunsch nach mehr Geld in
Tarifverhandlungen. Manchmal
polarisiert sich die Interessenlage, das
heißt, die streitenden Parteien beharren
auf Extrempositionen. Das jüngste Beispiel
dazu ist das Projekt "Stuttgart 21". Dass
bei der Schlichtung ein für alle Beteiligten
tragbares Ergebnis herauskommt, sei
wenig wahrscheinlich, so der
Umweltmediator Horst Zillessen im
Gespräch mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Wie muss man sich
den Ablauf einer Mediation
vorstellen?
Horst Zillessen: Zunächst versucht der
Mediator herauszufinden, ob überhaupt
noch eine Verhandlungsmöglichkeit
besteht, also ob der Konflikt dafür geeignet
ist. Mediation ist darauf ausgerichtet, dass
alle Betroffenen die Chance erhalten,
wenigstens einen bestimmten Teil ihrer
Interessen durchzusetzen. Deshalb führt
der Weg des Mediators zunächst zu den
Konfliktparteien. In Vorgesprächen wird
erkundet, ob es eine Bereitschaft gibt, sich
auf das Verfahren einzulassen. Es muss
natürlich überhaupt noch ein
Verhandlungs-spielraum gegeben sein.
tagesschau.de: Kann eine Mediation
in Stuttgart erfolgreich sein?
Zillessen: Was in Stuttgart passiert, ist
keine Mediation im eigentlichen Sinne.
Dort ist ein Vermittler eingeschaltet
worden. Er soll versuchen, einen Konflikt
zu schlichten. Das heißt, letztlich wird es
einen Spruch des Schlichters geben und
nicht eine Entscheidung der
Konfliktparteien. So ist es immer in
Schlichtungs-verfahren üblich,
beispielsweise bei Tarifverhandlungen.
In der Mediation hat der Mediator
überhaupt keine Entscheidungs-befugnis.
Er ist eigentlich nur die Person, die
versuchen soll, die Konfliktparteien dahin
zu führen, dass sie zu einer
einvernehmlichen Entscheidung gelangen.
Insofern ist die Situation in Stuttgart nicht
mit einer Mediation zu vergleichen. Und:
Die Voraussetzungen dafür, dass in
Stuttgart ein wirkliches einvernehmliches
Ergebnis herauskommt, sind
außerordentlich gering.
tagesschau.de: Also warum braucht
man in Stuttgart einen Mediator und
keinen Schlichter?
Zillessen: Eine Schlichtung läuft so ab: Der
Schlichter versucht, in den Gesprächen mit
den unterschiedlichen Parteien Spielräume
zu erkunden. Die führen dann
möglicherweise zu einem Ergebnis, das der
Schlichter den Parteien vorschlägt.
In der Mediation würde ein Mediator die
Parteien an einen Tisch bringen und
versuchen den Hintergrund der Interessen
auszuleuchten. Er würde fragen, was ihnen
wirklich wichtig ist und warum sie eine
bestimmte Entscheidung, so wie sie jetzt
vorgesehen ist, nicht akzeptieren können.
Vor dem Hintergrund der wechselseitigen
Befragung kann der Mediator die Parteien
dazu bringen, sich zu einigen. Diese
Einigung kann oft auch auf sehr
unterschiedlichen Feldern ablaufen. Meist
geht es nicht nur um ein "Ja oder Nein". Oft
sind mehrere Interessen im Spiel, die der
Mediator herausarbeiten muss. Das heißt,
der Mediator versucht Spielräume für
Entscheidungsmöglichkeiten zu erkunden
und gegebenenfalls zu erweitern. Bei
Tarifverhandlungen geht es nur um die
Höhe eines Abschlusses.
tagesschau.de: Wie erfolgreich sind
Mediationen?
Zillessen: Wir haben eine ganze Reihe von
Verfahren durchgeführt. Man kann schon
davon ausgehen, dass auch bei
Großverfahren sehr viele Erfolge erzielt
worden sind oder sich abzeichnen.n Wien
ging es um einen riesigen Konflikt: den
Bau einer dritten Start- und Landebahn.
Zunächst haben wir mit dem Flughafen-
vorstand darüber geredet, wie offen er
überhaupt im Hinblick auf die
Entscheidung "Ja oder Nein" ist und wie er
sich unter welchen Bedingungen verhalten
wird. Als wir festgestellt haben, dass dort
auch Verhandlungsbereitschaft gegeben
ist, führten wir Vorgespräche mit den
einzelnen Konfliktparteien, um zu
erkunden, ob es auch dort eine
Bereitschaft gibt, sich auf eine
Verhandlung einzulassen. Das muss nicht
unbedingt bedeuten, dass die
Flughafengegner in diesem Fall sagen, wir
akzeptieren keine dritte Piste. Es kann
heißen, wir akzeptieren eine dritte Piste,
aber wir akzeptieren sie nur unter
bestimmten Bedingungen.
Ein anderes Beispiel ist Ausbau der
Eisenbahnstrecke im Salzburger Land
durch das Gasteiner Tal, zu dem sich die
österreichische Bundesregierung im
Rahmen der Beitritts-verhandlungen mit
der EU verpflichtet hatte. Dort haben wir
am Ende des Verfahrens ein Bahnfest mit
allen Betroffenen und vielen Einwohnern
des Tales gefeiert, die sich am Anfang
noch vehement gegen Bau ausgesprochen
hatten. Zu Abschluss waren alle mit dem
Ergebnis einverstanden. Das zeigt, auch
bei großen Mediationsverfahren, wenn sie
vernünftig begonnen und von auch
erfahrenen Mediatoren durchgeführt
werden, gibt es eine gute Chance auf
Erfolg.
tagesschau.de: Wie sollte das
Verfahren bei "Stuttgart21"
ablaufen?
Zillessen: Das ist sehr schwer zu
beurteilen. Zunächst einmal müsste Herr
Geißler versuchen, alle Konfliktparteien
danach zu befragen, was ihnen wirklich
wichtig ist. Es geht ja nicht nur um die
Frage Bahnhof oben oder Bahnhof unten,
sondern es geht auch um die Frage des
Wie und der Randbedingungen.
Gleichwohl muss man im Hinblick auf
Stuttgart sagen, dass die Situation schon
so weit fortgeschritten ist. Es ist soviel
Geld investiert, soviel politisches Porzellan
zerschlagen, dass es außerordentlich
fraglich ist, ob dieses Verfahren noch zu
einem einvernehmlichen Ergebnis führen
wird. Ich kann mir vorstellen, dass kleine
Entscheidungsmöglichkeiten noch genutzt
werden können. Das es hier am Ende zu
einem Konsens kommt, bei dem sich die
Parteien auf ein bestimmtes Vorgehen
einigen, sich also auf eine rechtsgültige
Vereinbarung zu verpflichten, das halte
ich für sehr unwahrscheinlich.
tagesschau.de: Ab wann ist ein
Mediationsverfahren sinnvoll?
Zillessen: Mediation sollte möglichst
frühzeitig beginnen. Das große Problem in
Deutschland - im Gegensatz zu Österreich
und der Schweiz - ist, dass Politik und
Verwaltung wenig Bereitschaft zeigen,
betroffene Bevölkerungsgruppen, aber
auch betroffene Organisationen, die sich
für bestimmte Ziele einsetzen, frühzeitig in
die Entscheidungsprozesse einzubinden.
Ein bisschen haben wir immer noch eine
Art obrigkeitsstaatliche Attitüde.
Ich meine damit Politiker und
Verwaltungsbeamte, die, weil sie gewählt
oder im Amt sind, meinen, die
Entscheidungskompetenz alleine zu
besitzen. Diese denken, sie könnten sich
über die Interessen von Betroffenen
hinwegsetzen oder glauben zu wissen, was
die Interessen der Betroffenen sind.
Deshalb ist es auch ein Grundproblem für
Stuttgart, dass viele Entscheidungen zwar
im normalen demokratischen Verfahren
getroffen wurden, aber ohne konkrete
Kenntnis der Interessen derer, die von
einem so riesigen Vorhaben betroffen sind.
Das Interview führte Norbert Illes für tagesschau.de.
Horst Zillessen war Professor für Umweltpolitik und Umweltplanung an der Universität
Oldenburg und Präsident der Hochschule von 1980 bis 1986. Er ist einer der ersten
und erfahrensten Umweltmediatoren im deutschsprachigen Raum. Zillessen wurde
unter anderem beauftragt für die Mediationsverfahren "Bürgerdialog Flughafen Berlin
Brandenburg International", „Eisenbahntrasse Gasteiner Tal", und für das bisher größte
europäische Mediationsverfahren „Ausbau Flughafen Wien".
Siegfried
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