Siegfried
Trapp
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Was ist ein Intellektueller?
Platon war es, der sich einen idealen Staat erträumte, in dem die
Herrscher Philosophen seien und die Philosophen herrschten. Wo alle das
Gute tun, weil sie es als wahr erkennen. Denn niemand handelt wider
besseres Wissen schlecht! Das ist der Urtraum aller Aufklärung, der sich
als ihre Ur-Illusion erwies. Auch Hegel träumte noch diesen Traum vom
zur Vernunft gekommenen Staat - er war der letzte der großen Idealisten.
Der aufgeklärte Herrscher, der nach den Maßgaben der Vernunft regiert -
es blieb ein monarchischer Traum, mit Ständen und Zünften, von der
Revolution der Produktionsweise schnell beiseite gewischt. In der Politik,
dem Kampfplatz der Interessen, erwiesen sich die Philosophen jedoch
sofort als ewige Dilettanten.
Der moderne Intellektuelle, illegitimer Sohn des ausgestorbenen
platonischen Philosophen, ist erst etwas über 100 Jahre alt. Zu seiner
Geburtsstunde wird die Dreyfus-Affaire (1894-1906) in Frankreich und
sein Vater ist Emile Zola mit seinem: ››Ich klage an!‹‹. Dieser
Intellektuelle ist unabhängig, seine Autorität liegt gerade in seiner Ferne
zu dem Staat, den er öffentlich auf die Anklagebank setzt. Romain
Rolland hat in ihm das ››Gewissen Europas‹‹ erblickt. Eine Utopie. Denkt
man an die ››Erklärung der 93‹ von 1914, sieht man auch das Scheitern
dieser Utopie. 4 000 Intellektuelle (die geistige Elite Deutschlands!)
bekannten sich darin zum ››deutschen Krieg‹‹. Die Geschichte der
Intellektuellen ist also immer auch die Geschichte der revoltierenden
wenigen einzelnen, die ihrem Gewissen folgen und der
opportunistischen Mehrheit, die die Stimme des Gewissens in sich
erstickt. Julien Benda hat die Unkorrumpierbarkeit des autonomen
Intellektuellen in ››Der Verrat der Intellektuellen‹‹ (1927) zur
Kardinalfrage ernannt. Der Intellektuelle stehe mit seiner Wahrheit allein
für sich, oder er sei kein Intellektueller, sondern ein Parteigeist.
Gunnar Decker in “Letzte Ausfahrt Ost”, Militzke 2004