Der General mit den zwei Gesichtern Dass Diktatoren umstritten sind, gehört zu ihrem Beruf. Dieser Mann jedoch kämpfte zwei Jahrzehnte darum, kein Diktator mehr zu sein. Und der Disput geht darum, ob er nicht doch zeitlebens einer geblieben ist. «Ich behalte ein grosses Andenken an ‹General Banzer›», sagt eine Frau, die vom Alter her dessen Tochter hätte sein können und bei einer Wahl zur Miss Bolivia den Sieg knapp verpasste; «er war ein sehr zärtlicher, sehr weiser, sehr grosser Mann». Maria Isabel Donoso ist die einstige Geliebte Banzers. Sie hatte sogar ein uneheliches Kind mit dem Mann, der in Bolivien Ordnung schaffen wollte. Als Sohn eines Grossgrundbesitzers wurde Hugo Banzer am 10. Mai 1926 geboren. Seine Vorfahren waren eingewanderte Deutsche und deren Vorfahren nach Preussen emigrierte Schweizer. Hugo trat als Vierzehnjähriger in die Militärschule ein und durchlief eine steile Karriere. Im Alter von 35 Jahren war er Oberst und befehligte ein Kavallerieregiment. An der berühmten US-amerikanischen Militärakademie von Fort Hood hatte er sich zum Spezialisten in Guerillabekämpfung ausbilden lassen und bekam in dieser Sparte genug zu tun. Der kleinwüchsige Soldat betrachtete es als seine Mission, das Land, das mausarm war und an politischen Schüttelfrösten litt, von «Chaos» und «Totalitarismus» zu befreien. Und einem US-Unterstaatssekretär erklärte er, sein Ziel sei, «ein weisses Bolivien» zu schaffen - in den Anden, wo die Bevölkerung mehrheitlich indianischen Ursprungs ist. 1970 tritt Oberst Banzer als Mitglied einer Militärjunta in Aktion, die nach sechs Stunden weggeputscht wird. Drei Monate später ein neuer Coup, der durch den Gegenputsch des linken Generals Juan José Torres Gonzáles zunichte gemacht wird. Banzer reist ins Asyl nach Argentinien, kehrt heimlich zurück und mischt 1971 schon wieder bei einem Putsch mit, der ihn definitiv an die Macht bringt. Die Leibwachen des Ex-Präsidenten Torres und oppositionelle Studenten leisten in den Strassen von La Paz sechzehn Stunden lang Widerstand. In der 146-jährigen Geschichte des Landes war dies - je nach Zählweise - der 185. oder 187. Regierungswechsel. Der gewiefte Taktiker Banzer überstand selber dreizehn Putschversuche und wurde 1978 als einer der amtsältesten Diktatoren Lateinamerikas gestürzt. Der abgesetzte Torres aber wurde während Banzers Regierungszeit von Unbekannten ermordet. Zwei Szenerien charakterisieren Banzers Herrschaft: Im Gefängnis von La Paz, das den eigenartigen Namen Panóptico trägt, sassen oppositionelle Studenten und Gewerkschafter ein - sowie Indio-Bauern, die Coca-Pflanzen angebaut hatten, wie sie es seit Jahrhunderten taten. In derselben Stadt sass im Café «La Paz» regelmässig ein gebürtiger Deutscher, Klaus Altmann, der offensichtlich gern die frische Andenluft atmete. In Wirklichkeit hiess er Klaus Barbie. Er hatte während des Zweiten Weltkriegs als Gestapo-Chef von Lyon die Hinrichtung Tausender französischer Widerstandskämpfer befohlen. Nun war er Regierungsberater im Kampf gegen «Rebellen». Banzer profilierte sich mit seinem Feldzug gegen illegalen Drogenanbau; gleichzeitig aber wurde seine Ehefrau im Volk «la Reina de la Nieve» genannt, die Schneekönigin, was weniger eine Anspielung auf die Bergwelt war als auf den weissen Coca-Puder. Nach seinem Sturz vollzieht Banzer eine erstaunliche Wende. Von nun an versucht er mit legalen Mitteln, das Amt des Staatspräsidenten wiederzuerlangen, über die Mehrheit an den Urnen. Er kandidiert, akzeptiert die Niederlagen, kandidiert wieder. Fünfmal insgesamt. Es erscheint als Obsession. Der General hat die Uniform des Demokraten angezogen. Nach fast zwanzig Jahren erreicht er sein Ziel. 1997 wird Banzer dank einem breiten Parteienbündnis zum Staatschef gewählt. Damit ist er der erste Diktator Lateinamerikas, der auf demokratischem Weg an die Macht zurückkehrt. Und als Demokrat will er vor der Geschichte dastehen, nachdem die Militärdiktaturen ausser Mode gekommen sind. Er präsentiert sich im Amt als der fürsorgliche Grandseigneur, der dem Land Wohlstand und der Nation Versöhnung bringen will. Doch das Volk glaubt's ihm nicht recht. Wieder führt er den Kampf gegen das Rauschgift, wieder bietet er den Indios keine Alternative. Weil der starke Zigarettenraucher an Lungenkrebs erkrankte, trat Banzer 2001 von seinem Amt zurück. Unter Tränen verkündete er: «Meinen politischen Gegnern, denen von früher wie von heute, die sich verletzt fühlen oder die ich verletzt habe, ohne es zu wollen, strecke ich meine Hand hin.» Die NZZ zog eine vernichtende Bilanz seiner zweiten Regierungszeit: «Banzer vor einem Scherbenhaufen in Bolivien», titelte sie. «Glückloses Comeback des Ex-Diktators als Demokrat». Bei seinem Begräbnis zeigte sich ausser dem chilenischen keiner der südamerikanischen Staatschefs. Bestrebungen, Hugo Banzer für frühere Untaten vor Gericht zu bringen, sind durch seinen Tod hinfällig geworden. Willi Wottreng, 12.05.2002 Quelle: https://www.nzz.ch/article85AET-1.392585 
Siegfried Trapp
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Der General mit den zwei Gesichtern Dass Diktatoren umstritten sind, gehört zu ihrem Beruf. Dieser Mann jedoch kämpfte zwei Jahrzehnte darum, kein Diktator mehr zu sein. Und der Disput geht darum, ob er nicht doch zeitlebens einer geblieben ist. «Ich behalte ein grosses Andenken an ‹General Banzer›», sagt eine Frau, die vom Alter her dessen Tochter hätte sein können und bei einer Wahl zur Miss Bolivia den Sieg knapp verpasste; «er war ein sehr zärtlicher, sehr weiser, sehr grosser Mann». Maria Isabel Donoso ist die einstige Geliebte Banzers. Sie hatte sogar ein uneheliches Kind mit dem Mann, der in Bolivien Ordnung schaffen wollte. Als Sohn eines Grossgrundbesitzers wurde Hugo Banzer am 10. Mai 1926 geboren. Seine Vorfahren waren eingewanderte Deutsche und deren Vorfahren nach Preussen emigrierte Schweizer. Hugo trat als Vierzehnjähriger in die Militärschule ein und durchlief eine steile Karriere. Im Alter von 35 Jahren war er Oberst und befehligte ein Kavallerieregiment. An der berühmten US-amerikanischen Militärakademie von Fort Hood hatte er sich zum Spezialisten in Guerillabekämpfung ausbilden lassen und bekam in dieser Sparte genug zu tun. Der kleinwüchsige Soldat betrachtete es als seine Mission, das Land, das mausarm war und an politischen Schüttelfrösten litt, von «Chaos» und «Totalitarismus» zu befreien. Und einem US-Unterstaatssekretär erklärte er, sein Ziel sei, «ein weisses Bolivien» zu schaffen - in den Anden, wo die Bevölkerung mehrheitlich indianischen Ursprungs ist. 1970 tritt Oberst Banzer als Mitglied einer Militärjunta in Aktion, die nach sechs Stunden weggeputscht wird. Drei Monate später ein neuer Coup, der durch den Gegenputsch des linken Generals Juan José Torres Gonzáles zunichte gemacht wird. Banzer reist ins Asyl nach Argentinien, kehrt heimlich zurück und mischt 1971 schon wieder bei einem Putsch mit, der ihn definitiv an die Macht bringt. Die Leibwachen des Ex- Präsidenten Torres und oppositionelle Studenten leisten in den Strassen von La Paz sechzehn Stunden lang Widerstand. In der 146-jährigen Geschichte des Landes war dies - je nach Zählweise - der 185. oder 187. Regierungswechsel. Der gewiefte Taktiker Banzer überstand selber dreizehn Putschversuche und wurde 1978 als einer der amtsältesten Diktatoren Lateinamerikas gestürzt. Der abgesetzte Torres aber wurde während Banzers Regierungszeit von Unbekannten ermordet. Zwei Szenerien charakterisieren Banzers Herrschaft: Im Gefängnis von La Paz, das den eigenartigen Namen Panóptico trägt, sassen oppositionelle Studenten und Gewerkschafter ein - sowie Indio- Bauern, die Coca-Pflanzen angebaut hatten, wie sie es seit Jahrhunderten taten. In derselben Stadt sass im Café «La Paz» regelmässig ein gebürtiger Deutscher, Klaus Altmann, der offensichtlich gern die frische Andenluft atmete. In Wirklichkeit hiess er Klaus Barbie. Er hatte während des Zweiten Weltkriegs als Gestapo-Chef von Lyon die Hinrichtung Tausender französischer Widerstandskämpfer befohlen. Nun war er Regierungsberater im Kampf gegen «Rebellen». Banzer profilierte sich mit seinem Feldzug gegen illegalen Drogenanbau; gleichzeitig aber wurde seine Ehefrau im Volk «la Reina de la Nieve» genannt, die Schneekönigin, was weniger eine Anspielung auf die Bergwelt war als auf den weissen Coca-Puder. Nach seinem Sturz vollzieht Banzer eine erstaunliche Wende. Von nun an versucht er mit legalen Mitteln, das Amt des Staatspräsidenten wiederzuerlangen, über die Mehrheit an den Urnen. Er kandidiert, akzeptiert die Niederlagen, kandidiert wieder. Fünfmal insgesamt. Es erscheint als Obsession. Der General hat die Uniform des Demokraten angezogen. Nach fast zwanzig Jahren erreicht er sein Ziel. 1997 wird Banzer dank einem breiten Parteienbündnis zum Staatschef gewählt. Damit ist er der erste Diktator Lateinamerikas, der auf demokratischem Weg an die Macht zurückkehrt. Und als Demokrat will er vor der Geschichte dastehen, nachdem die Militärdiktaturen ausser Mode gekommen sind. Er präsentiert sich im Amt als der fürsorgliche Grandseigneur, der dem Land Wohlstand und der Nation Versöhnung bringen will. Doch das Volk glaubt's ihm nicht recht. Wieder führt er den Kampf gegen das Rauschgift, wieder bietet er den Indios keine Alternative. Weil der starke Zigarettenraucher an Lungenkrebs erkrankte, trat Banzer 2001 von seinem Amt zurück. Unter Tränen verkündete er: «Meinen politischen Gegnern, denen von früher wie von heute, die sich verletzt fühlen oder die ich verletzt habe, ohne es zu wollen, strecke ich meine Hand hin.» Die NZZ zog eine vernichtende Bilanz seiner zweiten Regierungszeit: «Banzer vor einem Scherbenhaufen in Bolivien», titelte sie. «Glückloses Comeback des Ex-Diktators als Demokrat». Bei seinem Begräbnis zeigte sich ausser dem chilenischen keiner der südamerikanischen Staatschefs. Bestrebungen, Hugo Banzer für frühere Untaten vor Gericht zu bringen, sind durch seinen Tod hinfällig geworden. Willi Wottreng, 12.05.2002 Quelle: https://www.nzz.ch/article85AET-1.392585 
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