Die Kontinentdurchquerung
Nach einigem Zaudern fahren wir am 12.12.2001 über Oruro nach Potosí.
Ungefähr 50 km nach Challapata endet der Asphalt, und es beginnt bereits die
Staubpiste.
Schöne Landschaft mit nasser und grüner und roter Erde. Bei Ankunft ist
Potosí dunkel und trist, mit engen Gassen und muffigen Unterkünften.
Im Sonnenschein am nächsten Morgen ist Potosí um einiges
schöner.
Auf der Staubpiste fahren wir an Kakteen und Churqui-
Dornbüschen vorbei Richtung Grenzort Villazón. Dabei passieren
wir Tupiza. Dort starben 1908 Butch Cassidy und Sundance Kid.
Wer sich für deren Geschichte interessiert:
Wir übernachten in dem trostlosen argentinischen Grenzort La Qiaca.
Am nächsten Morgen brechen wir nach Salta auf. Zwischen El Carmen und
Salta ist ein landschaftlich sehr reizvolles einspuriges Sträßchen über Berge.
Salta hat trotz 360 000 E. ein provinzielles Flair, ein sehr angenehmes Klima
von 25°C, nette Leute, und kurz vor dem wirtschaftlichen
Zusammenbruch Argentiniens wie überall im Land unangemessene
und überzogene Preise. Nach zwei Tagen Aufenthalt fahren wir
weiter nach Saenz Peña, siebenhundert Kilometer schnurgerade
durch eintönige Chaco-Landschaft. Über eine Strecke von etwa
100 km fliegen weiße Schmetterlinge zu Hunderttausenden über
die Straße. Bei 400 an die Windschutzscheibe geklatschten hören
die Kinder auf zu zählen. Die Außentemperatur erreicht am
Nachmittag 31°C.
Am nächsten Vormittag wird die Brücke, die zwischen den Städten Corrientes
und Resistencia über den Rio Paraná führt, bestreikt. Das würde einen Umweg
von etwa 500 km bedeuten. Obwohl die meisten Fahrer umdrehen, warten wir
ab und haben das Glück, schon nach einer Stunde passieren zu können.
Zwischen Corrientes und San Ignacio de Mini ist eine schöne Parklandschaft
mit vielen blauen Seen. In San Ignacio steigen wir in der "Pension Alemán
Salpeterer" ab; sehr basic.
In San Ignacio befinden sich eindrucksvolle Ruinen einer
Jesuitenmission. Sie wurde 1696 gegründet Wir durchstreifen sie
bei 32°C im Schatten. Die Dächer sind längst verschwunden; nur
noch die teils meterdicken Mauern aus dem roten oder gelben
Sandstein vom Rio Paraná stehen noch (wer sich für die
Geschichte der Missionen interessiert: ).
Von San Ignacio führt die Fahrt durch eine Berg-und Tallandschaft mit
tiefroter Erde zur argentinisch-brasilianischen Grenze. Auf der andren Seite
der Grenze liegt Foz do Iguaçu.
Einige Kilometer vor den Wasserfällen besuchen wir den "Parque das Aves",
der uns fast noch mehr beeindruckt als die weltberühmten Wasserfälle.
Iguaçu stammt aus der Sprache der Guarani-Indigenas: I ist Wasser und
guaçu bedeutet groß. Die Fälle liegen auf der Grenze zwischen Argentinien
und Brasilien. Auf der brasilianischen Seite bekommt man einen Eindruck von
der Größe de Fälle, der größten ganz Südamerikas Der Hauptfall ist 20 m
höher als der Niagara-Fall; insgesamt gibt es 275 Fälle über eine Front von
etwa 2500 m. Sie sind umringt von tropischer Natur mit Orchideen, Farnen,
Palmen, Begonien, Tukanen, Papageien, Eidechsen.
Die anschließende Fahrt von den Fällen zur brasilianischen Küste, zum
Atlantik, dauert zwei Tage und ist relativ langweilig, mit fast perfektem
Asphalt, zum ersten Mal hoher Verkehrsdichte und vor allem vielen LKWs.
Zwischen São Francisco do Sul und Floreanoplois ist die Küste in weiten Teilen
von Appartmentbungalows der Begüterten aus Curitiba, São Paulo, Rio de
Janeiro und Porto Alegre wie mit Schwären bedeckt. Es gibt
nur wenige Hotels, die dann eine abenteuerliche Preis-
Leistungsrelation aufweisen. In Estaleiro finden wir eine
hübsche Bucht.
Nach etwa 3970 zurückgelegten Kilometern wollen wir einige Tage Bade- und
Leseurlaub einlegen.
In dieser kleinen Bucht treffen wir durch einen schier unglaublichen Zufall auf
Kollegen und Freunde aus La Paz. Diese waren mit zwei Jeeps zwei Wochen
früher auf einer ganz anderen Route nach Brasilien aufgebrochen, viel weiter
nördlich, unter Umgehung von Argentinien und Paraguay. Wir verbringen den
Heiligabend miteinander.
Am ersten Weihnachtsfeiertag beginnt das sehr traurige Kapitel der Reise.
Während Andrea, Alex und Siegfried in unserer Pousada "Costão do Sol"
bleiben, fahren die Anderen zum benachbarten Badeort Bombinhas. Nicht weit
von Johannes wird unsere liebe Freundin Marlies auf ihrem Surfbrett von einer
Welle so unglücklich gegen den Boden gedrückt, dass sie einen Halswirbel
bricht und Quetschungen des Rückenmarks im Lendenbereich, die eine
Querschnittslähmung auslösen, erleidet. Sie wird in ein Krankenhaus in
Joinville gebracht und am zweiten Tag nach dem Unfall operiert. Wir ziehen
alle nach Joinville um.
Joinville (350 000E.) wurde wie das zwei Stunden entfernte Blumenau von
Deutschen gegründet. Im Stadtkern tragen die Straßenschilder noch die alten
Namen: Schulstrasse, Ziegeleistrasse, Mittelweg usw.
Marlies wird, zusammen mit ihrer Familie, nach Deutschland geflogen, sobald
sie transportfähig ist. Eberhard und Sissy fahren ihr Auto nach La Paz zurück.
Wir wollen uns mit ihnen in Formosa, Argentinien treffen.
Nach zwei Tagen in Joinville verlassen wir die Stadt und die brasilianische
Küste.
Die Stimmung ist einfach den Umständen entsprechend, und die sind sehr
traurig.
Um die langweilige Strecke Curitiba - Foz do Iguaçu zu vermeiden fahren wir
über die Dörfer; kurviger, interessanter, gute "Lonchonettes" zum Essen. Wir
übernachten in Pato Branco, weiße Ente, einer Stadt, die ganz offensichtlich
nur aus Geschäften für Autoersatzteile besteht.
Der paraguayische Grenzort Ciudad del Este macht einen schäbigen und
gefährlichen Eindruck. Wir fahren weiter Richtung Encarnación bzw. der in der
Nähe von Trinidad gelegenen Jesuitenmissionen. Nach 700 km werden wir im
Hotel "Papillon" in Bellavista an der Rezeption auf deutsch begrüsst. Das
Hotel, von der Straße aus unscheinbar, erweist sich als das beste
der ganzen Reise, mit einem weitläufigen Garten voll Blüten
und Duft, einem sehr schönen Pool, einem exzellenten
Restaurant und hervorragendem Service. Wir beschließen
dort einige Tage zu verbringen und nehmen auch an der
Sylvesterfeier in der illuminierten Gartenanlage teil, wo auf
den Schildern der reservierten Tische viele deutsche Namen stehen:
Bewohner der umliegenden Kolonien, darunter z.B. die Kolonie Hohenau. Die
Deutschen und die Schweizer sind in der dritten Generation hier, die Kinder
sprechen immer noch deutsch, und es werden deutsche Schulen in der
Umgebung erhalten, zum Teil sogar mit deutschen Lehrern, die die dort
ansässigen selbst finanzieren.
Obwohl etwas "Chuchaqui", steht am Neujahrstag die Jesuitenmission Trinidad
auf dem Programm.
Da wir wie stets morgens nicht rauskommen, sind wir zwischen halb zwölf und
zwei dort unterwegs, bei 35°C im Schatten. Schatten gibt´s übrigens zu
dieser Zeit nicht in dieser Jesuitenreduktion.
Sie wurde zwischen 1706 und 1760 erbaut und beeindruckt
durch ihre Größe und ihre Reliefs.
Über Encarnación und San Ignacio Guazu (Besuch des Jesuitenmuseums)
fahren wir nach Asunción, der Hauptstadt Paraguays. Wir bleiben zwei Tage,
obwohl die Stadt einen heruntergekommenen Eindruck macht: run down. Mit
Einbruch der Nacht wird die Stadt trotz tropischer
Temperaturen (nachts 24°C, nachmittags 37°C) fast
schlagartig leer, es ist dunkel und schmutzig auf den
Straßen, und man sieht fast nur noch Wachpersonal und
patroullierende Polizeijeeps. Nach 12 Jahren in
südamerikanischen Städten fühlt man regelrecht eine
kriminelle Atmosphäre.
Wir überqueren erneut eine Grenze, die vierte von sieben, und fahren nach
Formosa/Argentinien. Dort hat es am späten Nachmittag 41°C im Schatten.
Im Park der Plaza veranstalten Insekten ein Konzert von einer Lautstärke, die
auch für Tropenerfahrene absolut ungewöhnlich ist.
Vor den Geldautomaten stehen Schlangen von 20 bis 60 Menschen. In den
letzten zwei Wochen sind in Argentinien 5 Präsidenten vereidigt worden, und
es existieren 4 Währungen nebeneinander. Pro Woche dürfen nur 250 Pesos
abgehoben werden, niemand hat Bargeld, und alle Angst vor einer Inflation.
Nach 10 Stunden Regen sinken die Temperaturen auf angenehme 24°C, und
wir sehen uns mit den Kindern "Harry Potter y la piedra filosofal" im cine
"Italia" an.
Nach zwei Nächten in Formosa tauchen unsere Freunde mit dem
mitgebrachten Jeep der Verunglückten auf. In eins der Fahrzeuge wurde
versehentlich Diesel eingetankt, was eine Verzögerung von einem halben Tag
nach sich zog. Wir fahren gemeinsam los, schnurgerade nach Nordnordwest,
durch eine flache Landschaft mit Palmen. In Las Lomitas übernachten wir,
nachdem wir im Beisein von Miriaden von Insekten zum Abendessen
empanadas im Freien verzehrt hatten.
Hinter Las Lomitas beginnt die Erdpiste richtig. Eine
feuchttümpelartige Landschaft mit vielen Flaschenbäumen.
Zahlreiche Zeburinder, teils mächtige Bullen,
versperren uns die Straße. Kurz vor dem Ort "Ing.
Juarez" stecken zwei Tanklastwagen mit Anhängern
im Morast fest. Wir kommen
glücklicherweise neben der Straße
an ihnen vorbei und ziehen uns auch keine Dornen
in die Reifen.
Auch hier säumen hunderte von weißen Schmetterlingen die Wasserpfützen.
Übernachtung in San José de Ramon, Argentinien.
Wieder in Bolivien, wird die Landschaft schlagartig
abwechslungsreicher, mit Bergen und Flüssen. Dafür werden
die Straße und die Autofahrer genauso schlagartig schlechter.
Tarija ist ein nettes Städtchen mit angenehmem Klima und
guten italienischen Kneipen, wie es sie in La Paz nicht gibt.
Die anvisierten Sehenswürdigkeiten fallen großenteils aus: Die Casa
Dorada, die Protzvilla des ehemaligen Im-und Exporthändlers
Moisés Navajas, deren Putz aus Silber und Gold besteht, wird
gerade renoviert, und sein Wochenendhaus, die Casa Azul, wird
von jemand in Privatbesitz bewohnt. So schauen wir uns nur das
paläontologische Museum mit seinen Skeletten und Skelettteilen
von Riesengürteltier, Mastodon, Säbelzahntiger und einiges mehr
an, alles nicht unter Glas, für die Einheimischen zum Anfassen.
Nach 25 Tagen in Sandalen zwängen wir uns wieder in festes Schuhwerk, um
uns auf das kalte Potosí vorzubereiten. Obwohl für die 380 km Bergpiste 10
bis 14 Stunden veranschlagt sind, wollen wir versuchen, es an einem Tag zu
schaffen.
Nach 50 km lässt sich die Hecktür eines Jeeps nicht mehr schliessen; wir
zurren sie mit Spannriemen fest, auf der
trockenen Piste dringen große Mengen
Staub ins Wageninnere. Dann hat der
nächste Jeep einen Platten. Beim Flicken
des Reifens in Villa Abécia hat wieder der
erste Jeep einen Plattfuß. Potosí ist nicht
mehr zu schaffen. Wir übernachten in Camargo.
Zwischen Tarija und Camargo liegt das bedeutenste
Weingebiet Boliviens, so dass es nicht verwundert,
dass wir nach einer Weinprobe nebst ein paar Flaschen Singani auch
Cognac und 15L Portwein sowie 10L Quittenlikör erstehen.
Nach einem Beinahe-Kreislaufkollaps von einem der Teilnehmer und einem
weiteren Platten auf der einzigen und Hauptverkehrsstraße zwischen Tarija
und Potosí langen wir bei Sonnenschein und erstaunlich
angenehmen Temperaturen wieder in 4000m Höhe an. Die
Stadt wird vom Silberberg Cerro Rico dominiert,
Wer sich für die Geschichte des Cerro Rico und
Potosís interessiert:
Am 32. Tag beginnt die Rückfahrt nach La Paz.
Zwischen Potosí und Oruro, im Indigena-
Bergwüsten-Marktflecken Ventilla, gibt es
schöne Aguayos zu kaufen, nach entsprechendem Handeln.
Bolivien ist schließlich für seine Webkunst bekannt.
Nach 7930 km sind Illimani und schließlich La Paz in Sichtweite. Um
17 Uhr essen wir im "Reineke Fuchs" zu Abend.
Die Kontinentdurchquerung, eigentlich zweimalige Durchquerung, ist jedoch
noch nicht erreicht.
Nach ein paar Tagen Pause brechen wir
nach Ilo/Perú auf. Ilo ist eine
Wüstenstadt am Pazifik, die uns trotz
oder wegen der Kargheit anzieht. Ilo ist
da zum Lesen, zum am Strand
spazieren, zum auf´s Meer schauen, und um Meeresfrüchte zu
sehr akzeptablen Preisen zu
essen.
Am 24.2.2002 endet die Reise in der Südzone von La Paz.
Siegfried
Trapp
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