Siegfried
Trapp
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Atombombenexplosionen von 1945 bis 1998
German Angst
Mit den komplementären Stereotypen German Angst (englisch, etwa:
„typisch deutsche Zögerlichkeit“) und German assertiveness (etwa:
„typisch deutsche Überheblichkeit“) werden als charakteristisch
empfundene, gesellschaftliche und politische, kollektive
Verhaltensweisen der Deutschen bezeichnet.
Der Begriff Angst, der sich ähnlich wie Weltschmerz in der englischen
Sprache eingebürgert hat (Germanismus), bezeichnet hier entweder
eine generalisierte Angststörung, eine unbegründete diffuse Furcht oder
ein nur ostentativ vorgetragenes „Leiden an der Welt“. Das auf den
deutschen und niederländischen Sprachraum beschränkte Substantiv
„Angst“ wurde 1844 von Søren Kierkegaard in die philosophische
Diskussion eingeführt, ist also nur über die etymologische Wurzel
„typisch deutsch“. Über Kierkegaard gelangte der Begriff in den
Existentialismus zu Martin Heidegger, Jean-Paul Sartre und Karl
Jaspers.
Beispiele der Stereotypen German Angst
Als Beispiel für den Stereotyp German Angst wurde Angst vor der
Nuklearkatastrophe von Fukushima genannt. Zuletzt wurde auch im
Kontext der COVID-19-Pandemie in Deutschland vielfach auf einen
Zusammenhang zwischen German Angst und der deutschen Reaktion
auf das Pandemiegeschehen verwiesen.
Im Zusammenhang mit der 2007 eingetretenen Finanz- und
Wirtschaftskrise stellte Ulrich Greiner im Mai 2009 fest, dass von
„German angst“ und deutschen „hysterischen Erscheinungen“ im
Unterschied zu Nachbarländern wie England und Frankreich nichts
Besonderes mehr zu vermerken sei. Es sehe so aus, „als müssten die
Deutschen ihr Bild von sich revidieren“. Als Erklärung bietet Greiner die
Beobachtung an, dass „die Masse als unheimliches Tier, als politisch
explosive Macht, […] wenn auch nicht verschwunden, so doch vom
allgemeinen Prozess der Individualisierung geschwächt worden“ sei. Der
Historiker Frank Biess sah 2021 einen Zusammenhang mit vergangenen
Angst schürenden Ereignissen, die ins kollektive Gedächtnis der
deutschen Gesellschaft eingegangen sind.
Rezeption in Wissenschaft und Literatur; Angst als Charakteristikum
von Deutschen in der literarischen Darstellung
Der amerikanische Schriftsteller Thomas Wolfe, Sohn eines
deutschstämmigen Vaters, besuchte 1936 zum wiederholten Mal
Deutschland, woraus in seinem posthum 1940 veröffentlichten Roman
`Es führt kein Weg zurück´ das vorletzte und wichtige Teile des
Schlusskapitels gestaltet sind. In Deutschland wurde Wolfe als 36-
Jähriger erstmals mit seinem Roman `Schau heimwärts, Engel´ einem
größeren Publikum bekannt. Der Erzähler seines Romans, George
Webber, zeigt sich ganz überrascht und betroffen davon, wie viele
Menschen ihn um die Jubelveranstaltung der Olympischen
Sommerspiele in Berlin herum ins Vertrauen ziehen und ihm ihre
Gestimmtheiten wiedergeben:
„Ihm wurde klar, dass diese ganze Nation von der Seuche einer
ständigen Furcht infiziert war: gleichsam von einer schleichenden
Paralyse, die alle menschlichen Beziehungen verzerrte und zugrunde
richtete. Der Druck eines ununterbrochenen schändlichen Zwanges
hatte dieses ganze Volk in angstvoll-bösartiger Heimlichtuerei
verstummen lassen, bis es durch Selbstvergiftung in eine seelische
Fäulnis übergegangen war, von der es nicht zu heilen und nicht zu
befreien war. […] Im Lauf dieser Sommerwochen und -monate
bemerkte George überall ringsum die Merkmale der Zersetzung und des
Schiffbruchs eines großen Geistes. Die giftigen Ausstrahlungen von
Unterdrückung, Verfolgung und Angst verpesteten die Luft wie
ansteckende Miasmen und besudelten, verseuchten und vernichteten
das Leben aller Menschen, die George kannte.“
– Thomas Wolfe: Es führt kein Weg zurück
Curzio Malaparte entwarf in seinem 1944 erschienenen Roman
`Kaputt´ ebenfalls ein Bild von angstvollen Deutschen, aber jetzt von
Soldaten, und zwar vor dem Hintergrund einer Kriegserfahrung, die im
Osten den geplanten „Blitzkrieg“ hat scheitern sehen, so dass sich für
die Soldaten ein so nicht erwarteter totaler Vernichtungskrieg
entwickelte:
„Die Offiziere schauten die Soldaten an und die auf die Erde geworfenen
Gewehre und sagten nichts. Nunmehr war der Blitzkrieg beendet, jetzt
begann der ‚Dreißigjährige Blitzkrieg‘; der gewonnene Krieg war zu
Ende, jetzt begann der verlorene Krieg. Und ich beobachtete, wie in der
Tiefe der erloschenen Augen der deutschen Offiziere und Soldaten der
weiße Fleck der Angst geboren wurde, ich sah, wie er nach und nach
wuchs, sich ausbreitete, die Pupille anfraß, die Wurzeln der Wimpern
verbrannte, und die Wimpern fielen eine nach der anderen, wie die
langen gelben Wimpern der Sonnenblumen. Wenn der Deutsche
beginnt, Angst zu haben, wenn sich ihm die geheimnisvolle deutsche
Angst ins Gebein schleicht, dann erst erregt er Schrecken und
Mitgefühl. […] Und gerade dann wird der Deutsche gefährlich.“
– Curzio Malaparte: Kaputt
Angst im „Europäischen Bürgerkrieg 1914–1945“
Der Erste Weltkrieg war nach dem US-amerikanischen Historiker Arno J.
Mayer Ergebnis einer allgemeinen Krise, die ganz Europa in einer
„Décadence“- und „Fin-de-siècle“-Stimmung ergriffen hatte. Die
europaweit immer noch herrschenden alten Eliten des Ancien Régime
hätten sich in ihrer privilegierten Stellung durch „das Tempo der
kapitalistischen Entwicklung, die revolutionäre Gesinnung des
Proletariats, die Verletzlichkeit des staatlichen Ordnungsapparats und
die Verselbständigungstendenzen des Industrie- und
Bildungsbürgertums“ bedroht gesehen. Die sich daraus ergebende
„große Angst“ habe dann die Herrschenden „zur Idee eines präventiven,
‚reinigenden‘ Krieges“ geführt.
Der Politikwissenschaftler Enzo Traverso widmet in seinem 2007
erschienenen Buch `A feu et à sang. De la guerre civile européenne
1914–1945´ ein Kapitel der Beschreibung der Angst, deren Wurzeln für
das Klima in den Zwischenkriegsjahren er vor allem in der Erfahrung
des Ersten Weltkrieges gegeben sieht. Sie finde ihren Ausdruck unter
anderem in Werken von Erich Maria Remarque (Im Westen nichts
Neues), von Ernst Jünger (In Stahlgewittern) oder von Louis-Ferdinand
Céline (Reise ans Ende der Nacht). Diese Angst sei dann vom
Faschismus für seine Zwecke instrumentalisiert worden:
„Der Faschismus hat den Mythos von der bolschewistischen Bedrohung
auf die Unruhe und Unsicherheit gepfropft, die sich in den europäischen
Gesellschaften nach dem „Großen Krieg“ ausgebreitet hatten. Er formte
die Angst – die die Psychoanalyse als ein Gefühl von Furcht beschreibt,
das unfähig ist, ein Ziel zu finden – in die Furcht vor einem konkreten
Feind um: dem Kommunismus und der Revolution.“
– Traverso
Der Faschismus habe dann ein Männerbild verherrlicht, das Angst in
Außenseiterfiguren gebannt habe, die als verweiblicht, hysterisch,
jüdisch, insgesamt als degeneriert galten.
Angst und Politik bei Franz Neumann
Während sich bei Malaparte im verallgemeinernden Fremdstereotyp
Züge eines Feindbildes andeuten – worauf er es allerdings nicht
abgesehen hat, weil er ausschließlich von deutschen Soldaten in einer
bestimmten Situation ausgeht –, schließt Th. Wolfe an seine
Schilderungen des Angstverhaltens von Deutschen eine Analyse
amerikanischer Befindlichkeit an:
„So wurde mir in der Fremde, unter diesen tief bewegenden, Besorgnis
und Abscheu erregenden Umständen zum erstenmal richtig klar, wie
schlecht es um Amerika stand; ich erkannte auch, dass es an einer
ähnlichen Krankheit wie Deutschland litt und dass diese Krankheit als
eine furchtbare seelische Seuche die ganze Welt beherrschte.“
– Wolfe
In einem 1954 veröffentlichten Aufsatz `Angst und Politik´ geht der
deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Franz Neumann
(1900–1954) von den vier Freiheiten aus, die Franklin D. Roosevelt am
6. Januar 1941 zu seinem Programm gemacht hatte: Meinungsfreiheit,
Religionsfreiheit, ökonomische Sicherheit und Freedom from Fear,
Freiheit von Furcht. Neumanns These zu Zeiten des Kalten Krieges ist,
das Ende des Zweiten Weltkrieges habe „die Angst nicht aus der Welt
verschwinden lassen. Sie ist, im Gegenteil, noch größer geworden und
beginnt, Nationen zu paralysieren und Menschen unfähig zu machen,
sich frei zu entscheiden.“ Während er in Terror, Propaganda, in
gemeinsam begangenen Verbrechen und in der Führeridentifizierung die
Methoden ausmacht, mit der Angst politisch institutionalisiert wird,
sieht er Deutschland nicht so gefährdet, „weil die historische Erfahrung
trotz aller Versuche, die Erinnerung an den Nationalsozialismus zu
verdrängen, doch recht stark nachwirkt“.
Quelle: verkürzt nach https://de.wikipedia.org/wiki/German_Angst#:~:text=7%20Einzelnachweise-
,Herkunft,%E2%80%9ELeiden%20an%20der%20Welt%E2%80%9C.