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Erz der Finsternis
Warum auch in deinem Handy ein Stück Krieg steckt
Oliver Gehrs
„Afrikanischer Weltkrieg“ – das klingt erst mal widersprüchlich, allerdings
trifft es die Katastrophe, die sich von 1998 bis 2003 in der Demokratischen
Republik Kongo ereignete, ganz gut. So waren neben vielen Nachbarstaaten
auch nichtafrikanische Länder beteiligt, und die Zahl der Opfer war mit
geschätzten drei Millionen so hoch wie in kaum einem anderen Konflikt nach
dem Zweiten Weltkrieg.
Bereits 1994 waren Hunderttausende nach dem Völkermord der Hutu an den
Tutsi aus Ruanda geflüchtet (siehe auch S. 20), darunter auch viele Täter des
Genozids, woraufhin die Auseinandersetzungen im Osten des Kongo weiter
gingen. Dort verfolgten u.a. von der neuen Tutsi-Regierung in Ruanda unter-
stützte Gruppen Angehörige der Hutu. Der kongolesische Rebellenführer
Laurent-Désiré Kabila stürzte schließlich 1997 mit ruandischer Hilfe den
ungeliebten Diktator Mobutu. Nach seiner Machtergreifung wandte sich Kabila
von Ruanda ab und fand mit Simbabwe, Angola und Namibia neue
„Verbündete“ im Kampf gegen oppositionelle Verbände, die wiederum von
Uganda und Ruanda unterstützt wurden.
Wie in vielen Kriegen in Afrika sorgten die Rohstoffe des Landes mit dafür,
dass der Konflikt eskalierte – weil die Kriegsparteien ihre Waffen mit den
Erlösen aus dem Handel finanzierten. So kämpften die Rebellenarmeen im
Ostkongo nicht nur um politische Macht, sondern auch um den Zugang zu den
Diamanten- und Goldminen. Besondere Bedeutung hatte auch das Mischerz
Coltan, aus dem Tantal gewonnen wird – unter anderem für Kondensatoren in
Handys, Spielkonsolen und Laptops. Weil wertvolle Rohstoffe in Afrika oft
nicht zum Reichtum eines Landes beitragen, sondern, im Gegenteil, zu
Kriegen, Korruption und einer einseitigen Ausrichtung der Wirtschaft führen,
spricht man auch vom Rohstofffluch und im Fall von Coltan von einem
Konfliktmineral.
In der Geschichte der Demokratischen Republik Kongo spielten Rohstoffe
schon früh eine verhängnisvolle Rolle. Ab 1885 war das Land quasi eine
Privatkolonie des belgischen Königs Leopold II., der von dort erst Elfenbein,
später vor allem Kautschuk exportierte. Die Gräueltaten in dieser Zeit – selbst
Kindern wurden Hände abgehackt, wenn sie nicht genügend Kautschuk aus
dem Urwald holten – inspirierten den Schriftsteller Joseph Conrad zu seinem
Roman „Herz der Finsternis“.
1960 wurde der Kongo unabhängig, doch die Geschichte wiederholte sich: Von
1965 bis 1997 regierte der Diktator Mobuto, der das Land in Zaire umbenannte
und sich selbst in Sese Seko Kuku Ngbendu wa za Banga, übersetzt in etwa:
„der pfeffrige, siegreiche Krieger, der Hahn, der keine Henne in Ruhe lässt“.
Trotz aller Menschenrechtsverletzungen unterstützten die USA und andere
westliche Nationen Mobutu, damit er die Rohstoffe seines Landes nicht an die
Sowjetunion lieferte. Der Kalte Krieg fand also auch in Afrika statt.
Mobutus Nachfolger Laurent Kabila wurde 2001 in der Hauptstadt Kinshasa
erschossen, sein Sohn Joseph ohne demokratische Legitimation zum neuen
Präsidenten ernannt – ein Amt, das er auch nach dem Friedensschluss 2003
weiter bekleidete. Wobei Frieden im Kongo ein relativer Begriff ist. In der im
Osten des Landes gelegenen Provinz Nord-Kivu fand von 2006 bis 2009 ein
weiterer Krieg statt, im Grunde schwelt der Konflikt bis heute. Und es ist nicht
unwahrscheinlich, dass das Coltan in unseren Handys weiterhin dazu beiträgt,
ihn am Leben zu erhalten.
Quelle: fluter Sommer 2016/Nr. 59