Siegfried Trapp
Willkommen Bienvenido Welcome  
Suche auf den Seiten von strapp.de:
© strapp 2023
Debatte Wirtschaft und Wachstum: Der grüne Osterhase Es gibt keine Entkopplung von Wachstum und planetarischer Zerstörung, weshalb es auch keine politische Umsteuerung geben kann. Aber es gibt Rettungsboote. Ökonomische Transformation: Grünes Wachstum oder Degrowth? Foto: Archiv Von NIKO PAECH In einem Beitrag in der vorhergehenden Ausgabe von taz FUTURZWEI (Nr. 23) referiert der Politologe Martin Unfried aktuelle Vorschläge zur klimagerechten Transformation moderner Ökonomien. Beginnend mit der Position des grünen Wachstums legt er deren Vertretern nahe, sie mögen »die Schwachstellen des eigenen Ansatzes offen benennen und mögliche Lösungen diskutieren«. Zu Recht verweist er dabei auf die misslingende Entkopplung wachsenden Wohlstandes von Umweltschäden. Aber insoweit grünes Wachstum in nichts anderem besteht als eben darin, steigende Güterproduktion ökologisch zu entkoppeln, strandet diese Empfehlung in einem Zirkelschluss. Denn ebenso ließe sich dann die Nichtexistenz des Osterhasen als dessen Schwachstelle identifizieren, für die Lösungen zu suchen wären. Das Problem des grünen Wachstums liegt also eher in der Fortschrittsgläubigkeit jener, die an dieser allen Naturgesetzen widersprechenden Absurdität weiter festhalten. Sodann werden einige wachstumskritische Veröffentlichungen ins Visier genommen. Ihnen fehle es an konkreten Umsetzungsperspektiven, insbesondere einer »ausgearbeiteten Makroökonomie«, um ein »stabiles Nicht-Wachsen« steuern zu können. Offensichtlich übersieht Martin Unfried, dass längst makroökonomische Modelle vorliegen, die eine Degrowth-Strategie als stabilen Entwicklungspfad darstellen. Das Problem bestand nie darin, Postwachstumsszenarien herauszuarbeiten, die sich in politische Maßnahmen überführen lassen, sondern in den unvermeidbaren Folgen für den vorherrschenden Lebensstil. Denn auch mit einer ausgeklügelten Makroökonomik lässt sich weder die Physik noch die Wählermehrheit überlisten. Ohne die Letztere ist eine zentral koordinierte Degrowth-Strategie aber nicht demokratisch zu rechtfertigen. Wenn kein technologisches Entkopplungswunder zu erwarten ist, folgt daraus neben der Notwendigkeit einer Postwachstumsökonomie eine zweite, nicht minder einschneidende Konsequenz: Demokratische Regierungen verlieren im Nachhaltigkeitsbereich die Basis ihrer bisherigen Handlungsfähigkeit. Die Imagination einer vernunftgeleiteten Wählermehrheit, die sich rechtzeitig herausbildet, um für das politisch Notwendige zu votieren, stützt sich auf die verführerische Annahme, dass Umweltprobleme durch kollektive Entscheidungen komfortabel und effizient gelöst werden können, nämlich auf additive, niemals einschränkende Weise. Eine koordinierte Kraftanstrengung auf höchster Systemebene soll zu diesem Zweck umfängliche Finanzierungen und technische Entwicklungen mobilisieren. Der Glaube an diese Green-Growth-Logik mag zwar inzwischen erodieren, nicht aber die naiv-modernistische Steuerungsillusion, der zufolge Regierungsinstanzen und andere kollektive Akteure (zum Beispiel Gewerkschaften, Kirchen, NGOs) über ein universelles Instrumentarium verfügen, das in den Dienst auch jeder anderen Transformationsrichtung gestellt werden könnte. Tatsächlich war aber jede bis dato erwogene oder umgesetzte Nachhaltigkeits- und Sozialpolitik an Wachstumsprozesse gekoppelt, stand also unter dem Vorbehalt, für niemanden mit Wohlstandsverlusten einherzugehen. Mit dieser staatlichen Garantie ließen sich Wahlen und folglich politische Handlungsspielräume gewinnen – aber eben nur solche, die auf unerfüllbaren Green-(New)-Deal-Versprechen beruhten. Nun, da dieser Deal auffliegt, weil die erforderlichen grünen Wohlstandssubstitute nie existierten oder sich als nicht minder ruinös herausstellen, steht der Kaiser nackt da. Ihm bliebe nur die Option, Einschränkungen zu oktroyieren, die allem widersprechen, womit sich Regierungen seit dem Zweiten Weltkrieg legitimiert und erfolgreich angebiedert haben. Eine konsequente Degrowth- oder Postwachstumsstrategie käme deshalb unter den momentanen kulturellen Bedingungen einem politischen Selbstmord gleich. Deshalb verschanzen sich demokratische Regierungen hinter technologischen Nachhaltigkeitsattrappen, die erstens politische Handlungsfähigkeit simulieren, zweitens den Wohlstand unangetastet lassen, drittens das Gewissen beruhigen und viertens eine profitable »grüne« Industrie entstehen lassen. Fazit: Was die Wählergunst sichert, endet langfristig im ökologischen Abgrund. Und was die Lebensgrundlagen sichert, endet kurzfristig im politischen Abgrund. Angesichts dieses Dilemmas müsste auf die Wachstumswende eine Politikwende folgen. Diese kann nur auf einer doppelten Umkehrung gründen, nämlich erstens die Nachhaltigkeitspraxis, zweitens den sozialen und institutionellen Hintergrund eines gesellschaftlichen Wandels betreffend. Quelle: https://taz.de/Debatte-Wirtschaft-und-Wachstum/!5932364/
Suche auf den Seiten von strapp.de:
Debatte Wirtschaft und Wachstum: Der grüne Osterhase Es gibt keine Entkopplung von Wachstum und planetarischer Zerstörung, weshalb es auch keine politische Umsteuerung geben kann. Aber es gibt Rettungsboote. Ökonomische Transformation: Grünes Wachstum oder Degrowth? Foto: Archiv Von NIKO PAECH In einem Beitrag in der vorhergehenden Ausgabe von taz FUTURZWEI (Nr. 23) referiert der Politologe Martin Unfried aktuelle Vorschläge zur klimagerechten Transformation moderner Ökonomien. Beginnend mit der Position des grünen Wachstums legt er deren Vertretern nahe, sie mögen »die Schwachstellen des eigenen Ansatzes offen benennen und mögliche Lösungen diskutieren«. Zu Recht verweist er dabei auf die misslingende Entkopplung wachsenden Wohlstandes von Umweltschäden. Aber insoweit grünes Wachstum in nichts anderem besteht als eben darin, steigende Güterproduktion ökologisch zu entkoppeln, strandet diese Empfehlung in einem Zirkelschluss. Denn ebenso ließe sich dann die Nichtexistenz des Osterhasen als dessen Schwachstelle identifizieren, für die Lösungen zu suchen wären. Das Problem des grünen Wachstums liegt also eher in der Fortschrittsgläubigkeit jener, die an dieser allen Naturgesetzen widersprechenden Absurdität weiter festhalten. Sodann werden einige wachstumskritische Veröffentlichungen ins Visier genommen. Ihnen fehle es an konkreten Umsetzungsperspektiven, insbesondere einer »ausgearbeiteten Makroökonomie«, um ein »stabiles Nicht-Wachsen« steuern zu können. Offensichtlich übersieht Martin Unfried, dass längst makroökonomische Modelle vorliegen, die eine Degrowth- Strategie als stabilen Entwicklungspfad darstellen. Das Problem bestand nie darin, Postwachstumsszenarien herauszuarbeiten, die sich in politische Maßnahmen überführen lassen, sondern in den unvermeidbaren Folgen für den vorherrschenden Lebensstil. Denn auch mit einer ausgeklügelten Makroökonomik lässt sich weder die Physik noch die Wählermehrheit überlisten. Ohne die Letztere ist eine zentral koordinierte Degrowth- Strategie aber nicht demokratisch zu rechtfertigen. Wenn kein technologisches Entkopplungswunder zu erwarten ist, folgt daraus neben der Notwendigkeit einer Postwachstumsökonomie eine zweite, nicht minder einschneidende Konsequenz: Demokratische Regierungen verlieren im Nachhaltigkeitsbereich die Basis ihrer bisherigen Handlungsfähigkeit. Die Imagination einer vernunftgeleiteten Wählermehrheit, die sich rechtzeitig herausbildet, um für das politisch Notwendige zu votieren, stützt sich auf die verführerische Annahme, dass Umweltprobleme durch kollektive Entscheidungen komfortabel und effizient gelöst werden können, nämlich auf additive, niemals einschränkende Weise. Eine koordinierte Kraftanstrengung auf höchster Systemebene soll zu diesem Zweck umfängliche Finanzierungen und technische Entwicklungen mobilisieren. Der Glaube an diese Green-Growth-Logik mag zwar inzwischen erodieren, nicht aber die naiv-modernistische Steuerungsillusion, der zufolge Regierungsinstanzen und andere kollektive Akteure (zum Beispiel Gewerkschaften, Kirchen, NGOs) über ein universelles Instrumentarium verfügen, das in den Dienst auch jeder anderen Transformationsrichtung gestellt werden könnte. Tatsächlich war aber jede bis dato erwogene oder umgesetzte Nachhaltigkeits- und Sozialpolitik an Wachstumsprozesse gekoppelt, stand also unter dem Vorbehalt, für niemanden mit Wohlstandsverlusten einherzugehen. Mit dieser staatlichen Garantie ließen sich Wahlen und folglich politische Handlungsspielräume gewinnen – aber eben nur solche, die auf unerfüllbaren Green-(New)-Deal- Versprechen beruhten. Nun, da dieser Deal auffliegt, weil die erforderlichen grünen Wohlstandssubstitute nie existierten oder sich als nicht minder ruinös herausstellen, steht der Kaiser nackt da. Ihm bliebe nur die Option, Einschränkungen zu oktroyieren, die allem widersprechen, womit sich Regierungen seit dem Zweiten Weltkrieg legitimiert und erfolgreich angebiedert haben. Eine konsequente Degrowth- oder Postwachstumsstrategie käme deshalb unter den momentanen kulturellen Bedingungen einem politischen Selbstmord gleich. Deshalb verschanzen sich demokratische Regierungen hinter technologischen Nachhaltigkeitsattrappen, die erstens politische Handlungsfähigkeit simulieren, zweitens den Wohlstand unangetastet lassen, drittens das Gewissen beruhigen und viertens eine profitable »grüne« Industrie entstehen lassen. Fazit: Was die Wählergunst sichert, endet langfristig im ökologischen Abgrund. Und was die Lebensgrundlagen sichert, endet kurzfristig im politischen Abgrund. Angesichts dieses Dilemmas müsste auf die Wachstumswende eine Politikwende folgen. Diese kann nur auf einer doppelten Umkehrung gründen, nämlich erstens die Nachhaltigkeitspraxis, zweitens den sozialen und institutionellen Hintergrund eines gesellschaftlichen Wandels betreffend. Quelle: https://taz.de/Debatte-Wirtschaft-und- Wachstum/!5932364/