Macht Arbeit Sinn?
Arbeit ist zweifellos eine der Achsen, um die sich die modernen Gesellschaften
drehen. Während manch anderer Kulturkreis nicht einmal einen entsprechenden
Begriff kennt und frühere Epochen in der Arbeit vor allem das mühselige Sich-Plagen
sahen, gilt spätestens seit der industriellen Revolution die zielstrebige berufliche
Tätigkeit als der Weg zu Reichtum und Freiheit.
Die Erwerbstätigkeit steht, auch wenn ihr zeitlicher Anteil an der gesamten
Lebensspanne erheblich gesunken ist, weiterhin im Zentrum der meisten Sorgen und
Hoffnungen. Das zeigt sich an der Situation der Arbeitslosen: Sie haben nicht zu
Unrecht das Gefühl, kaum noch als vollwertige Person anerkannt zu werden; vor
allem für Jugendliche kann das identitätsbedrohende Folgen haben. Arbeitslosigkeit
ist heute offensichtlich weniger ein physisches als ein psychisches Problem, denn
schmerzlicher als die materielle Einbuße ist der Sinnverlust. Der hohe Stellenwert der
Arbeit führt sogar dazu, die Freizeit nun ebenfalls durch Arbeit zu füllen: Man spricht
ganz selbstverständlich von Hausarbeit, Eigenarbeit, Bürgerarbeit usw., sogar von
Beziehungs- und Elternarbeit. In der modernen Welt ist das ganze Leben zur Arbeit
am eigenen Selbst geworden.
Ob jedoch wirklich in der Arbeit (als Beruf oder als Gestaltung des eigenen Selbst)
der Sinn des Lebens liegt, muss aus philosophischer Sicht bezweifelt werden.
Zunächst einmal bleiben die existentiellen Fragen unbeantwortet, wohl prinzipiell
unbeantwortbar: Wozu das alles? Welchen Sinn haben Geburt und Tod, Glück und
Leid, Schuld und Not? Bei den momentan heftig diskutierten Versuchen, die Grenzen
des menschlichen Daseins technisch (also durch Arbeit) in den Griff zu bekommen,
besteht die Gefahr, dass das Humane im Machbarkeitswahn auf der Strecke bleibt.
Sodann ist es mit dem Sinn wie mit dem Glück: Man kann es nicht direkt erstreben,
sondern es stellt sich ein. Zwar können wir als freie Menschen unseren Handlungen
Bedeutung verleihen, aber deren Addition ergibt nicht den Sinn des Lebens. Das
Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Schließlich führt der Arbeitsprozess, wie
Hegel gesagt hätte, in eine schlechte Unendlichkeit. Man kann immer mehr arbeiten,
immer effizientere Mittel einsetzen, sich immer anspruchsvollere Ziele setzen.
Gerade große Projekte bewirken, dass die einzelnen Schritte, relativ gesehen, immer
kleiner und bedeutungsloser werden. Sicher bekommt ein Leben Struktur und auch
eine einzelne Episode ihre Funktion, wenn alles auf ein übergeordnetes Ziel
ausgerichtet ist. Wenn dieses jedoch irgendwann erreicht ist, stellt sich sogleich die
Frage „was nun?“: Oft kann die aufkommende Leere nur durch ein neues, noch
ehrgeizigeres Ziel gefüllt werden.
Deshalb haben seit Aristoteles viele Philosophen und Philosophinnen betont, dass
Glück und Sinn unseres Lebens gerade nicht in der Arbeit zu finden sind. Man muss
nicht die antike Abwertung körperlicher Betätigungen teilen, um in intellektueller und
musischer Beschäftigung, in Spiel und Muße, in gelassenem Geschehenlassen und
Verweilen in der Zeit, in Gespräch und Kommunikation ein Gegenmodell zu sehen.
An die Stelle der schlechten Unendlichkeit, für die als Bild die Linie oder gar die
Exponentialkurve steht, tritt die vollkommene Unendlichkeit des Kreises; hier liegt der
Zweck der Tätigkeit in dieser selbst – der Weg ist das Ziel.
Allerdings sollte man die Modelle weder gegeneinander ausspielen noch
unverbunden nebeneinander stellen. Erstrebenswert erscheint, wie so oft, die
gelungene Mischung, die einen grundlegenden Wandel sowohl der Arbeitswelt als
auch des verbreiteten Freizeitverhaltens nach sich ziehen sollte – auch wenn die
Frage nach dem Sinn des Lebens weiter offen bleibt.
Dr. Christian Thies, Institut für Philosophie, Universität Rostock, 18051 Rostock
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